Apotheker – gefangen zwischen analog und digital

Der nachfolgende Text basiert auf einem Vortrag, den ich am 19.05.2017 beim Industriepartner-Treffen im Rahmen der gesund leben live Veranstaltung im Internationalen Club des Auswärtigen Amts in Berlin (übrigens in freier Rede!) gehalten habe.

Wir befinden uns schon in einer äußerst spannenden Zeit. Alle reden von Digitalisierung, es hat auch jeder ein Bild vor seinem geistigen Auge, was Digitalisierung eigentlich ist – aber wahrscheinlich unterscheiden sich die Bilder von Mensch zu Mensch gewaltig. Ich denke z.B. gerade an meine Smartwatch, die mir heute schon zweimal mitgeteilt hat, dass ich mich noch ein wenig bewegen soll. Wenn ich jetzt also jetzt ein paar Minuten stehe und kurz durch mein Büro gehe, dann werde ich gelobt. Und wenigstens einmal am Tag tut auch mir ein Wort des Lobes gut, auch wenn es nur von einer Armbanduhr kommt.

Lob ist eine Form der Kommunikation. Und nichts hat sich durch die Digitalisierung mehr geändert als die Kommunikation. Ein paar Beispiele zur Verdeutlichung:

  1. Ein guter Freund von mir hat einen Bekannten, der seit 8 Jahren im Gefängnis ist. Seit letztem Frühjahr befindet er sich im offenen Vollzug und hat regelmäßigen Freigang. Mein Freund hat mir erzählt, dass sein Bekannter beim ersten Freigang die Welt nicht wieder erkannt hat – alle Menschen, die er auf der Straße sah, schauten nur noch auf ihre Handys. Das kannte er nicht!
  2. Dass Handys inzwischen Smartphones heißen und ständige Begleiter sind, die niemals offline gehen und permanent Daten erheben, musste man ihm übrigens auch erklären.
  3. Und natürlich die Smartwatch. Seitdem ich meine habe, könnte ich theoretisch in langweiligen Meetings wieder Mails lesen. Auf dem Smartphone wird das bemerkt (dessen Leuchten spiegelt sich nämlich im Gesicht wieder – achten Sie mal bei Ihrer nächsten Teambesprechung auf den verräterischen bläulichen Schein), aber kurz auf die Uhr schauen ist immer drin. Aber eben nur theoretisch, natürlich habe ich nie langweilige Meetings …

Schauen wir doch als nächstes, wo denn unsere Apotheken in der digitalen Kommunikation heute schon stehen. Hierzu möchte ich gerne ein – nicht fiktives und äußerst plakatives – Beispiel verwenden. In vielen Apotheken gibt es ja sog. „Kosmetiktage„. Da gibt es dann satte 20% Rabatt auf alle Produkte eines bestimmten Herstellers. Beworben wird das Ganze auch heute noch bevorzugt in der Lokalpresse. In dem Beispiel, das ich für diesen Vortrag recherchiert hatte, stand die Werbung der Apotheke direkt über einer Annonce für Rollrasen zum Selbstverlegen …

Inserat_2Wen erreicht die Apotheke denn mit dieser Anzeige? Und zu welchen Kosten? Tut diese Apotheke ihren Kunden, ihren Mitarbeitern und sich selbst als Unternehmen mit so einer Aktion wirklich etwas Gutes?

Und: können wir das im Jahr 2018 nicht besser? Effizienter? Günstiger?

Wie wäre es denn, wenn unsere Apotheke diejenigen Kunden, die Kosmetikprodukte in der Vergangenheit gekauft haben, zum Beispiel in den letzten 6 Monaten, identifizieren könnte? Wenn sie diese in der Offizin ansprechen könnte, weil eine Nachricht in der Warenwirtschaft uns darauf hinweist, dass genau diese Kundin oder dieser Kunde, der jetzt vor uns steht, zur Zielgruppe „Kosmetikkunde“ gehört? Wenn die Apotheke diesen Kunden dann fragt, ob er gerne in eine WhatsApp Gruppe „Kosmetik“ aufgenommen werden möchte? Schon hat man die Zielgruppe höchst effizient zusammen gefasst.

Statt der teuren Annonce in der lokalen Zeitung, wird ab jetzt eine kostenlose Gruppen-Nachricht herumgeschickt. Man sieht sofort, wer sie gelesen hat. Und natürlich muss man dann auch keine 20% Rabatt mehr geben. Es werden ja nur Kunden angesprochen, die ohnehin Kosmetik kaufen, denen geht es mit Sicherheit nicht um den Preis – sondern um die Leistung. Auch die Industrie würde einen solchen Beratungstag mit zielgerichteter Endkunden-Ansprache sicher eher unterstützen, als dabei zuzusehen, wie mit ihren Produkten ein Preiswettbewerb stattfindet, der für alle an der Wertschöpfung Beteiligten unrentabel ist.

Bei der Recherche zu diesem Vortrag hatte ich, wie erwähnt, eine echte Apotheke gegoogelt, welche auch in der Tat die ebenfalls bereits erwähnte Zeitungsanzeige aufgegeben hatte („20% auf alle Artikel von Kosmetikhersteller XY“). Die Inhaberin ist im besten Alter, das Team jung, freundlich, offen – die Homepage dieser Apotheke hinterließ bei mir einen absolut positiven und modernen Eindruck. Ich stellte mir vor, dass all diese sympathischen Menschen, die sich als Mitarbeiter der Apotheke auf der Homepage präsentieren, im privaten Bereich bestimmt schon längst in der digitalen Welt unterwegs sind: WhatsApp und Facebook für die Kommunikation mit Freunden und Familie, bei Amazon wird geshoppt, bei Google wird recherchiert und gesucht, auf Opodo der Urlaub gebucht und so weiter. Und alle finden es toll, wenn man dann obendrein auch noch ein Produkt vorgeschlagen bekommt, das zu 100% auf die eigenen Interessen passt. Weil man es als Kunde durchaus schätzt, relevante Informationen zum richtigen Zeitpunkt präsentiert zu bekommen.

Warum also tun sich – nicht nur die Apotheken, sondern wir uns alle – so schwer damit, das, was wir privat nutzen, auch in ein digitales Angebot für unsere Kunden umzuwandeln? In unserer Branche sind wir alle Teil einer Wertschöpfungskette, vom Hersteller über den Großhandel in die Apotheke bis hin zum Endverbraucher. Auch die NOVENTI, die Unternehmensgruppe für die ich arbeite, ist Teil dieser Kette, agiert dabei aber mehr im Hintergrund mit Software und Dienstleistungen für Apotheken. Wir bewegen also keine Produkte physisch von A nach B – aber jedes Mal, wenn ein Produkt die Apotheke verlässt, wird das in einem unserer Systeme – meist in der Warenwirtschaft oder der Rezeptabrechnung – registriert.

In meinem Berufsleben war eine der wichtigsten Stationen der Vertrieb – denn ohne den Verkauf und Vertrieb von Produkten oder Dienstleistungen fällt jede Wertschöpfungskette in sich zusammen. An meinem ersten Tag im Vertrieb habe ich einen dummen Spruch gelernt, der jedoch eine der wichtigsten Grundregeln für Verkäufer ist:

„Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“.

In unserer Welt sind die Patienten, die Endverbraucher, der Wurm. Also konzentrieren wir unsere Anstrengungen auf das, was ihnen schmeckt. Was interessiert den Patienten und ist relevant für ihn als Kunde? Welche Produkte oder Produktgruppen werden regelmäßig gekauft? Woran leidet der Kunde, womit kann man ihm dabei helfen, dieses Leiden zu mildern und die Heilung zu begünstigen?

Die gute Nachricht: wir haben all diese Informationen bereits. Über Warenwirtschaft und Abrechnung wissen wir zumindest grundsätzlich, wer was wann kauft. Das ist auch die theoretische Grundlage für Produktempfehlungen à la Amazon – diese existiert in den deutschen Apotheken bereits. Ganz sicher sind an jedem Tag in jeder Apotheke unzählige Kunden, die mit einem Produkt aus dem vorhandenen Sortiment richtig glücklich wären. Weil es die Heilung beschleunigt, für Linderung sorgt, die Gesundheit fördert oder die Schönheit unterstreicht. Aber, um auf die Metapher von vorhin zurück zu kommen: wenn der Fisch den Wurm nicht sieht, kann er auch nicht anbeißen.

Hier kommen die kleinen, smarten Geräte, die die Welt verändert haben, ins Spiel. Denn wenn die Qualität und Anzahl der Zusatzempfehlungen, die in Apotheken ausgesprochen werden, und darauf zielten meine letzten Bemerkungen ab, so bleiben wie sie sind, dann darf man sich nicht wundern, dass neue Player auf den Markt drängen. Aber was die können, das können unsere Apotheken in Deutschland doch auch. Sie können es eigentlich sogar noch viel besser! Denn gemeinsam mit den Apothekern sind wir alle Teil einer Wertegemeinschaft aus Industrie, Großhandel, Dienstleistern und Apotheken, die einzig dem Wohl der Patienten verpflichtet ist!

audience-2471232_1920Warum also sprechen die Apotheken den Patienten nicht direkt – und digital – an? Eine für den Kunden relevante Nachricht auf den Kundenmonitoren an der HV-Kasse, oder besser noch, aufs Smartphone oder die Smartwatch – und schon ist die Nachricht beim (richtigen) Empfänger. Mit dem richtigen Inhalt zur richtigen Zeit.

Denn wir haben doch alles, was wir brauchen! Wir haben die Technik und wir haben die Menschen, die Patienten auf einer emotionalen Ebene ansprechen können. Aufgabe von Dienstleistern wie uns ist es, die Kommunikation zwischen Apotheke und Patient zu vereinfachen und zu ermöglichen. Wenn Angebot und Nachfrage dann erst einmal im persönlichen Gespräch sind, bin ich überzeugt: der Fisch wird anbeißen!

Unsere zukünftigen Überlegungen sollten also stets darauf zielen, wer welchen Beitrag leisten kann, damit unsere Branche die Verschmelzung von analog und digital bestmöglich hinbekommt – und es den Apothekern auch weiterhin gelingt, sowohl Heilberufler als auch Kaufmann zu sein …