Kapitel 2: Mobilgeräte– der Computer in der Handtasche

Ich selbst wurde in den 80-er Jahren „digital sozialisiert“ mit dem Commodore 64 (C64), der im Jahr 1982 auf den Markt kam. Er hatte einen Prozessor mit einer Frequenz von 1.023 MHz, dazu 64 KB RAM-Speicher, er konnte 16 Farben anzeigen … bei mir aber nur auf dem Fernseher meiner Eltern – mein eigener Fernseher, den ich zur Firmung geschenkt bekommen hatte, war nämlich noch schwarz/ weiß …  und er wog ungefähr 1,8 Kilogramm. Verwendet wurde das Gerät damals überwiegend zum Spielen, wobei auch schon die ersten Textverarbeitungs- und Tabellenkalkulationsprogramme veröffentlicht waren und sich eine praktische Nutzung bzw. Nutzbarkeit dieser „Kisten“ im geschäftlichen Umfeld somit andeutete.

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Die unverwechselbare Original-Tastatur des Commodore 64

Vergleichen wir die Leistungsparameter dieses Geräts nun mal mit einem Gerät, das inzwischen auch schon wieder fast schon veraltet ist, aber dennoch einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat: der Smartphone-Megaseller von Samsung, das Galaxy S3, hat einen Prozessor mit einer Taktung von 1,4 GHz – allerdings mit 4 Prozessorkernen. Dazu 1GB RAM-Speicher, es kann 16 Millionen Farben darstellen und das alles bei einem Gewicht von gerade mal 133 Gramm. Dieses Gerät kam genau 30 Jahre nach dem C64, im Jahr 2012, auf den Markt – weswegen ich es aufgrund des exakten zeitlichen Abstandes als schönes und plakatives Beispiel sehe.

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Samsung Galaxy S3

Die Geschwindigkeit des Prozessors hat sich in diesen 30 Jahren also ver-viertausendfacht, die Speicherkapazität ist um das über fünfzehntausendfache angewachsen; dazu kommt eine um den Faktor eine Million größere Farbpalette … bei einer Gewichtsreduktion um mehr als das Zehnfache. Auch diese Zahlen belegen eindrucksvoll, wie schnell und exponentiell sich die digitalen Technologien samt der dazu gehörige Hardware entwickeln. Wer das letzte Kapitel aufmerksam gelesen hat, weiß, dass genau das vom Moore’schen Gesetz im Jahr 1965 bereits beschrieben wurde.

Innerhalb von gerade mal einer menschlichen Generation ist die Leistung in eine unermessliche – für uns heute aber als normal empfundene – Höhe geschossen, während Gewicht und Größe immer weiter abnahmen. Spätestens seit Steve Jobs mit seinem unvergesslichen Auftritt auf der Macworld im Januar 2007 das iPhone von Apple der Weltöffentlichkeit vorstellte, sind Endgeräte aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts für jedermann mobil einsetzbar und haben sich die Smartphones als „Goldstandard“ für IT-Hardware endgültig etabliert. Das Zeitalter der stationären Computer scheint vorbei zu sein. Da Mobilgeräte in der Regel permanent mit dem Internet verbunden sind, eröffnet sich dadurch die Möglichkeit der ständigen Verfügbarkeit von Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten.

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Das iPhone samt einem Steve Jobs (1955 – 2011) zugeschriebenen Zitat

Ein Netzwerkeffekt, der durch die zunehmende Verbreitung von Mobiltelefonen gut 10 Jahre zuvor eingeleitet wurde, erfuhr so nochmal erhebliche Beschleunigung. Auf einmal brauchte man zum Lesen von E-Mails keinen stationären Computer mehr. Termine ließen sich kurzfristig planen. „Wir telefonieren uns zusammen, wenn wir am Treffpunkt sind“ wäre in den 80-ern und frühen 90-ern nicht möglich gewesen. Zusammenkünfte, egal ob privat oder geschäftlich, mussten von langer Hand geplant und organisiert werden. Heute geht das oftmals sehr spontan und ohne große Vorbereitung.

Der Netzwerkeffekt dabei: je mehr Menschen am „mobilen Leben“ teilnehmen, umso größer der Nutzen für alle Teilnehmer. Ganz plakativ (und sicherlich ein wenig übertrieben) lässt sich der Netzwerkeffekt anhand der Einführung des Telefons vor über 150 Jahren erklären: auch hier war der Nutzen für die ersten Anwender dieser Technologie eher gering. Die ersten beiden Besitzer eines Telefons überhaupt konnten sich schließlich nur gegenseitig anrufen. Noch hatte ja sonst niemand ein Telefon. Man kann sich vorstellen, dass das vermutlich für beide schnell langweilig geworden wäre. Aber sobald mehr Menschen ein Telefon besaßen, stieg der Nutzen für alle anderen Telefonbesitzer – und der Druck auf all diejenigen, die noch kein Telefon besaßen, sich eines anzuschaffen, wuchs mit: denn um nicht von Kommunikationskanälen abgeschnitten zu werden, brauchte man ein Telefon.

Genau der gleiche Effekt greift heute auch bei den Mobilgeräten. Wenn Sie beim Lesen dieser Zeilen nicht gerade ganz alleine in einem Raum sind, schauen Sie sich bitte einmal um: ich wette, Sie haben gerade mindestens einen anderen Menschen gesehen, der auf sein Smartphone geschaut hat, wenn Sie von mehr als 3 anderen Menschen umgeben sind (und das egal, ob Sie in einem Meeting sind, in der Kirche beten oder an der Haltestelle auf einen Bus warten).

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Jugendliche am Smartphone, vermutlich auf der Suche nach Pokémons

Einen der Hauptnutzen von Smartphones –die permanente Verfügung von Informationen – kann man sich auch für geschäftliche Zwecke einsetzen: natürlich lassen sich Apotheken schon heute über das Smartphone von unterwegs steuern. Alle großen Anbieter von Warenwirtschafts-Systemen für Apotheken haben Applikationen im Portfolio, mit denen man die wichtigsten Kennzahlen der Apotheke mobil dargestellt bekommt und die ein zeitechtes Reagieren auf eintretende Veränderungen ermöglichen.

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Umsatz- oder Kundenzahlen der Apotheke werden heute schon auf dem Smartphone dargestellt

Ebenso können Patienten ihre Rezepte fotografieren und zur Vorbestellung in die Apotheke schicken oder OTC-Artikel per Smartphone vorbestellen. Die mobile Welt klopft allmählich auch an die Pforten der Apotheken in Deutschland. Noch sehr zögerlich, aber das Klopfen ist vernehmbar – und nur der Gipfel des Eisbergs, wenn man auf andere Handelsbranchen schaut. Vielfach wird heute online recherchiert, offline (und lokal) gekauft, zum Beispiel im Heimwerkermarkt, wo sich der Bürohengst mit den beiden linken Händen dann doch lieber nochmal vom Experten erklären lässt, wie er die neue Spüle am Wochenende installieren soll (das Modell hat er aber mit der Gattin schon vorher im Internet ausgesucht). Auch viele Supermärkte bieten heute Click & Collect an: man sucht und bestellt die Ware im Internet und holt sie – im Idealfall auf dem Heimweg von der Arbeit – im Supermarkt ab. Dort wurde sie bereits in Tüten verpackt und bereitgestellt, die Zahlung erfolgte über Kreditkarte (oder PayPal).

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Eine App zum Vorbestellen von Rezepten ist callmyApo von VSA; Bild (c) VSA GmbH

Auch die Apotheke wird sich mit der digitalen Welt noch viel enger verweben müssen. Zu groß ist der Nutzen für den Anwender, als dass sich kundenorientierte Dienstleister dieser Nachfrage auf ewig versperren können werden.

Ein kurzer Exkurs in Richtung Versandhandel – natürlich ist Digitalisierung deutlich mehr als Versand! – zeigt, dass es zwei Hauptgründe für die Bestellung von Arzneimitteln im Internet gibt: zum einen ist da natürlich die Bequemlichkeit, gemütlich vom Sofa aus Ware zu bestellen. Der andere, deutlich häufigere (aber unterschätzte) Grund ist die Scham: oder meinen Sie, ein 35-jähriger Kunde würde Ihrer attraktiven und charmanten PTA  von seinen Hämorrhoiden erzählen? Nein, das tippt er lieber bei Google ein … und ob dann in der Versandapotheke, auf die er weiter geleitet wird, eine ebenfalls attraktive und charmante PTA seine Bestellung bearbeitet, bekommt er gar nicht mehr mit.

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Exkurs: Immer mehr Kunden kaufen – nicht nur wegen Bequemlichkeit – im Internet

Zurück zu den Smartphones: sie haben uns zu Cyborgs gemacht. Unter einem Cyborg versteht man Mischwesen, teils Mensch (bzw. lebender Organismus), teils Maschine. Bei Smartphonebesitzern mit durchschnittlicher Nutzungsintensität übernimmt das Smartphone Aufgaben, die sonst das Gehirn getätigt hat: es speichert Telefonnummern und Adressen (die wir uns früher selbst merken konnten), es erinnert uns an anstehende Termine (die wir, falls wir vergesslich waren, in eine Agenda aus Papier geschrieben haben), fungiert als Wecker, hält Zug- und Flugtickets parat und kann uns in einer unbekannten Stadt zur nächsten Apotheke, Bankfiliale oder dem angesagtesten Club navigieren.

Unsere täglichen Gewohnheiten haben sich übrigens durch Smartphones, Tablets und die überwiegend im geschäftlichen Bereich noch eingesetzten PDAs (Personal Digital Assistants) auch ganz schön geändert. Es ist inzwischen ein gewohntes Bild, dass die Menschen um uns herum permanent auf ihre Mobilgeräte schauen. Hierdurch entstehen ganz neue Risiken, zum Beispiel für die Sicherheit im Straßenverkehr: wenn die Fußgänger von ihrem Smartphone abgelenkt sind (zu diesen Menschen sagt man übrigens im Fachjargon „Smombies“), erhöht sich die Unfallgefahr drastisch, weil sie ihre Umwelt kaum noch wahrnehmen. In 2 deutschen Städten, Augsburg und Köln, wurde hierauf inzwischen auf eine pfiffige Art und Weise reagiert. Dort laufen derzeit die ersten Tests mit Fußgängerampeln, die am Boden in den Asphalt eingelassen sind – also im Blickfeld der Passanten, die am Fußgängerübergang auf ihr Smartphone schauen.

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Smombie-Warnschild in Tampere, Finnland

Ich finde es geradezu erstaunlich, wie sehr unser alltägliches Verhalten sich schon angepasst hat. Es gibt hierzu ein Beispiel, das vermutlich jeder schon einmal beobachtet hat und das sich irgendwie „komisch“ angefühlt hat – ohne dass man wusste, wieso. Noch vor 30 Jahren wurden Klingeln an Haustüren wie selbstverständlich mit dem Zeigefinger gedrückt. Das macht heute nahezu niemand mehr: alle benutzen hierzu den Daumen – außer ganz kleinen Kindern, die noch nie ein Smartphone benutzt haben. Ich konnte mehrfach beobachten, dass diese noch immer den Zeigefinger nehmen. Und genau das fällt Menschen meiner Generation auf, denn wir stammen aus einer Zeit, in der man noch gelernt hat, mit dem Zeigefinger zu klingeln. Doch wenn wir uns Smartphones genauer anschauen, wird klar, was hier passiert ist: zur Benutzung kann man sie einfach in die flache Hand legen kann und dann mit dem Daumen bequem einhändig bedienen. Im Verhältnis zur Rolle des Greifens, welche die Evolution dem Daumen eigentlich zugedacht hat, ist also unser „moderner Daumen“ heute deutlich übertrainiert.

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Feldversuch: ich selbst klingle (noch?) so

Doch auch die Smartphones haben ihre Grenzen, beim Sport oder beim Schlafen werden sie meist bei Seite gelegt. Was doch eigentlich ziemlich schade ist, denn auch dabei fallen doch sicherlich interessante Daten an, die man toll messen und auswerten kann. Zum Glück gibt es noch kleinere Computer, die direkt am Mann – oder an der Frau – sind und die man, wenn man das möchte, gar nicht mehr ablegen muss: die Wearables.