Prävention statt Pillen?

Vergangene Woche verkündete das britische nationale Gesundheitssystem (National Health Service, oder kurz NHS), dass es künftig Wearables zur Prävention einsetzen werde bei Personen, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, an Diabetes vom Typ 2 zu erkranken. In der Meldung, die u.a. auf der Webseite Pharmacy Business veröffentlicht wurde, heißt es weiter, dass dies dem Ausbau des Diabetes Präventionsprogramms (DPP) diene, einem der größten Erfolge in der Geschichte des NHS.

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Dauerhafte Messung statt gelegentlichem Pieksen – eine neue Initiative des britischen NHS will Typ-2-Diabetes eindämmen.

Die Teilnehmer des Dienstes erhalten Wearables, mit denen die Einhaltung von Übungen kontrolliert werden können. Außerdem gehören zum digitalen DPP-Angebot auch Apps, mit denen die Benutzer auf Gesundheits-Coaches und Weiterbildungsangebote zugreifen können, sowie Online-Selbsthilfegruppen, mit denen Patienten ihre Ziele untereinander elektronisch festlegen und gegenseitig überwachen können.

Nach eigenen Angaben hat das DPP bereits Tausenden von Menschen geholfen, in Summe gut 60.000 Kilogramm abzunehmen. Die Kapazitäten des Programms werden nun aufgestockt, so dass jährlich 200.000 Menschen darauf zugreifen können. Fast vier Millionen Menschen in England leiden bereits an Typ-2-Diabetes; der NHS gibt jährlich mehr als 6 Milliarden Pfund für die Behandlung der Krankheit aus. Ein Pilotprojekt vor dem jetzt anstehenden Rollout hat gezeigt, dass die digitale Version des DPP das Potenzial hat, einen noch größeren Personenkreis zur Teilnahme zu bewegen. Dies wird als entscheidender Schritt gesehen, um mehr Menschen mit hohem Typ-2-Diabetes-Risiko zu erreichen, und so die zunehmende Prävalenz dieser Erkrankung zu verringern.diabetes-1326964_1280

Während es noch vor wenigen Jahren ausreichend war, 3-4 mal am Tag den Blutzuckerwert zu messen, so gibt es heute Geräte, die den Glucosewert kontinuierlich messen. Durch diese tagesgenauen und patientenindividuellen Daten ist eine deutlich bessere Einschätzung und Überwachung der Patientengesundheit durch Angehörige von Heilberufen möglich. Und weil diese Geräte natürlich mit dem Internet verbunden sind, können Beratungsgespräche auch von der Ferne aus statt finden.

Welche relevanten Patientendaten können durch digitale Tools wie Smartphones, Wearables und sonstigen Sensoren neben dem Glucosegehalt eigentlich sonst noch erhoben werden? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit fallen mir ein:

  • Körperhaltung und -position
  • Muskelaktivität und körperliche Bewegung
  • Blutdruck sowie Herzfrequenz und -rhythmus
  • Sauerstoffgehalt und Atemfrequenz
  • Flüssigkeitszufuhr
  • Körpertemperatur
  • Gehirnaktivität
  • Schlafdauer und -qualität
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Die lückenlose Dokumentation von Gesundheitsparametern ist dank digitaler Tools heute möglich.

All diese Informationen können von den Heilberufen vor allem dafür genutzt werden, um dem Ausbruch von Krankheiten vorzubeugen, also für die Prävention. Und damit stellt sich die Frage: wo passt die Apotheke da in Zukunft noch hin? Immerhin erzielen Apotheken den Großteil ihrer Einnahmen durch den Verkauf von Arzneimitteln, also Produkten, die überwiegend zur Heilung von Krankheiten eingesetzt werden. Wenn es tatsächlich gelingen sollte, den Ausbruch von Krankheiten durch den Einsatz digitaler Helfer zu verringern, so werden Apotheken nicht umhin kommen, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.

Also gilt es für Apotheken primär, sich die bereits heute vorhandenen Patientendaten zu Nutze zu machen. Beispielsweise gibt es bei dem Management von Medikamenten schon heute enorme Möglichkeiten – man denke nur an die Unmenge an Tools zur Optimierung des Warenlagers. Außerdem muss sich meines Erachtens die Apothekerschaft noch viel aktiver als Garant für die Verbesserung der Adhärenz darstellen; Krankheiten werden auch trotz Digitalisierung niemals ganz verschwinden. Auch hierfür gibt es bereits Tools, bei denen Chroniker die Einnahme ihrer Arzneimittel auf dem Smartphone quittieren können. Was spricht dagegen, diese Einnahmen auch seiner Apotheke zu übermitteln? Alleine dadurch ergibt sich immenser Spielraum zur Kommunikation zwischen Apotheke und Patient, z.B. zur Bewertung der Patientensicherheit und der Einleitung geeigneter Maßnahmen im Bedarfsfall.computer-3343887_1920

Der Patient, der niemals offline geht, wird sich für nahezu alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen als nützlich erweisen. Physiotherapeuten sehen den Erfolg ihrer Maßnahmen im täglichen Dashboard der über das Internet-of-Things angeschlossenen Patienten und ihrer Smartphones und Wearables. Ärzte können chronische Krankheiten von der Ferne aus überwachen und managen. Nur noch bei Bedarf wird ein persönlicher Termin mit dem Patienten notwendig sein und vereinbart. Krankenhäuser und Arztpraxen werden ausschließlich für Notfälle, schwer kranke Patienten und Reha-Maßnahmen vorbehalten sein. Patienten hingegen, die lediglich überwacht werden müssen, können zu Hause bleiben. Routinebesuche werden durch die Verwendung digitaler medizinischer Interventionen ersetzt.

Die Apotheke wird immer mehr zur Schnittstelle zwischen Patient und Arzt werden. Sie kann optimal für die Fernüberwachung und -behandlung bestimmter Krankheiten eingesetzt werden, da dank der digitalen Technologie die Kosten und der Platzbedarf in Kliniken und Praxen weiter zurück gehen werden. Der erste Schritt in diese Richtung ist das Digitale Versorgung Gesetz mit dem darin verankerten Anspruch der Versicherten auf Erstattung von digitalen Gesundheitsanwendungen durch die gesetzlichen Krankenkassen. In diesem Bereich müssen sich die Apotheken mit Kompetenz und Empathie jetzt positionieren.

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Digitale Helfer – bald auf Rezept in der Apotheke?

Werden die hierin geschilderten Änderungen über Nacht geschehen? Wohl kaum, aber das Beispiel des NHS zeigt erneut, dass uns drastische Änderungen bevorstehen. Das Zeitalter der digitalen Apotheke steht nicht mehr bevor – es hat bereits begonnen.