Mensch vs. Maschine: wem gehört die Zukunft?

Wenn ich mit Apothekern über Digitalisierung spreche, schwingt immer ein wenig Angst mit: werden wir überflüssig? Kann ein Computerprogramm oder gar ein Roboter bald unsere Arbeit erledigen? Was wird aus uns und unserem Berufsstand werden?

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Vernetztes Denken als Sinnbild für Künstliche Intelligenz

Der Fortschritt von Künstlicher Intelligenz (KI) und die immer smarter werdenden Alltagsgegenstände sind in der Tat Vorboten von etwas, das nicht umsonst als technologische Revolution bezeichnet wird. Einer der bekanntesten Vertreter von KI ist das oft auch als „Supercomputer“ bezeichnete Computerprogramm Watson von IBM. Eine Branche, in der IBM mit Watson gute Fortschritte erzielt, ist die Gesundheitsbranche mit all ihren nationalen und sektoralen Silos, in denen Unmengen an Informationen liegen. Informationen, die nicht nur kommerziell, sondern vor allem für die Forschung, höchst wertvoll wären – die aber bis jetzt noch nicht den Weg aus ihren Silos heraus gefunden haben. Eines der herausstechenden Merkmale von KI ist die Fähigkeit, aus Unmengen von Daten Muster zu erkennen. Und das ist in der Tat der vielversprechendste Ansatz, um mit Hilfe von KI der Komplexität im Gesundheitswesen grenzüberschreitend Herr zu werden.

Dr. Tina Moen, eine promovierte Apothekerin aus dem US-Bundesstaat Colorado, ist bei IBM Watson Health als Deputy Chief Health Officer tätig. Am Samstag, den 20. Oktober diesen Jahres, durfte ich einem Vortrag von ihr als Gast beim Apothekenkongress des portugiesischen Apothekerverbandes beiwohnen. Eingangs erläuterte sie (s.u. im Bild), in welchen nicht-klinischen Quellen wie Smartphones, Wearables, sozialen Netzwerken uvm. bereits heute gesundheitsrelevante Daten generiert werden. Nur dass diese eben immer noch nicht in die Gesundheitssysteme integriert sind – obwohl sie oftmals viel aussagekräftigere Informationen über die Therapieprognose enthalten als das reine Patientengespräch. Ihre Forderung, Gesundheit (im Sinne von: Leistungserbringer) und Gesundheitsdaten zusammen zu bringen, halte ich für sehr unterstützenswert.

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Dr. Tina Moen bei ihrem Vortrag

Auch wenn Watson weithin als Pionierleistung im Bereich der Künstlichen Intelligenz bekannt wurde, so verwendet IBM selbst die englische Abkürzung für Künstliche Intelligenz, AI („Artificial Intelligence“) in einem ganz anderen Kontext. Auch darüber berichtete Dr. Moen in ihrem Vortrag: „AI“ heißt in ihrem Unternehmensbereich nämlich „Augmented Intelligence“ – „Erweiterte Intelligenz“. Und das klingt doch gleich viel weniger bedrohlich als künstliche Intelligenz, oder?

Kennzeichnend für Augmented Intelligence im „IBM’schen Sinne“ sei eben nicht die absolute Überlegenheit einer Maschine bzw. eines kognitiven Systems. Vielmehr bringt sowohl der Mensch als auch der Computer seine jeweiligen Stärken in die erweiterte Intelligenz ein. Und erst durch dieses gezielte Zusammenwirken entsteht der Mehrwert in ihrer Forschungsarbeit und seien bisher die bahnbrechendsten Weichenstellungen gelungen. Wie das nächste Bild zeigt, haben Mensch und Maschine unterschiedliche Kompetenzen – die sich aber durchaus ergänzen können:IMG_0232Menschen übertreffen Computer immer noch in den Bereichen

  • Vernunft (ein Synonym dafür ist nicht umsonst der „gesunde Menschenverstand“)
  • Dilemma (Pattsituation zwischen zwei oder mehreren Handlungsoptionen – dieses Gefühl ist künstlicher Intelligenz wesensfremd)
  • Moralvorstellungen (Menschen werden diese anerzogen – Computer folgen lediglich ihren Programmroutinen)
  • Mitgefühl
  • Vorstellungskraft, Phantasie
  • Träume
  • Abstraktionsvermögen
    sowie die (manchmal anstrengende Fähigkeit zur)
  • Verallgemeinerung

Kognitive Systeme wie Supercomputer und KI sind inzwischen ausgezeichnet bei

  • dem Verstehen von natürlicher Sprache
  • Mustererkennung
  • dem Finden von Wissen, also dem schnellen und gezielten Auffinden des Speicherortes von Informationen
  • Maschinellem Lernen, also dem Lernen aus Unmengen von Beispielen, woraus die Maschine dann lernt, vom Besonderen aufs Allgemeine zurück zu schließen
  • der Minimierung von statistischen Verzerrungen

Außerdem ist die Kapazität von Rechnern inzwischen nahezu unbegrenzt und sie arbeiten rund um die Uhr.

Wenn ich die obige Auflistung lese, habe ich allerdings mehr Angst um den Anwaltsberuf als um den des Apothekers. Insbesondere die ersten 4 Punkte erinnern mich stark an die Aufgaben, die einen Großteil meines Jurastudiums ausgemacht haben. Wobei die Fähigkeit, Wissen schnell zu finden und Muster zu erkennen, natürlich nicht unfehlbar macht. Aber man bekommt die Grundlagen, die man für ein Urteil benötigt, schneller serviert als jemals zuvor.

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Anwälte und Richter: vom Aussterben bedrohte Berufe?

Und das Bilden eines Urteils ist natürlich auch fester Bestandteil des Apothekerberufs. Eine gute Beratung setzt voraus, dass man sich emotional in sein Gegenüber hineinversetzen kann und auf der rationalen Ebene die Informationen abrufen kann, die man zum Geben guter Ratschläge benötgt. Die emotionale Ebene werden wir Menschen sicherlich noch auf lange Sicht besetzen. Aber das „Zubereiten“ von Sachinformationen, womöglich noch aus einem unermesslichen Pool an Informationen – dafür aber rasiermesserscharf zugeschnitten auf die aktuelle Situation und den jetzt betroffenen Menschen … wie dumm wären wir, diese Möglichkeit nicht wahr zu nehmen?

Apotheker sollten daher verstärkt ihre eigenen emotionalen und empathischen Fähigkeiten investieren und in die ihrer Mitarbeiter. Diese „menschlichen“ Faktoren werden mehr und mehr zum alleinigen Differenzierungsfaktor. Wenn die Apotheker darauf setzen, wird es am Ende nicht auf „Mensch gegen Maschine“ hinauslaufen, sondern werden Mensch und Maschine als erweiterte Intelligenz gemeinsam für eine bessere Gesundheitsversorgung zusammen arbeiten.