Digitale Therapeutika

Unter Digitalen Therapeutika, oder kurz DTx, versteht man Therapieverfahren, die digitale Technologien nutzen, um physische oder psychische Erkrankungen zu behandeln oder zu verhüten. Üblicher Weise sollen DTx-Tools Verhaltensänderungen oder Änderungen des Lebensstils bewirken. Außerdem fallen bei der Benutzung der Programme Gesundheitsdaten an, die anschließend analysiert werden können, um daraus wiederum für jeden Patienten individuelle Empfehlungen abzuleiten. Bereits heute gibt es Digitale Therapeutika für die verschiedensten Indikationsgebiete, wie z.B. mySugr für Diabetes mellitus, MyTherapy für Herzinsuffizienz, Posita für Adipositas, APDS für Alzheimer, oder ARYA für Depressionen und Angststörungen.smartphone-1894723_1920

Der weltweite Markt für digitale Therapeutika wird voraussichtlich von 1,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 auf 9,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 ansteigen. Das ist verschwindend wenig Geld, wenn man die lediglich schätzbaren Kosten für Non-Compliance (also die Unzuverlässigkeit des Patienten, eine Therapieanordnung zu befolgen) dazu ins Verhältnis setzt: pro Jahr werden hierfür in den USA bis zu 300 Milliarden US-Dollar angesetzt, in Deutschland ca. 10 Milliarden Euro und selbst in Großbritannien rechnet der NHS mit jährlich 500 Millionen Pfund. Der Vorteil digitaler Therapeutika wiederum liegt vor allem darin, dass Patienten dabei unterstütz werden, die von einem Arzt verordnete Therapie genauer einzuhalten. Das kommt letztlich auch den Apotheken zu Gute, denn jeder Patient, der seine Therapie abbricht, ist auch als Apothekenkunde verloren. Durch DTx hingegen wird die Gesundheit eines Menschen ähnlich wie durch ein Medikament verbessert, jedoch ohne deren Kosten und Nebenwirkungen. Sie können in Kombination mit Medikamenten oder anstelle von ihnen verwendet werden und umfassen alles von der App bis zur erweiterten virtuellen Realität.

Ich selbst nutze zum Beispiel ebenfalls eine App, die mich morgens und abends an die Einnahme meiner Arzneimittel erinnert. Wenn ich zu Hause bin, brauche ich die App nicht unbedingt, denn dort habe ich das Einnehmen der Tabletten in meinen Tagesablauf integriert. Aber insbesondere in den letzten Jahren, in denen ich häufig beruflich unterwegs gewesen bin und in Hotels übernachtet habe – also nicht in meiner gewohnten Umgebung war – hätte ich ohne diese App wiederholt meine Therapie ungewollt unterbrochen. Eben weil die Abläufe anders sind als zu Hause, brauche ich auf Reisen die Erinnerung an meine Medikamente, weil ich es sonst schlicht und einfach vergesse.

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Erinnert mich, wie eine Pillendose, an die Einnahme: meine Medikations-App

Aber auch bei Big Pharma sind DTx längst im Fokus. In einer Pressemitteilung aus dem April 2018 verkündete die Novartis-Tochter Sandoz, dass sie eine Entwicklungs- und Kommerzialisierungs-Kooperation mit Pear Therapeutics eingehen wolle. Dabei solle Sandoz das Know-How bei der Einführung und Vermarktung von Therapien und Pear die Erfahrung in der Entwicklung von Digitalen Therapeutika einbringen. Pear entwickle verschreibungspflichtige (!) Digitale Therapeutika für klinisch erprobte Behandlungen – wie zum Beispiel Verhaltenstherapien – über mobile und Desktop-Anwendungen. In den USA können diese nach der Zulassung durch die zuständige Behörde FDA in Verbindung mit Arzneimitteln verordnet werden. Bereits von der FDA zugelassen ist „reSET“ , ein DTx von Pear Therapeutics zur Behandlung von Substanzenmissbrauch (Alkohol, Medikamente).

Und im Januar verkündete der japanische Pharmahersteller Otsuka Pharmaceutical die Unterschrift eines Kooperationsvertrags mit Click Therapeutics, um digitale Therapien für Patienten mit schweren Depressionen zu entwickeln. Wert dieses Deals: bis zu 300 Millionen US-Dollar. Interessant an dieser Mitteilung ist, dass hier zwei Unternehmen den Weg der Zusammenarbeit gewählt haben – und nicht das kleine DTx-Start-Up versucht hat, den Pharmariesen disruptiv anzugreifen. Tatsächlich könnten Unternehmen mit therapeutischen Produkten durch solche Partnerschaften einen schnelleren Weg zur Marktreife finden, wenn sie eindeutige Beweise liefern können, dass diese ursächlich für bessere Patientenergebnisse sind. Von daher sind die vielversprechendsten DTx solche, die unmittelbar Feedback über das Befinden des Patienten ermöglichen – und genau dadurch den Kreis zu den Leistungserbringern schließen. Nur wem diese Informationen – möglichst in Echtzeit – vorliegen, kennt den Zustand seiner Patienten so genau, dass er diese auch optimal beraten kann. Und das zahlt natürlich voll auf den Datenschatz, den gemeinsamen Datenpool der Apothekerschaft, ein, von dem im letzten Beitrag die Rede war. Natürlich sollte jegliches Feedback von Patienten gleichermaßen auch den Ärzten zugänglich gemacht werden.

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PROMs (patient reported outcome measures) – also Patientenfeedback in Echtzeit – sind ein wichtiger Baustein von Digitalen Therapeutika

Meine eigene Meinung, dass die Empfehlung einer passenden therapieunterstützenden App künftig zur pharmazeutischen Beratung gehören wird, habe ich schon häufig geäußert. Und anscheinend bin ich mit dieser Meinung nicht alleine. Im Referentenentwurf zum „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (kurz: Digitale Versorgung Gesetz) steht u.a., dass Ärzte ihren Patienten künftig Gesundheits-Apps verschreiben dürfen sollen. Dadurch wird ein Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen geschaffen und ein Verfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte etabliert, mit dem über die Leistungserbringung in der Regelversorgung entschieden wird. Für Digitale Gesundheitsanwendungen soll in §33a SGB V eine Legaldefinition eingeführt werden, welche die Kriterien festlegt, damit ein DTx auch bei uns durch die Krankenkassen erstattet wird.

Da ich selbst als Chroniker eine App nutze, bewerte ich ihren Einsatz in der Versorgung natürlich als äußerst sinnvoll. Wo ich einzelnen Stimmen, die sich inzwischen mit Bedenken erheben, aber durchaus Recht gebe: es darf natürlich nicht sein, dass sich der einzelne Arzt oder Apotheker mit einer Flut verschiedener DTx beschäftigen und genau wissen muss, welche Krankenkasse welche Anwendung erstattet. Neben der Vorschaltung einer angemessenen und effizienten Nutzenbewertung benötigt es daher auch ein amtliches Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen. Laut Referentenentwurf soll dieses aber sogar tatsächlich ebenfalls vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geführt werden.

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Wird ihren Weg ins Gesetz finden: die Erstattungsfähigkeit von Digitalen Therapeutika

Bereiten wir uns also innerlich schon mal auf den künftigen Abspanntext am Ende von Fernsehwerbung für DTx-Apps vor:

Zu Risiken, Nebenwirkungen und Installationshinweisen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!