Kapitel 5: das beschleunigte Zeitgefühl 

Die bisherigen Ausführungen legen nahe, dass wir uns in einer Zeit großen Umbruchs befinden: alles wird schneller, kleiner und besser – und wir Menschen haben manchmal das Gefühl, mit dieser technologischen Entwicklung gar nicht mehr Schritt halten zu können. Wir ertrinken in der Informationsflut und suchen Orientierung.

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Information überall – wer blickt noch durch?

Ein Teil der gefühlten Geschwindigkeitszunahme ist aber tatsächlich genau das: gefühlt. Sie existiert in Wirklichkeit gar nicht – nur das Medium hat sich vom analogen Papier hin zum digitalen Bildschirm gewandelt. Vergleicht man sie mit der Geschwindigkeitszunahme, die eintrat, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch die ersten Telegrafen und ein transatlantisches Unterseekabel Europa und Amerika erstmals „vernetzt“ wurden, sprechen einige Autoren von einer Verschnellerung um den Faktor 4000:

Eine Nachricht, die man zuvor in Form eines Briefs mit einem Schiff von Hamburg nach New York schickte, war etwa 14 Tage unterwegs. Ein Telegramm brauchte, um diese Strecke zurückzulegen und den gleichen Inhalt zu transportieren, dann nur noch 5 Minuten. Die Geschwindigkeitszunahme durch die Nachfolgetechnologien, vom Telegramm hin zum Fax und weiter zur E-Mail, liegt um ein Vielfaches darunter.

Zitiert nach: Markus Baumanns, Torsten Schumacher, „Kein Bullshit. Was Manager heute wirklich können müssen“, Murmanns Verlag, Hamburg, 2014, S. 30

Und alle Klischees von Multi-Tasking-Fähigkeiten einmal bei Seite gelassen: der Empfänger einer Nachricht – und um dessen Empfinden von Geschwindigkeit geht es ja letztlich – kann immer nur eine Nachricht gleichzeitig aufmerksam durchlesen und intellektuell verarbeiten. Das Erhalten von Nachrichten in Echtzeit, die manche heute aufgrund der neuen Technologie Internet als zu rasant empfinden, ist in Wirklichkeit ein Phänomen, das bereits 150 Jahre alt ist. Und das aufmerksame Erfassen mehrerer Nachrichten gleichzeitig ist ohnehin schwer möglich.

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Seit der Erfindung des Fernschreibers, hier als Grafik, erreichen uns Nachrichten nahezu in Echtzeit

Wie kann es dann sein, dass dennoch viele Menschen die Informationsvielfalt, welche die Digitalisierung ermöglicht, als „schneller denn je“ empfinden? Spinnen die alle oder gibt es noch eine zweite Ebene, die aus der nur gefühlten Beschleunigung dann doch eine echte machen?

Das Internet wird oftmals mit der Einführung des Buchdrucks vor über 500 Jahren verglichen. Bis dahin war die Hoheit über Wissen und Kommunikation fest in der Hand der Kirche, deren Skriptoren in den Klöstern Bücher per Hand kopierten. Die Kirche konnte festlegen, welches Wissen verbreitet wurde und welches nicht – damit konnte sie faktisch steuern, was als wahr angesehen wurde und was als falsch. Das änderte sich mit der Einführung des Buchdrucks, der dafür sorgte, dass Wissen und Informationen schneller und an mehr Empfänger als bisher verteilt werden konnte. Die Analphabetisierungsquote ging zurück und üblicher Weise wird diese Technologie auch als Wegbereiter vieler immer noch prägender Errungenschaften der Neuzeit, von der Aufklärung bis hin zur modernen Demokratie, angesehen. Die Theorie, dass der Buchdruck all dem förderlich war, wurde bis jetzt auch noch nicht widerlegt.

Der Vergleich der Auswirkungen, die einerseits das Internet und zum anderen die Erfindung des Buchdrucks hatten, ist erneut wiederum sowohl richtig als auch falsch. Richtig deswegen, weil sowohl das Internet als auch der Buchdruck in Ihrer jeweiligen Epoche eine schnellere und breitere Verbreitung von Informationen ermöglicht haben. Aber er ist auch falsch: aufgrund der hohen Fixkosten, die mit der Anschaffung von Geräten und dem Betrieb von Druckereien einhergingen, konnten es sich einzelne Menschen nach wie vor nicht leisten, selbst Bücher zu drucken und dadurch ihre eigenen Meinungen in die Breite zu kommunizieren. Sie waren lediglich Informationsempfänger, die Kommunikation verlief auch nach der Einführung des Buchdrucks nur in eine Richtung: vom Autor/ Verleger in Richtung der Empfänger. Gewiss, die Massenmedien entstanden, aber es gab stets nur wenige Autoren und Urheber von Informationen, denen plötzlich breite Massen an Informationsempfängern gegenüber standen.

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Der Buchdruck machte Informationen für die breite Masse verfügbar

Und genau hierin liegt die große Disruption, die das Internet für die Kommunikation eingeleitet hat. Auf einmal wurden die Empfänger der Informationen selbst zu Urhebern weiterer Informationen. Wo es vorher einigen wenigen, man kann fast sagen Monopolisten, vorbehalten war, die Nachrichten zu machen, erleben wir heute eine Reichhaltigkeit und Vielfältigkeit der Inhalte wie nie zuvor. Und hierdurch wird die gefühlte Geschwindigkeit der Verbreitung natürlich potenziert. Die Anzahl der Quellen ist um ein Vielfaches angestiegen. Eine Information, über die Nachrichtenagenturen noch bis vor 20, 30 Jahren berichtet hatten, basierte meist auf dem Bericht eines einzelnen Autors. Heute kann sich jeder, zum Beispiel über soziale Netzwerke, an den Informationen über aktuelle Geschehen beteiligen und somit auch etwas zur allgemeinen Wahrnehmung konkreter Ereignisse beitragen. Wo es früher nur eine Sicht auf ein bestimmtes Ereignis gibt, so berichten heute Augenzeugen und Betroffene direkt über soziale Netzwerke, in Interviews von Zeitungen oder auf ihrem Blog. Dieser Facettenreichtum ist so natürlich wie das Leben selbst – nur wir Menschen sind, was die Nachrichten und Meldungen betrifft, die nicht direkt vor unserer Haustür passieren, seit Jahrhunderten auf Monotonie getrimmt. Polyphone Nachrichten kannten die meisten von uns nicht. Die einzige Ausnahme hiervon sind vermutlich Ermittlungsbeamte: bei ihnen gehört es zum Arbeitsalltag, von Sachverhalten mehr als nur eine Version zu kennen.

Natürlich verwirrt diese Vielfalt an Informationen die Menschen. Die meisten von ihnen sind den Umgang damit nicht gewohnt. Sie empfinden die Vielfalt als überhöhte Geschwindigkeit und suchen Bezugspunkte oder –personen, die ihnen Halt und Orientierung anbieten.

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Orientierung bieten bei der Vielzahl an Informationsquellen – eine der größten Herausforderungen der Digitalisierung!

Diese Gedanken sind wichtig, denn hieran werden wir nochmal anknüpfen müssen. Genau an dieser Schnittstelle wird sich, wie ich im letzten Teil des Blogs darstellen werde,  die Apotheke der Zukunft positionieren müssen. Klar ist nämlich: soweit es um die reine Abgabe von Arzneimitteln geht, die noch dazu – wie in Deutschland – einer Preisbindung unterliegen, sind alle Apotheken miteinander vergleichbar. Oder, böse gesagt: austauschbar. Die Differenzierung muss also woanders her kommen. Und genau das werden wir in den späteren Kapiteln etwas tiefer erörtern.

Hiermit endet der erste Teil, in dem wir gesehen haben, wie digitale Geräte immer kleiner und handlicher werden.  Nächste Woche, im zweiten Teil dieses Blogs, schauen wir darauf, wie sich die Menschen – und die Geräte – immer mehr und immer enger miteinander vernetzen.