Einleitung

Im Jahr 1231 n. Chr. wurde auf Geheiß des Stauferkaisers Friedrich II. eine Gesetzessammlung mit dem Namen „Liber Augustalis“ erstmals veröffentlicht. Irgendwann zwischen den Jahren 1231 und 1243 wurde sie um einen Nachtrag ergänzt, in dem erstmalig das Verhältnis zwischen dem Arzt- und dem Apothekerberuf gesetzlich geregelt wurde: Ärzte dürfen keine Apotheke besitzen oder an einer beteiligt sein, zur Verhinderung von Preistreiberei wurden Arzneimittelpreise gesetzlich festgeschrieben und der Apotheker musste ebenfalls einen Eid leisten. So – oder zumindest sehr ähnlich – steht es in besagtem Nachtrag, der als „Edikt von Salerno Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat. Er gilt als Geburtsstunde des Apothekerberufs, so wie wir ihn auch heute noch kennen.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt gibt es also die Apotheken, wie man sie auch heute nahezu überall auf der Welt in ähnlicher Form vorfindet. Sie alle verbindet, dass man dort neben Arzneimitteln, also Produkten zur Heilung von Krankheiten, auch Produkte zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens, in manchen Ländern als Parapharmazie bezeichnet, kaufen kann. Von den Arzneimitteln wiederum kann man einige nur dann kaufen, wenn man eine von einem Arzt ausgestellte Verordnung, das Rezept, vorweisen kann.

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Arzneimittel werden weltweit in Apotheken dispensiert

Im frühen Mittelalter stellten die Apotheker ihre Salben, Tinkturen, Pastillen, Tees und vieles mehr noch selbst her. Mit der industriellen Revolution und dem chemischen Fortschritt im 19. Jahrhundert begann die maschinelle Herstellung von Fertigarzneimitteln, die immer ausgefeilter wurde. Aber heute noch könnte jeder Apotheker die Tabletten, Kapseln oder Pillen, die er verkauft, selbst herstellen – in einer Qualität, die derjenigen der großen internationalen Pharmakonzerne entspricht. Aber natürlich ist die Arbeitsteilung deutlich rentabler, als alles selbst zu machen.

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Mörser und Stößel („Pistill“) zum Zubereiten von Arzneimitteln

Seit dem Edikt von Salerno ist die Apothekenwelt immer komplexer geworden. Das Rühren von Salben, wie es im Mittelalter üblich war, kann man getrost noch als solide Handarbeit beschreiben. Diese Tätigkeit wurde im Lauf der Jahrhunderte immer mehr von Bürokratie, Verwaltung und logistischen Tätigkeiten verdrängt, so dass der heilberufliche Aspekt des Apothekerberufs immer mehr in den Hintergrund gerückt ist. Lieferverträge zwischen Verbänden, Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern müssen in Deutschland berücksichtigt werden. Im angelsächsischen Raum muss die Anzahl der Pillen genau abgezählt und dokumentiert, inzwischen teilweise sogar an zentrale Gesundheitssysteme im Internet übermittelt und abgeglichen werden. Die Zeit, die Pharmazeuten weltweit mit ihrer Kernkompetenz zubringen – nämlich den Patienten rund um seine Arzneimitteln zu beraten um den bestmöglichen Therapieerfolg zu erzielen – macht nur noch den geringsten Teil ihrer Tätigkeit aus.

Wenn man als Nicht-Pharmazeut eine Apotheke besucht, um ein rosa Kassenrezept einzulösen, fangen Prozesse an, die ein pharmazeutischer Laier nur schwer nachvollziehen kann:

  • Wieso tippen die da so lange am Computer? (Rabattverträge)
  • Wo rennt sie/ er denn jetzt hin? (Ware aus dem Lager holen)
  • Welche Dossiers werden denn da ausgefüllt? (Medikationsplan wird dokumentiert)
  • Wieso telefoniert sie/ er denn jetzt mitten während des Verkaufsgesprächs? (mit dem Großhandel, um sicher zu stellen, dass das Antibiotikum am Nachmittag auch wirklich mitkommt)
  • … und wann wird mir endlich etwas über die Arzneimittel erklärt, die ich ja nicht zu Unrecht nicht in jedem Supermarkt kaufen kann? (im schlimmsten Fall: gar nicht)

Die Gesundheit ist ein zu wichtiges Gut, als dass man die Spezialisten für Produkte und Substanzen, welche die Gesundheit wiederherstellen bzw. fördern können, also die Apotheker, zu reinen Erfüllungsgehilfen der Bürokratie degradieren sollte. Das ist im Interesse von uns allen. Unsere Lebenserwartung ist so hoch, wie die noch keiner Generation unserer Spezies vor uns. Um diese lange Lebensspanne möglichst unbeschwert genießen zu können, müssen wir unsere Gesundheit schonen und so fördern, dass sie uns möglichst lange erhalten bleibt. Das setzt ein Gesundheitssystem voraus, in dem sich Spezialisten (wie Apotheker, das Gleiche gilt natürlich auch für Ärzte) auf ihre grundlegenden Kenntnisse konzentrieren können.

Wenn wir auf die kurze, eingangs skizzierte und von mir nur an der Oberfläche angerissene Geschichte des Apothekerberufs schauen, dann fällt uns auf, dass dieser Beruf von permanenten Wandlungen und Anpassungen geprägt war. Eine tiefschürfende Wandlung, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfassen wird, ist momentan im Bereich der Informationstechnologie im Gange. Das momentan bekannteste Schlagwort hierzu ist „Digitalisierung“, aber Sie haben sicher auch schon von Begriffen wie „digitaler Revolution“, „digitaler Transformation“ oder, zumindest artverwandt, von der „Generation Y“ gehört.

Viele Branchen wurden schon komplett von den neuen Technologien erfasst, ihre Prozesse auf den Kopf gestellt und gesamte Abläufe, gar Berufe komplett neu definiert. Nur unsere Gesundheitsbranche reagiert schon seit jeher auf Neuerungen eher zögerlich. Es ist aber davon auszugehen, dass auch die Heilberufe sehr bald von einer „Welle der Digitalisierung“ erfasst werden. Ärzte und Apotheker werden dadurch nicht abgeschafft oder irrelevant – aber man kann fest davon ausgehen, dass die tägliche Arbeit von Ärzten und Apothekern in 10 Jahren nur noch wenig mit der von heute vergleichbar sein wird.

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Computer sind fester Bestandteil des Arbeitsalltags von Apothekern und Ärzten

Die zu erwartenden Neuerungen bieten für Aufgeschlossene viele Chancen und Möglichkeiten, insbesondere die Gelegenheit, durch einen hohen Grad der Automatisierung administrative und repetitive Aufgaben zu delegieren. Aber sie bergen auch Risiken für diejenigen, die nicht vorbereitet sind und überrannt werden. Zur Vermeidung dieser Risiken gibt es dabei kein allgemeingültiges Rezept. Da es viele Facetten der Digitalisierung und somit unzählige Wege in die digitale Zukunft gibt, muss jeder für sich überlegen, welcher Weg der für ihn am besten geeignete ist und welche Lösungen zum eigenen Geschäftsmodell am besten passen. Nur eines ist nicht möglich: die Zeit anzuhalten oder gar zurückzudrehen. Wer das versucht, wird vielleicht noch eine Zeit lang überleben, aber mittelfristig auf der Strecke bleiben.

Ich möchte Ihnen in diesem Blog aufzeigen, welche Trends auf die Apotheken zukommen, natürlich mit dem Fokus auf Deutschland, aber der gelegentliche Blick über den Tellerrand sei mir gestattet. Geplant ist es, den Blog in vier Kategorien aufzuteilen, die mir logisch erscheinen, deren Inhalte sich aber auch teilweise berühren und somit wiederholen. Die ersten drei  Kategorien bzw. Teile beschreiben in kurzen Kapiteln die technologischen Megatrends, die wir eigentlich meinen, wenn wir von Digitalisierung sprechen und deren schon heute spürbaren Auswirkungen im Alltag. Die einzelnen Kapitel, von denen ich jede Woche eines zu veröffentlichen plane, bauen dabei üblicher Weise aufeinander auf.

Im ersten Teil wird es um die immer kleiner werdenden Geräte, die sog. Miniaturisierung, gehen. Der zweite Teil befasst sich mit der immer schneller voran schreitenden Vernetzung von Menschen und Geräten untereinander. Im dritten Teil schließlich werden wir einen Blick auf die enorme Anzahl an Daten werfen, welche die Informationstechnologie gefördert hat und die nach wie vor exponentiell anwächst.

Nachdem wir also in den ersten drei Teilen gesehen haben, von wo wir kommen und wo wir heute stehen, wird im vierten Teil der Faden dann konsequent weiter gesponnen und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, wie der demografischen Entwicklung, zu einer Gesamtvision vereint. Darin wird dann auch eine fiktive, zukünftige Apotheke skizziert, wie sie unsere Kinder und Enkelkinder vermutlich schon als ganz normal empfinden könnten. Hellseherische Fähigkeiten habe ich zwar keine, aber wenn man betrachtet woher wir kommen, denke ich nur den bisherigen Weg und die Entwicklung konsequent weiter. Immer wieder werden Denkanstöße für Ihre eigene digitale Agenda angeboten, quasi als Leitplanken für Ihren Weg durch die Herausforderungen in einer zunehmend digitalen Apothekenwelt.

Mit einigen der vorgestellten Themen werden Sie, wenn Sie diesen Blog lesen, bereits vertraut sein. Einige davon sind für Sie aber wahrscheinlich auch neu. Das liegt daran, dass die Entwicklung dieser Technologien einerseits in hohem Maße komplex ist, wodurch manche Projekte länger benötigen, als heute vorhersehbar ist. Andererseits herrscht im Bereich der IT eine extrem hohe Dynamik und manche bahnbrechende Erfindung bekommt dadurch so schnell die Marktreife, dass dies heute noch gar nicht absehbar ist. Dennoch ist nichts von dem, was ich hier schreibe Science Fiction: alles beruht auf Technologien, Produkten und Entwicklungen, die es bereits heute gibt.

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Apple ist das wertvollste Unternehmen der Wert mit einem Marktwert von über 800 Milliarden US-Dollar (seit Mai 2017)

Die meisten der technologischen und oft disruptiven Umwälzungen, um die es in den Diskussionen über Digitalisierung geht, haben ihren Ursprung in den Innovationsschmieden des Silicon Valleys in Kalifornien, wie beispielsweise Google, Amazon oder Uber. Das bekannteste und wertvollste Unternehmen dort ist Apple, das seinen Hauptsitz in der Stadt Cupertino hat. Und wer weiß, vielleicht wird gerade in diesem Augenblick dort etwas programmiert, das den Apothekenberuf in gleichem Maße prägen wird, wie das Edikt von Salerno vor über 770 Jahren. Quasi das „Edikt von Cupertino“ …

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Also begeben wir uns nun auf eine Reise in die Zukunft … sie beginnt jetzt.