e-Rezept? Na denn man tau!

Ende Januar berichtete der NDR über den Start eines Modellprojekts der Techniker Krankenkasse (TK) zur Einführung des eRezepts im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Noch vor Erscheinen des NDR-Berichts erschienen erste Berichte auf apotheke-adhoc (hier, hier und hier verlinkt). Am 01.02.2019 berichtete dann auch das Ärzteblatt über das Projekt. Und auch im Blog der TK gibt es einen Beitrag mit dem Titel „Schluss mit der Zettelwirtschaft“ vom 31.01.2019.

Grund genug für mich, die öffentlich verfügbaren Informationen einmal zusammen zu führen und eine Einschätzung abzugeben, die natürlich nur meine ganz persönliche Sicht darstellen kann.

Der Ablauf aus Patientensicht

TK-Versicherte erhalten während der Pilotphase, die zunächst auf den Hamburger Stadtteil Wandsbek begrenzt ist, in der Arztpraxis einen QR-Code sowie ein Abbild des bekannten „rosa“ Rezepts in einer App namens „LifeTime“ fürs Smartphone. Diese App kann man sich kostenfrei im App Store oder im Google Play Store herunterladen. Als Hauptanwendungsfelder von LifeTime werden im Store Einnahmeerinnerungen für Arzneimittel sowie die digitale Abspeicherung von Befunden aufgeführt. Der digitale Transport von eRezepten in die Apotheke wird in den Stores übrigens (noch?) nicht erwähnt.

qr-code-1903447_1920Bei der Einlösung des Rezeptes scannt die Apotheke dann den QR-Code vom Smartphone des Patienten ein und gibt anschließend das verordnete Arzneimittel ab. Tatsächlich ist der QR-Code dabei entscheidend: selbst bei einem Verlust des Handys bzw. wenn Patienten ohne Handy an dem Modellprojekt teilnehmen wollten, wäre das möglich. Denn es wäre wohl ausreichend, die im QR-Code verschlüsselte Zeichenfolge in Form einer SMS oder sogar handschriftlich auf einem Zettel vorzuzeigen. Alleine damit könnte die Apotheke ihre Berechtigung zum Abruf des eRezepts vom Arztsystem nachweisen. Die App ist also „nur“ der Bote. Natürlich ist die Oberfläche von LifeTime optisch durchaus ansprechend umgesetzt und auch die bereits erwähnten Hauptanwendungsfälle dürften vor allem für chronisch Kranke interessant sein.

Es ändert sich für den Patienten also zunächst nicht viel. Sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Angaben nach § 2 Absatz 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) werden elektronisch auf dem Arztsystem abgelegt und können über den QR-Code von der Apotheke von dort abgerufen werden.

Der Ablauf in der Apotheke

Im Modellversuch ist das eRezept, auch wenn dieses Erklärvideo der TK etwas anderes vermuten lässt, nicht in die Warenwirtschaftssysteme integriert. Nach Übertragung und Abruf des eRezepts von der Arztpraxis in die Apotheke müssen also die Daten ein zweites Mal in der Warenwirtschaft erfasst werden, damit Buch- und Bestandsführung korrekt sind. Beim Scannen des QR-Codes des Patienten wird der Code nach erfolger Echtheitsprüfung entwertet, damit das eRezept aus dem Kreislauf genommen wird und kein zweites Mal eingelöst werden kann.

Die Rezeptabrechnung hingegen erfolgt in der Modellphase automatisch zwischen der teilnehmenden Apotheke, dem Abrechenzentrum König IDV und der TK. Hierin liegt auch die eigentliche Intelligenz der eingesetzten Technologie. Bisher erfolgt bei Abrechenzentren eine Wandlung des papiergebundenen Rezepts in einen elektronischen Datensatz. Dabei kann es passieren, dass auf einem Rezept ein Taxierungsfehler entdeckt wird. Dieser kann dann in Absprache mit der Apotheke nachträglich, aber vor Übermittlung des Datensatzes an die Krankenkasse, geheilt werden. Insofern hatte der bisherige Medienbruch durchaus etwas Positives.

Datenschutz und Technologie

Das eRezept mit all seinen sensiblen und definitiv schützenswerten Daten liegt nicht innerhalb der LifeTime App. Somit hat deren Betreiber, der ja weder Krankenkasse noch Angehöriger einer zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufsgruppe ist, auf diese Daten keinen Zugriff. Wie in allen Berichten zu lesen ist, versichern die Betreiber, dass der Übertragungsweg Ende-zu-Ende verschlüsselt ist. Die Rezeptdaten liegen bis zum Abruf durch die Apotheke dezentral in der Arztpraxis. Der Abruf des Rezept wiederum erfolgt durch einen sog. „VPN-Tunnel„. Tatsächlich entspricht diese Verschlüsselung einem allgemein akzeptierten, aktuellen Sicherheitsstandard.

Die Abkürzung VPN steht für „Virtuelles Privates Netzwerk.“ Hauptmerkmale sind, dass sich dabei zwei Netzwerke – hier Arzt und Apotheke – über das Internet virtuell miteinander verbinden. Sie tun also so, als wären sie ein in sich geschlossenes Netzwerk. Daten, die zwischen den beiden Netzwerken über das grundsätzlich offene Internet ausgetauscht werden, sind dabei verschlüsselt. Außerdem benötigen die beiden Netzwerke zur Koppplung miteinander eine sichere Authentifizierung. Ein häufiges Anwendungsbeispiel für VPN sind Home-Office-Arbeitsplätze. Über VPN kann der von zu Hause aus arbeitende Mitarbeiter sich so ins Firmennetz einwählen, als wäre er im Büro und erhält dadurch Zugriff auf alle ihm freigegeben Daten, die ansonsten von außerhalb nicht erreichbar wären.

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Heimarbeitsplatz (nicht der des Autors!) mit VPN-Verbindung

Dr. Jens Baas, der Vorstandsvorsitzende der TK, lässt sich im eingangs verlinkten Blog der TK wie folgt zitieren: „Die Technik zum elektronischen Rezept ist längst vorhanden – die Herausforderung liegt darin, dass sich Patienten, Ärzte, Apotheken und Krankenkassen über eine gemeinsame Schnittstelle einigen. Wir wollen keine Insellösungen bauen, sondern ein System, das für alle offen ist.

Bezug genommen wird in dem Zitat auf die Telematikinfrastruktur (TI), mit der alle Akteure im Gesundheitswesen miteinander vernetzt werden solle. Sie befindet sich seit einiger Zeit im Aufbau. Der zwingende Anschluss aller Arztpraxen wurde im E-Health-Gesetz, das Ende 2015 in Kraft getreten ist, auch beschlossen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz eine weitere Fristverlängerung bis zum 30. Juni 2019 beschlossen. Verantwortlich für den Aufbau, Betrieb und Weiterentwicklung der TI ist die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik). Deren Gesellschafter sind die Spitzenverbände des deutschen Gesundheitswesens: Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV), KBV, Bundesärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Bundeszahnärztekammer und der Deutsche Apothekerverband.

Wurden also die Vorgaben der TI – auf die ich aus Platzgründen an dieser Stelle nicht näher eingehen werde – im Hamburger Modellprojekt berücksichtigt? Laut einer Pressemitteilung des Abrechenzentrums König IDV wird bei der Umsetzung des E-Rezeptes die Basistechnologie der ehealth-tec GmbH, an der die Versandapotheke „Zur Rose“ beteiligt ist, eingesetzt. Merkmale der Lösung seien eine dezentrale Software, sichere Abläufe für elektronische Rezepte von der Erstellung über die Signatur bis zur verschlüsselten Kommunikation zwischen den diversen Arzt- und Apothekensystemen. Die Abbildung der Qualifizierten Elektronischen Signatur (QES) erfolge über bundesweit anerkannte Zertifizierungsstellen. Ein Blick auf die FAQ der gematik klärt auf:

network-1614045_1920„Die Telematikinfrastruktur ist das sichere Netz des deutschen Gesundheitswesens und vom Internet getrennt. Zugang zur Telematikinfrastruktur erhalten nur Personen und Organisationen, die ihre Identität zuvor elektronisch nachgewiesen haben. Auch alle Systeme, die sich in der Telematikinfrastruktur befinden oder an sie angebunden sind, weisen ihre Identität vor jedem Kommunikationsvorgang nach.“

Mein Fazit

Offene Schnittstellen und Softwareprodukte, die TI-konform sind. Dazu gesellt sich die mit über 11 Millionen Versicherten (Stand 01.01.2019) größte gesetzliche Krankenkasse Deutschlands. Letztere hat das Projekt sogar in ihre Gesamtstrategie eingebettet: sie will nach Abschluss des Projektes das eRezept als Teil der in Kooperation mit der IBM Deutschland GmbH entwickelten elektronischen Gesundheitsakte „TK-Safe“ bundesweit zur Verfügung stellen. Ergänzt von einem Hamburger Apotheker, der ganz hanseatisch „denn man tau!“ (dann mal los) macht und dazu mit dem Diabetes-Zentrum in seinem Stadtteil kooperiert. Nach einem Rohrkrepierer klingt das zumindest einmal nicht. Lediglich die fehlende Integration in die Apothekenwarenwirtschaftssysteme ist sicherlich nicht der Prozessökonomie letzter Schluß.

Vor Kurzem habe ich in diesem Blog geschrieben, dass für die Digitalisierung jeder selbst verantwortlich ist. In Hamburg-Wandsbek scheinen sich Partner gefunden haben, die jetzt nach genau diesem Motto ins TUN kommen. Wie erfolgreich das Ganze sein wird, ob es nur ein zum Scheitern verurteilter Versuch, eine Übergangslösung oder der Beginn des eRezepts in Deutschand ist, möchte ich nicht beurteilen. Immerhin gibt es da auch noch die kürzlich bekannt gewordenen Pläne von Jens Spahn durch Übernahme von 51 Prozent der Geschäftsanteile die gematik zu „kapern,“ wodurch noch einmal zusätzliche Dynamik in dieses Thema kommen könnte.

Auf jeden Fall handelt es sich um ein äußerst spannendes Thema für jeden, der an der Digitalisierung des Gesundheitswesens interessiert ist. Ich selbst werde jedenfalls mit Spannung die weitere Entwicklung verfolgen.