Wie weiblich ist die Digitalisierung?

Steve Jobs, Bill Gates, Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos – egal, ob man über Apple, Microsoft, Facebook oder Amazon redet – die Köpfe, die man mit erfolgreichen Digitalunternehmen verbindet, sind ausnahmslos männlich. Und das ist nicht nur im Silicon Valley so. Auch bei uns in Deutschland denkt man beim Stichwort „Digitalisierung“ schnell an Namen wie die von Oliver Samwer (Rocket Internet, Investor von u.a. Zalando), Lars Hinrichs (Gründer von Xing) oder die der Gründer von SAP, Hans-Werner Hector, Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Klaus Tschira und Claus Wellenreuther. Die Digitalisierung wird offensichtlich von Männern dominiert und somit auch von ihnen gestaltet.

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Digitalisierung – It’s a man’s world

Schlüssig ist das, weil digitale Geschäftsmodelle stets durch bestimmte Schlüsseltechnologien ermöglicht werden. Und, allen Geschlechterklischees zum Trotz, Berufe und Studiengänge mit technologischem Schwerpunkt sind auch im Jahr 2019 eine klare Männerdomäne. An der Universität Duisburg-Essen ist in den Jahren 1997 bis 2009 zwar der Frauenanteil in den Ingenieurswissenschaften von 17 auf 24 Prozent gestiegen – dort verweilt er aber seitdem auch.

Diese Quote ist aber für die Gesamtbevölkerung nicht repräsentativ, dort dürfte sie in etwa bei 50% liegen. Somit wird auch die Geschlechterverteilung unter den Kunden Ihrer Apotheke bei ungefähr 50/50 liegen. Interessant wird es, wenn man die Frauenquote bei den Mitarbeiterinnen in der öffentlichen Apotheke anschaut: diese liegt laut ABDA bei Inhabern und Beschäftigten bei knapp 90 Prozent. Zahlen, wie sich die Geschlechter auf die Kunden in Apotheken verteilen, sind schwer zu finden. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass auch die Versorgung der Familie mit Arzneimitteln tendenziell eher von Frauen erledigt wird.

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Das Erledigen von Besorgungen ist immer noch überwiegend Frauensache – Klischee oder Realität?

Um also die beiden Hauptzielgruppen in der Apotheke anzusprechen – Mitarbeiterinnen und Kundinnen – sollten digitale Angebote auch auf diese zugeschnitten sein. Ich habe dazu auf Twitter einen Tweet gefunden, den ich als symptomatisch für den aktuellen Status Quo halte:

Mann: „Ich verstehe nicht, warum jemand einen @fitbit benötigt, wenn doch Smartphones meine Aktivität tracken.“

Ich: „Frauenbekleidung hat meistens keine Taschen.“

Der Tweet stammt von Lisa Qualtieri, der Gründerin von RecycleHealth, einem Unternehmen, dem man gebrauchte Wearables spenden kann. Dort werden sie instand gesetzt und einer sinnvollen Zweitverwertung zugeführt, beispielsweise bei bedürftigen Familien. Frauenbekleidung hat meistens keine Taschen, also braucht es Wearables (wie den im Tweet erwähnten Fitbit), wenn Frauen ihre Fitness messen wollen – denn für das Smartphone, welches die Aktivität ja auch messen würde, gibt es keine Taschen. Eine eigentlich simple, ja geradezu naheliegende Einsicht – mit weitreichenden Implikationen.smart-life-2654721_1280

Verbleiben wir noch ein wenig auf dieser Metaebene nicht-apothekenspezifischer digitaler Gesundheits-Tools und vertiefen wir ein wenig die Suche nach Kundenbedürfnissen. Laut Statista ist die am vierthäufigsten (!) heruntergeladene Gesundheits-App eine Anwendung zum Tracken der Periode. Betriebswirtschaftler würden sagen, dass es hier also eine Riesennachfrage gibt. Dennoch scheint es schwierig zu sein, diese mit passenden Angeboten zu befriedigen. Zwei Tests anderer Apps, die ich gelesen habe, berichten von der (inzwischen behobenen) Unmöglichkeit, die fruchtbaren Tage nicht anzeigen zu lassen – die Testerin wollte einfach nicht schwanger werden – oder der schieren Unmöglichkeit, den Zyklus nach einem Schwangerschaftsabbruch wieder richtig einzustellen. Auch bei Fitbit und Apple Health konnten Frauen ihren Zyklus bis Mitte 2018 nicht hinterlegen, obwohl er auf Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden generell massive Auswirkungen hat. Wenn es also schon solche offensichtlichen Konstruktionsfehler gibt – wie will man sich da auf die Aussagen und Empfehlungen dieser Apps verlassen können?

Apotheken sind bis hierhin zumindest indirekt betroffen. Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Trend. Somit setzen sich mehr und mehr Apotheken auch mit Gesundheits-Apps auseinander, um diese ihren Kunden im Bedarfsfall auch empfehlen zu können. Das ist nicht nur sinnvoll, sondern auch richtig, um die digitale Zukunft mitgestalten zu können. Was aber nun, wenn Ihre Kundin tatsächlich schwanger werden will und die von Ihnen empfohlene App zur Ermittlung der fruchtbaren Tage so unzuverlässig ist, wie im letzten Absatz beschrieben? Welcher männliche Apotheker (oder PTA) könnte guten Gewissens behaupten, all diese Eventualitäten nicht nur zu kennen, sondern auch getestet zu haben?

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Vermeiden Sie vermeidbare Kundenreklamationen … nur wie?

Direkt betroffen sind Sie als ApothekerIn spätestens dann, wenn sich weder die Kundinnen noch die Mitarbeiterinnen von Ihren digitalen Angeboten angesprochen fühlen. Keine Sorge, Sie müssen jetzt keine rosa Schleifchen und Einhörner in Ihre Vorbestell-App einbauen. Aber drei ganz allgemeine Tipps, worauf Sie achten sollten (egal ob es sich um eine App, eine Homepage/ Shop oder ein sonstiges Tool handelt), habe ich hier:

  • Einfachheit: Frauen sind (vgl.o. die Anzahl von Frauen in Ingenieursberufen) selten Tüftler. Apps zur (Vor-) Bestellung von Arzneimitteln sollten also möglichst einfach zum Ziel führen. Weder Ihre Kundinnen noch Ihre Mitarbeiterinnen benötigen 50 unterschiedliche Konfigurationsmöglichkeiten.
  • Relevanz: Ihre Kundinnen müssen sich in Ihrem Angebot sofort wiederfinden. Wenn das erste, was Ihre Kundinnen sehen, Werbung für Mittel gegen erektile Dysfunktion oder Haarausfall ist, haben Sie das Thema verfehlt. Hier hilft ein vorgeschaltetes Login, mit dem sich Besucher identifizieren, was dann auch die geschlechtsspezifische Präsentation von Lösungen ermöglicht.
  • Beantworten sie die „Instagram-Frage“: würden Sie das, was Sie digital präsentieren, auch auf Instagram posten? Wenn Sie hierauf uneingeschränkt mit ja antworten, dann sprechen die Indizien dafür, dass es auch Ihrer Zielgruppe gefallen würde.

Natürlich möchte ich abschließend klarstellen, dass sich Frauengesundheit nicht auf das Tracken der Periode und den Schwangerschaftswunsch reduzieren lässt. Jedoch werden andere „typisch weibliche“ Gesundheitsthemen wie Wechseljahre, Früherkennung von Krebs, Probleme beim Stillen oder Blasenschwäche bis jetzt digital noch so gut wie gar nicht berücksichtigt.

Angesichts der Größe der Zielgruppe denke ich, dass es Zeit ist für die Gründung eines „FemHealthTech-Startups.“ Und warum sollte dieses nicht aus der Apothekerschaft kommen? Die hierfür benötigten Eigenschaften wie Gesundheitskompetenz, Vertrauen und ein hoher Frauenanteil wären jedenfalls vorhanden …