Kapitel 12: der (veränderte) Umgang mit persönlichen Daten

Der größte Wandel, den die fortschreitende Digitalisierung angestoßen hat, findet aktuell im Kopf der Patienten statt. Ein Hauptgrund hierfür ist, dass es immer mehr „Digital Natives“ gibt. Als Digital Natives bezeichnet der US-amerikanische Autor Marc Prensky in einem bereits 2001 veröffentlichten Essay die Menschen, die mit Computern, Videospielen, Smartphones, Tablets und vor allem dem Internet und Social Media aufgewachsen sind. Diese wurden in eine bereits bestehende digitale Welt hineingeboren und beherrschen den Umgang mit ihr wie selbstverständlich. Ihnen gegenüber stehen die digitalen Einwanderer, die sog. „Digital Immigrants“. So bezeichnet Prensky die Menschen, die erst im Erwachsenenalter mit digitalen Technologien in Berührung gekommen sind und sich folglich mit deren Handhabung deutlich schwerer tun.

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Ziemlich sicher ein Digital Native

Andererseits haben vermutlich die wenigsten Digital Natives schon mal einen Film zum Entwickeln gebracht oder wissen, wo auf einen Brief eine Briefmarkte geklebt werden muss. Die Digital Immigrants hingegen rufen noch beim Absender an, um den Eingang einer E-Mail zu bestätigen und arbeiten ihre Arbeiten eher sequentiell, der Reihe nach ab – wohingegen die Digital Natives gerne mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen und sich beim Multi-Tasking durchaus wohl fühlen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Geburtenjahrgänge vor 1970 wohl eher Digital Immigrants sind, wohin gegen die Jahrgänge ab 1980 ziemlich sicher zu den Digital Natives zählen; auch der Begriff „Generation Y“ hat sich für diese Jahrgänge inzwischen etabliert, vielleicht weil Douglas Coupland mit seinem Roman „Generation X“ schon einen Gattungsbegriff für die Jahrgänge zwischen 1970 und 1980 geschaffen hat. Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden Arten ist aber nicht möglich und ist m.E. auch nicht nötig.

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Angeblich kommen Digital Natives mit Multitasking sehr gut zurecht

Derzeit finden jedoch nicht nur technologische Änderungen statt, sondern auch Änderungen im persönlichen Umgang mit und der Einstellung zu den Daten. Je nachdem, wie man selbst zu diesem neuen Umgang mit privaten und persönlichen Informationen steht, wird man wohl am ehesten einen der beiden Begriffe „Sorglosigkeit“ oder „Offenheit“ hierfür verwenden.

Insbesondere die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram haben zu einer wahren Flut an persönlichen – und bestens verwertbaren – Daten geführt. Menschen geben von sich aus preis, wo und mit wem sie gerade unterwegs sind, welche Aktivität sie gerade betreiben und freuen sich darüber, wenn möglichst viele ihrer Kontakte den „Gefällt mir“ Button betätigen. Das befriedigt das menschliche Grundbedürfnis, von seiner Umwelt wahrgenommen zu werden und festigt die Bindung an das jeweilige soziale Netzwerk. Dass hierdurch die im Kapitel 10 beschriebenen Datenschutzbestimmungen ad absurdum geführt werden, nehmen die Mitteilenden meist sogar bewusst und billigend in Kauf.

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Immer auf der Jagd nach dem nächsten „Like“ mit Social Media

Firmen wie Facebook und Google sind hierbei nicht das Problem für den Einzelnen, da bei ihnen jeder weiß, was sie mit den Daten machen: sie werden nämlich verkauft! Ein Klick auf ein Google-Suchergebnis oder gar auf eine Google-Anzeige ist bares Geld wert. Es stellt nämlich einen Gegenwert dar. Jeder, der sich für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung interessiert ist ein potentieller Käufer.

Beispiel: Menschen, die „Halsschmerzen“ als Suchbegriff eingeben, sind potentielle Käufer von Halsschmerztabletten. Nur dass die Halsschmerzen in der Regel vorüber gehen, so dass also der Zeitpunkt der Eingabe dieser Suchanfrage der optimale Zeitpunkt ist, in welchem der Nutzer der Suchmaschine empfänglich für Angebote ist. Er wünscht sich nämlich just in diesem Moment nichts mehr als schnelle Schmerzlinderung. Wenn ihn ein Apotheker genau dann ansprechen würde, wäre der Kauf eines Halsschmerzmittels ziemlich sicher. An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich hinter jeder (!) Suchanfrage ein Bedürfnis befindet, das durch ein Produkt oder eine Dienstleistung befriedigen werden kann.

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Für eine pharmazeutische Beratung dieser Patientin wäre jetzt der optimale Zeitpunkt – die Relevanz und der Bedarf sind offensichtlich!

Die Art und Weise der Informationen, die aktiv geteilt werden, ist dabei übrigens auch für Apotheker interessant. Welchen Heilberufler würde es nicht interessieren, wenn der von ihm therapierte Hypertoniker auf Facebook folgenden Eintrag einstellt: „bin auf dem Oktoberfest und lasse mir erst mal eine Schweinshaxe schmecken. Prost!“

Spinnen wir dieses Beispiel einmal weiter: welche Krankenversicherung würde der eben erwähnte Eintrag denn nicht auch interessieren? Und welche Maßnahmen würde sie denn wohl daraus ableiten? Könnte sich das auf die Beiträge auswirken? Oder, noch weiter gesponnen: könnte eine private Krankenkasse die Aufnahme eines solchen Patienten eventuell sogar ganz ablehnen? Auch ohne den Gedanken des Solidarsystems zu den Akten legen zu wollen, versprechen die hier zu erwartenden Diskussionen sehr interessant zu werden.

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Krankenkassen dürften ein hohes Interesse an persönlichen Daten haben

Manchmal teilt man Informationen übrigens auch, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ein für mich sehr prägnantes Beispiel ereignete sich letzten Herbst, als ich mit meiner Frau in einem Küchenstudio war. Während mein Smartphone im Auto, auf dem Parkplatz, am Ladekabel hängend verblieb, hatte sie ihres in ihrer Handtasche einstecken. Während des Besuchs im Küchenstudio hat sie es nicht benutzt und auch danach niemals aktiv diesen Besuch der Welt (oder dem Internet) bewusst mitgeteilt. Und dennoch bekommt sie, im Gegensatz zu mir, seitdem Werbung für Küchen in ihrem Browser eingeblendet und sogar an ihre private E-Mail-Adresse geschickt. Zufall?

Natürlich nicht. Der Grund hierfür ist, dass jedes Smartphone eine eindeutige Kennung hat und diese von WLAN-Routern aufgespürt werden kann, sofern das Telefon nicht komplett ausgeschaltet ist. In zentralen Datensammelstellen wurde daher wohl ihr Besuch im Küchenstudio registriert und seitdem vermarktet, während mein Smartphone nicht in die Reichweite der Router kam und ich somit für die Küchenvermarkter – noch – nicht als relevante Zielgruppe identifiziert wurde.

„Noch“ deswegen, weil tatsächlich die verschiedenen Computer, die ein bestimmter Mensch nutzt, immer mehr von den intelligenten (smarten) Programmen der Datenvermarkter eben diesem bestimmten Menschen zugeordnet werden können. Suchen Sie doch mal auf Ihrem Smartphone nach einem bestimmten Produkt, wie z.B. einer Kreuzfahrt für ein bestimmtes Gebiet oder von einer bestimmten Reederei. Und dann gehen Sie mal auf Ihrem PC oder Laptop kurze Zeit später auf Google, und schauen Sie mal, was Ihnen da an Werbung eingeblendet wird: natürlich, Kreuzfahrten. Genauso auf Facebook, Twitter usw. – und das, obwohl Sie vorher von genau diesem Gerät aus eben nicht nach der Kreuzfahrt gesucht hatten. „Das Internet“ weiß, wer wir sind und welche Geräte wir nutzen; irgendwo im Hintergrund findet ein akkurates Matching statt, welche Geräte mit eindeutiger Kennung zu welcher natürlichen Person gehören.

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Gibt es absolute Anonymität im Internet?

Vielen Anwendern ist nicht bewusst, dass diese Datenerhebung und –verarbeitung erfolgt und die meisten hätten mit Sicherheit ein Problem damit, wenn sie es wüssten, weil es ja „nur“ kommerziellen Interessen dient. Aber stellen Sie sich nur einmal vor, wie sich diese Einstellung verändern würde, wenn nicht irgendwelche anonymen Konzerne ihre Produkte hierdurch vermarkten würden, sondern der Apotheker des Vertrauens Unterstützung bei der Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit anbieten würde? Auf diesen Ansatz werde ich aber im weiteren Verlauf nochmal kurz eingehen.

Davor aber stellt sich, ganz generell, die Frage: wie lange bleiben denn eigentlich „meine Daten“ in diesem Internet?