Kapitel 8: die Maschinen unterhalten sich – über uns!

In ihrem Buch „The Age of Earthquakes: A Guide to the Extreme Present“ beschreiben die Autoren Douglas Coupland, Hans Ulrich Obrist und Shumon Basar in vielen bildreichen Essays und kurzen Aufsätzen, wie sich der durch die Digitalisierung ansteigende Bedarf an Energie und das immer größer werdende Angebot an digitalen Technologien sowohl auf unsere Umwelt, als auch auf uns selbst, unser Zeitgefühl und sogar die neuronale Struktur in unserem Gehirn auswirken. In dem Buch wird viel mit Grafiken und Bildern gearbeitet. Auf den Seiten 170/ 171 sieht man auf einem Bild eine Flugdrohne über Wüstengelände schweben. Auf der linken Seite stehen in Großdruck die Worte

Machines are increasingly talking about you behind your back

Douglas Coupland, Hans Ulrich Obrist, Shumon Basar, „The Age of Earthquakes: A Guide to the Extreme Present“, Penguin Books, London, 2015, S. 170f.

Als ich dieses Bild zum ersten Mal gesehen habe, lief es mir kalt den Rücken hinunter („technology often favors horrible people“ steht zwar in kleinerer Schrift auf der rechten Seite, aber das war mir in dem Moment noch gar nicht aufgefallen).

Tatsächlich gibt es für das beschriebene Phänomen, dass Geräte Daten über den eigenen oder erfassten Zustand in ein Netzwerk zu übermitteln in der Lage sind und dabei durch eine eindeutigen Identifizierung erkennbar sind, bereits einen Namen: es ist das Internet der Dinge – oder Englisch, Internet of Things (IoT).

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Schematische Darstellung des Internet of Things: die Vernetzung der Welt

Es bedeutet, dass die Geräte miteinander vernetzt sind und sich untereinander ohne jegliche menschliche Intervention austauschen. All dies hat zum Ziel, den Menschen zu unterstützen und ihm Routinetätigkeiten, die automatisiert ablaufen können, abzunehmen. Ein simples Beispiel vernetzter Geräte kennt jeder, der schon einmal in einem MotelOne (vermutlich gibt es noch unzählige weitere Hotels, bei denen das genauso funktioniert. Diese sind natürlich hier ebenfalls gemeint!) übernachtet hat: sobald man die Tür mit der Karte geöffnet und sie in den hierfür vorgesehenen Karteneinschub neben dem Badezimmer gesteckt hat, geht automatisch der Fernseher an und zeigt im Sommer ein (virtuelles) Aquarium, im Winter ein (virtuelles) Kaminfeuer. Das ist zwar nicht wirklich IoT, aber zur Veranschaulichung soll uns das erst mal reichen. Vereinfacht gesagt passiert folgendes: der Kartenleser kommuniziert in Richtung Fernseher, dass der Gast da ist und der Fernseher springt an. Daraus lässt sich übrigens auch schön ableiten, was der gemeine Hotelbesucher als Erstes tut, wenn er sein Zimmer betritt (und gerade nicht im MotelOne ist, wo das automatisch passiert): er schaltet erst mal die Glotze an!

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Auch dieses Feuer ist nur virtuell

 Der Phantasie beim IoT sind keine Grenzen gesetzt. Schon heute ist absehbar, dass aus diesem Internet der Dinge eine ganze Reihe an Anwendungen und Business Modellen entstehen wird. Intelligente Lösungen, die auf Daten basierend Unterstützung für Menschen und Unternehmen anbieten, werden reißenden Absatz finden.

Ein sehr aktuelles Beispiel hierfür ist das sog. „Smart Home“. Die vernetzten und vom Smartphone aus steuerbaren Heizungen, Beleuchtungen und ähnliche Einrichtungsgegenstände werden derzeit vor allem von Stromerzeugern und Telekommunikationsdienstleistern beworben – sie sichern deren Netzauslastung auch für die Zukunft. Aber tatsächlich haben Bewegungsmelder, die einen bestimmten Zustand abfragen und daran Aktionen anschließen, sehr viele Vorteile. Ein Beispiel: der Sensor überprüft, ob die Menschen, die das Haus bewohnen, dieses verlassen haben. Wenn ja, wird der Herd ausgeschaltet, die Türen verriegelt sowie die Lichter und die Heizung ausgeschaltet. Jeder, der seinen Herd schon mal angelassen hat, weiß, wie nützlich so etwas sein kann. Auch der Kühlschrank, der zur Neige gehende Milch-, Gemüse- oder Biervorräte meldet, ist längst keine Utopie mehr. Smart Homes können über Bodensensoren auch prüfen, ob es schwere Gegenstände (evtl. ein Mensch?) gibt, die schon längere Zeit an einem Platz unbewegt liegen, an dem sonst keine Gewichtsbelastung gespeichert ist – und als automatisierte Aktion dann direkt einen Notruf absetzen. Heute liegen die Kosten für die Vernetzung von 2-4 Zimmern bei ca. 4.000 €. Das entspricht den Kosten für 2 Monate in einem Pflegeheim.

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Smart Home Funktionsweise

Als nächsten Schritt nach dem Smart Home sehen viele Experten die sog. Smart Communities. Ein Beispiel hierfür: Mönchengladbach mit seinen 267.000 Einwohnern plant, dass diese bald Straßenlaternen per Smartphone ansteuern können. Dadurch soll die Sicherheit nachts erhöht werden, weil bis dahin nur wenig beleuchtete Ecken erhellt werden könnten – und gleichzeitig Kosten reduziert werden, da nicht angesteuerte Laternen einfach aus bleiben können. Automatisiert wird das Ganze, indem man Beacons in den Laternen installiert, die auf bestimmte Apps reagieren und dann dafür sorgen, dass die Lichter automatisch angehen, wenn sich jemand – in diesem Fall dann ein Smartphone – nähert.

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Smart Community: Steuerung von öffentlichen Einrichtungen per Smartphone

Das Internet of Things klingt für Sie nach Zukunftsmusik? Mitnichten. Bereits im Jahr 2008 hat die Anzahl der mit dem Internet verbundenen Geräte die Anzahl der auf der Erde lebenden Menschen überschritten. Diese Geräte sind nicht nur Smartphones und Tablets, sondern auch Sensoren, Überwachungskameras und vieles mehr. Durch diese Vielzahl an Datenquellen ist beim IoT die Größenordnung der entstehenden Transparenz extrem hoch. Wenn wir das bisherige Wachstum der mit dem Internet verbundenen Dinge auf das Jahr 2030 extrapolieren, wird klar, dass dann alles, was auch nur einigermaßen sinnvoll ist, in Echtzeit mit dem Internet verbunden sein wird.

Es gibt ein Beispiel, das deutlich macht, wie sinnvoll und lebensrettend diese Technologie eingesetzt werden kann: im Neusser Lukaskrankenhaus wird nämlich schon heute das IoT aktiv zum Wohle der Patienten verwendet. Die Rettungsdienste dort machen bei allen Patienten bereits im Krankenwagen ein EKG, sobald es auch nur das kleinste Anzeichen dafür gibt, dass der Notruf etwas mit dem Herz-/Kreislaufsystem zu tun haben könnte. Am Krankenhaus angekommen überträgt das EKG seine Daten automatisch in die Notaufnahme, so dass sie den diensthabenden Notärzten schon zur Verfügung stehen, wenn der Patient ankommt. Die Mortalitätsrate bei Herzinfarkten konnte dieses Krankenhaus allein hierdurch um 23 Prozent reduzieren.

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Moderne OPs können lebensrettende Daten bereits aus dem Rettungswagen empfangen

Das US-amerikanische Software Unternehmen InterSystems geht davon aus, dass bereits im Jahr 2020 die Anzahl der vernetzten Geräte bei beeindruckenden 50 Milliarden liegen wird. Diese unvorstellbar hohe Zahl von 50 Milliarden „Things“ bedeutet, dass jeder Mensch von ungefähr 6,25 Dingen umgeben ist, die Daten ermitteln, sammeln und in irgendeine Cloud übermitteln. Aber reine Mathematik führt hier in die Irre, man darf also nicht die 50 Milliarden durch die bis dahin vermutlich erreichte Weltbevölkerungszahl von 8 Milliarden dividieren. Auch bei der Digitalisierung gibt es eine Konzentration auf die sog. „Erste-Welt-Länder“: also liegt die eigentliche Zahl der Dinge, die sich über jeden von uns unterhalten werden, noch deutlich höher. Die Informationen, die dabei entstehen, werden von der schieren Menge und auch der qualitativen Aussagekraft über unser Verhalten, unsere Gewohnheiten und unseren Lebensstil im Allgemeinen um ein vielfaches höher sein, als alles, was unsere Smartphones bis heute schon über uns gesammelt haben – was in den meisten Fällen schon unvorstellbar viel ist.

Wenn wir uns also Gedanken darüber machen, dass es bald einen Kühlschrank geben wird, der Milch, Butter oder Käse automatisch rechtzeitig nachbestellt bevor sie restlos aufgebraucht sind, ist der gedankliche Transfer zum Medikamentenschrank nicht weit. Auch der wird erkennen, wann eine Arznei zu Neige geht und die Folgeverordnung notwendig ist. Dass die sich an diese Erkenntnis anschließenden Prozesse automatisiert ablaufen können, ist bei derart standardisierten Prozessen selbstverständlich: Information an den Arzt, dass ein neues Rezept ausgestellt werden muss; Übermittlung des Rezeptes an die Apotheke; Auslieferung der verordneten Arzneimittel und Abrechnung des Rezeptes mit den Kostenträgern.

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Nie mehr leer dank Internet of Things?

À propos Internet der Dinge: natürlich ist es ein weiterer, immenser Beitrag zur Entstehung von Daten, denn Daten sind die Sprache, mit der sich Maschinen untereinander verständigen. Und Daten, soviel vorweg, sind der wichtigste Schlüssel für die Zukunft der Gesundheit allgemein und auch der Apotheke im Besonderen.

Hiermit endet der zweite Teil, in dem wir gesehen haben, wie die digitale Welt immer vernetzter wird und Geräte Daten übereinander und über uns austauschen.  Nächste Woche, im dritten Teil dieses Blogs, werfen wir einen Blick auf DIE Grundlage der Digitalisierung: Daten.