Kapitel 10: Datenschutz

In Deutschland darf jeder Mensch darüber bestimmen, ob und in welchem Maße seine personenbezogenen Daten gegenüber Dritten preisgegeben und verwendet werden dürfen. Das ganze basiert auf einer einfach nachvollziehbaren Auslegung von Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetztes – „die Würde des Menschen ist unantastbar“ – in Kombination mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetztes, dem Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses sog. „Allgemeine Persönlichkeitsrecht“ steht somit ganz oben in der Wertehierarchie des deutschen Rechtssystems und entsprechend streng wird auf seinen Schutz und seine Einhaltung geachtet.

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Datenschutz ist in den Art. 1 und 2 der Verfassung (Grundgesetz) verankert

Der ebenfalls hierunter fallende Schutz von Informationen in Bezug auf das Verhalten des Einzelnen ist das sog. „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Das ist nachvollziehbar, da in den Jahren, die der Veröffentlichung des Grundgesetzes im Jahr 1949 vorausgingen, die Gestapo in Deutschland Geheimakten über die Bürger anlegten. Niemand konnte in diesem totalitären System wissen, welche Informationen über das eigene Verhalten der Staat besaß und somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass Teile der Bevölkerung aus purem Zweckopportunismus (gewürzt mit einer ordentlichen Prise Überlebenswillen) ihr Verhalten nach außen hin angepasst haben, ohne dass sie innerlich die Werte des Regimes geteilt haben. Schließlich konnte niemand wissen, ob man von seinem Gesprächspartner nicht im Anschluss an das Gespräch als subversives Element diffamiert wurde mit all seinen schrecklichen Konsequenzen.

Andere Länder ohne diesen dunklen Fleck in ihrer Geschichte haben in aller Regel auch deutlich lockerere Datenschutzregeln als wir in Deutschland. Damit möchte ich übrigens in keinster Weise das Verhalten der unzähligen Mitläufer in der Nazi-Diktatur entschuldigen und ihre Mitschuld mildern. Allerdings sind die eben geschilderten Argumente, die u.a. das Bundesverfassungsgericht für den starken Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung anführen, nach meiner persönlichen Auffassung logisch und in sich schlüssig. In Systemen, in denen Menschen für die Äußerung ihrer Meinung Sanktionen drohen, behalten die meisten von ihnen ihre Meinung nun mal lieber mal für sich.

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Wer sich überwacht fühlt, neigt dazu, seine Meinung für sich zu behalten

Um dies plausibel zu machen, ziehen wir doch einfach Analogien zur Gesundheit. Oder möchten Sie, wenn Sie Angestellter sind, dass Ihr Arbeitgeber alles über Sie weiß? Wie oft Sie krank sind, ob Sie gerade Liebeskummer haben, wie tief Sie verschuldet sind? Sicher, irgendwann kommt evtl. das eine oder andere ans Tageslicht, weil es Auswirkungen auf die Arbeit hat und man dann drüber reden muss. Aber bis dahin ist das Meiste die Privatangelegenheit der Betroffenen.

Oder wenn Sie selbständig tätig sind: möchten Sie dann, dass Ihre Kunden oder gar Ihre private Krankenversicherung alles über Sie weiß? Jeden Fehltritt, den Sie sich jemals geleistet haben? Risikofaktoren, die zu höheren Beiträgen führen könnten? Zu wenig Bewegung, zu fetthaltiges Essen, zu viel Stress, zu viel Alkohol, Experimente mit Drogen in der Jugend? Oder gar genetische Prädispositionen, die den Ausbruch bestimmter Krankheiten wahrscheinlicher und Ihre Zuverlässigkeit als Dienstleister oder gar die Absicherung für die Versicherung weniger rentabel machen?

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Sind wir uns einig, dass nicht jeder Fehltritt dokumentiert sein sollte?

Ich denke, die genannten Beispiele machen klar, warum der Datenschutz in Deutschland, zum einen historisch bedingt, zum anderen wegen der massiven Auswirkung von zu frei zugänglichen Daten, so engmaschig und streng geregelt ist. So ist die Gesetzlage und es gibt genügend vernünftige Gründe, den Datenschutz in Deutschland auch genau so und nicht anders zu regeln.

Und doch gibt es Firmen, die in den letzten paar Jahren über jeden einzelnen von uns mehr Daten gesammelt haben, als das die Stasi – um auf ein anderes unrühmliches Beispiel staatlicher, deutscher Datensammelwut zu kommen – in ihren Blütezeiten geschafft hat. Im Jahr 2011 hat Max Schrem, damals ein Jurastudent aus Wien, von Facebook die Herausgabe aller über ihn gespeicherten Daten verlangt. Facebook hat versucht, den Studenten abzuwimmeln und erst nachdem er mit Klage vor dem irischen Datenschutzbeauftragten drohte – der europäische Sitz von Facebook ist aus steuerlichen Gründen in Irland – gab Facebook die Daten heraus.

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Wie viel wissen Facebook und Co. wirklich über uns?

Schrem erhielt von Facebook eine CD-ROM mit einer PDF-Datei, die über 1.200 Seiten unverschlüsselter Daten über ihn enthielt. Sein komplettes Nutzerverhalten im Browser, jede besuchte Seite, Statusmeldungen, Verläufe von Chats – alles war darin enthalten. Selbst Daten, von denen er glaubte, sie gelöscht zu haben. Und, um das ins Verhältnis zu rücken: 1.200 Seiten gab es bei der Stasi allenfalls in den Protokollen hochrangiger westlicher Politiker. Bei Privatpersonen war so ein Ausmaß nicht ansatzweise vorstellbar.

Und Facebook ist nicht das einzige Unternehmen, das – anscheinend nicht ganz zu Unrecht – einen Ruf als „Datenkrake“ hat. Google, Amazon und viele weitere Firmen, nicht nur aus dem Silicon Valley, sammeln Daten wo auch immer sie können. Was machen sie damit und vor allem: woher kommen eigentlich all diese Daten?