Disruption als Dauerzustand

Ein häufiges Schlagwort im Zusammenhang mit Digitalisierung ist „Disruption“. Unter einer disruptiven Technologie versteht man eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung teilweise oder sogar vollständig verdrängt.

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Wurde vom Tastentelefon komplett verdrängt: das Telefon mit Wählscheibe

Wenn man außerhalb der Gesundheitsbranche nachschaut, wird man feststellen, dass digitale Disruption schon in vielen Bereichen stattgefunden hat und zum „Normalstatus“ geworden ist. Hier nur ein paar der plakativsten Beispiele:

  • Die größte Taxifirma der Welt besitzt keine Fahrzeuge (UBER)
  • Der größte Anbieter von Übernachtungen besitzt keine Immobilien (AIRBNB)
  • Die größte Medienfirma produziert ihre Inhalte nicht selbst (FACEBOOK)
  • Die größten Softwareverkäufer schreiben die Software nicht selbst (APPLE, GOOGLE, MICROSOFT).

Diese Unternehmen bringen ihren Anwendern großen Nutzen, gleichzeitig setzen sie die etablierten Player im jeweiligen Marktsegment stark unter Druck. Für die Fahrt vom Flughafen ins Zentrum einer europäischen Hauptstadt kürzlich mit UBER habe ich beispielsweise nur 50% von dem Preis gezahlt, den ich sonst immer– für dieselbe Strecke – im Taxi gezahlt habe. Dabei erfolgte der komplette Bezahlvorgang automatisch und ich hatte die Rechnung dann schon fertig im Posteingang meines Mailaccounts. Günstig und unkompliziert – als Anwender bin ich davon natürlich begeistert. Als Taxifahrer hingegen, der die Rechnung noch mit Kugelschreiber auf einen Quittungsblock schreiben muss, hätte ich damit hingegen ein Problem: vergleichbares Produkt mit mehr Komfort und geringerem Preis – wer hier nach den Regeln der Marktwirtschaft auf lange Frist den Kürzeren zieht, ist klar.

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Nützlich, komfortabel und günstig: ist eine App die neue Art der Personenbeförderung?

In Deutschland hat die Taxi-Lobby darauf reagiert – und UBER gerichtlich verbieten lassen. Privatpersonen ohne Lizenz zur Personenbeförderung ist es nicht erlaubt, gewerblich Personen zu befördern – und somit darf UBER bis auf weiteres keine Privatfahrer an Kunden vermitteln. Ob das tatsächlich zum Vorteil der Kunden ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Versicherungsrechtlich mag das noch so sein und auch die Unternehmenskultur bei UBER hat alles andere als einen guten Ruf. Dennoch habe ich meine eigenen Erfahrungen – vor allem mit den Fahrern, die mir voller Stolz die für sie tollsten Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt gezeigt haben – als durchweg positiv empfunden.

Ist damit die Disruption der Personenbeförderung gestoppt? Ich denke nicht. Die Digitalisierung ist kein einmaliges, singuläres Ereignis sondern ein fortlaufender Prozess im Rahmen der technologischen Weiterentwicklung. Und auch die Disruption ist nicht neu oder gar ausschließlich digital. Sie begleitet uns schon seit dem Anbeginn der Zeiten. Hier drei prägnante Beispiele:

  • Die „agrikulturelle Revolution“, also die Erfindung des Ackerbaus, hat vor 10.000 bis 12.000 Jahren aus nomadischen Jägern und Sammlern sesshafte Bauern werden lassen.
  • Die industrielle Revolution Ende des 18. Jahrhunderts hat in einem Zeitraum von gerade einmal 2-3 Generationen unsere komplette Art zu leben verändert.
  • Das Telefon hat unsere Art, miteinander zu kommunizieren, nachhalting verändert. Aber auch hier dauerte es mehrere Generationen, bis diese Technologie nicht nur einigen Privilegierten vorbehalten, sondern allgemein verfügbar war.
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Sinnbild für die industrielle Revolution: die Dampflokomotive

Wir denken zwar, dass uns die Digitalisierung wie eine Revolution erfasst, weil die technologischen Neuerungen (gefühlt) immer schneller kommen. Immerhin ist es noch keine 11 Jahre her, dass das iPhone erstmals vorgestellt wurde – und inzwischen hat sich das Smartphone in allen Lebensbereiche etabliert. So schnell können sich doch Veränderung früher nicht zugetragen haben … sollte man meinen. In einem Vortrag von Dr. Dr. Cay von Fournier in Berlin kürzlich zeigte er u.a. zwei Fotos aus New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf dem ersten, datiert um 1905, sah man die Fifth Avenue voller Pferdekutschen – und dazwischen ein Auto. Im nächsten Bild, datiert auf 1913, sah man die selbe Straße aus leicht anderer Perspektive … nur war sie da bereits voller Autos – und dazwischen stand, ganz verloren, nur noch eine einzige Pferdekutsche im Bild.

Veränderungen sind Teil der Evolution. Im Wirtschaftsleben gelten dabei dieselben Gesetze wie in der Biologie. Wenn wir kleine Zeiträume betrachten, merken wir die Veränderungen meist gar nicht. Eine Funktion mehr auf dem Laptop oder dem Smartphone – wem fällt das schon auf? Aber erst über längere Zeiträume betrachtet, wird die disruptive Kraft von Innovationen wirklich sichtbar. Und das, was der älteren Generation dann neu und fremd erscheint, ist für die nachfolgende Generation bereits Normalität. Für das Geschäftsleben bedeutet das „Survival of the fittest,“ also das Überleben der am besten Angepassten, in seiner Reinform. Leider wissen wir vorab nie, worauf man sich in welchem Zeitraum anpassen muss. Das würde nämlich vieles vereinfachen. So können wir nur konstatieren, dass Disruption ein Dauerzustand ist, oder (5 Euro ins Phrasenschwein): „nichts ist so konstant wie die Veränderung“.

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airbnb schreibt die Regeln der Tourismusbranche neu – was wird das Pendant dazu für die Apotheken in Deutschland/ Europa/ weltweit?

Wer weiß, vielleicht steht den Apotheken ja die große Disruption bereits kurz bevor. Vielleicht haben wir auch noch 10 Jahre lang Zeit, bevor sich dramatische Veränderungen einstellen. Nur DASS sich etwas ändern wird, davon sind inzwischen alle überzeugt. Im Jahr 2009 war ich selbst Zeuge davon, wie der deutsche Apothekenmarkt einmal beinahe und wirklich um ein Haar tiefgreifenden verändert wurde. Die Rede ist natürlich vom 19. Mai 2009 und den EuGH-Urteilen C-171/07 und 172/07 … meine Gedanken hierzu in einem „was-wäre-wenn“ schreibe ich bis nächste Woche nieder.