Die Apothekenwelt nach Corona

Momentan befindet sich unsere ganze Branche im Krisenmodus. Egal, ob es um die Herstellung von Desinfektionsmitteln, die Auseinandersetzung mit dem Thema Kurzarbeit oder das Erstellen eines Pandemieplans geht – nichts ist mehr so, wie es einmal war. Selbst die meisten Apotheken sind rein optisch nicht wieder zu erkennen. Schutzfenster aus Plexiglas, Zutrittsbeschränkungen und maskiertes Personal im HV prägen das aktuelle Bild. „Das ist ja nur vorübergehend,“ sagen wir uns. Aber ist es das wirklich?

Wenden wir doch zur Beantwortung dieser Frage einen einfachen Trick an: wir stellen uns vor, es wäre jetzt schon der Herbst des Jahres 2021. Ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 ist inzwischen gefunden und auch therapeutisch lassen sich die schlimmsten Auswirkungen in den Griff bekommen. Wie sehen Sie Ihre Apotheke in dieser Zukunft, die ja noch 18 Monate entfernt ist? Überlegen Sie ruhig einen Moment, bevor Sie weiter lesen … Covid-19 Coronavirus Pandemie Apotheke Digitalisierung eRezept

Meiner Ansicht nach wird die Corona-Krise für einige Innovationen als Beschleuniger wirken, deren Zeit durch das momentan gesteigerte Bedürfnis nach Distanz und Effizienz endgülitig anbrechen wird:

  1. Vorbestellplattformen. Durch Click & Collect oder Click & Delivery kommen Apotheken und Kunden heute in eine Win-Win-Situation. Lokaler Einkauf bei gleichzeitiger Wahrung der Distanz. Nach der Corona-Krise werden diese Kanäle aber nicht plötzlich wieder irrelevant. Vielmehr wird dann der Gedanke des Komforts mehr an Bedeutung zunehmen und Multi- bzw. Omnichannel sich auch in der Apothekenwelt endgültig etablieren.
  2. Das E-Rezept. Kunden, die durch Vorbestellplattformen bereits so konditioniert sind, dass sie ihren Gesundheitsbedarf in der Apotheke vor Ort bestellen, werden auch beim E-Rezept nicht zwangsweise an ausländische Versandapotheken denken. Zusätzlich zum Komfort dürfte Corona für Solidarisierung sorgen: dem Apothekenteam, das in der schweren Zeit an der Front gekämpft hat, hält man auch hinterher die Treue. Übrigens sind das genau die Kunden, auf die es in Zukunft ankommen wird. Wer wegen Rabatten woanders kauft, ist ohnehin niemals und nirgendwo ein treuer Kunde.
  3. Vernetzung. Niemals in den über 25 Jahren, in denen ich in der Apothekenbranche tätig bin, haben sich Apotheken so offen untereinander ausgetauscht. Das Internet und hier vor allem Facebook mit seinen im letzten Beitrag erwähnten Gruppen schafft sog. Social Support. Man hilft sich. Das wird in den nächsten Wochen auch noch zunehmen. Egal, ob man Botenfahrten vor Ort gemeinsam stemmt oder sich bei Engpässen mit Personal aushilft – die Kooperation der Apotheken vor Ort wird für viele einstige verbitterte Wettbewerber zur Überlebensfrage werden. Nach der Pandemie werden sich die einstigen Rivalen an die Kooperation gewöhnt haben und es wird zu Koopetition kommen: Wettbewerb und Zusammenarbeit in ein und derselben geschäftlichen Beziehung.
  4. Bargeldlose Zahlungen. Seit Ausbruch der Pandemie bestehen nahezu alle Einzelhändler auf Kartenzahlung. Für mich persönlich ist das seit jeher die bevorzugte Zahlungsweise. Aber neben dem hygienischen Faktor wird auch hier nach der Krise der Komfort ausschlaggebend dafür sein, dass Bargeld immer weniger an Bedeutung haben wird.
  5. Webinare. Viele meiner Vorträge im ersten Halbjahr wurden abgesagt. Einige davon habe ich aber inzwischen online halten können mit Tools wie GoToMeeting, Microsoft Teams oder Zoom. Das ist praktisch (man kann von zu Hause aus teilnehmen), umweltfreundlich (An- und Abreise entfallen) und dennoch interaktiv. Ich gehe nicht davon aus, dass Konferenzen mit persönlicher Teilnahme in Zukunft gar nicht mehr stattfinden werden, dazu ist der persönliche Kontakt viel zu wichtig. Aber Veranstaltungen ohne Top-Programm in einer Top-Location werden es schwerer haben denn je. Und einfach ist schon langer nicht mehr, Events überhaupt gebucht zu bekommen …
  6. Akzeptanz für digitale Lösungen allgemein. In Zeiten, in denen jeder – von der Familie über das Team bis hin zu den Kunden – viele Fragen hat, ist Kommunikation das Wichtigste überhaupt. Wenn man dazu noch jede Menge administrative Aufgaben zu erledigen hat, reicht die Zeit nicht mehr. Also ist jetzt die beste Chance, um nach digitalen Lösungen zu schauen, die einem die nicht kommunikative Arbeit erleichtern können: Buchhaltung, Personalplanung oder Teamkoordination sind hier nur einige Stichwörter, für die es schon heute tolle Tools gibt. So günstig wie jetzt werden sie nach den Grundregeln der Betriebswirtschaft übrigens dann nicht mehr sein, wenn die Nachfrage erst mal ansteigt …

Apotheke Digitalisierung eRezept Coronavirus Covid-19 PandemieDie Akzeptanz digitaler Lösungen sollte uns aber auch nicht blind machen für deren Risiken. In einem bemerkenswerten Interview mit dem Bestseller-Autor Yuval Noah Harari, das u.a. im Handelsblatt veröffentlicht wurde, mahnt er an, die momentanen Einschränkungen so schnell wie möglich wieder zurück zu nehmen. Ansonsten werden provisorische Vorschriften zu einer Art Gewohnheitsrecht. Insbesondere die Überwachung der Mobiltelefone und Wearables, die wir momentan zum Schutz der Risikogruppen billigend in Kauf nehmen, biete enormes Mißbrauchspotential. Nehmen wir nur die Bewegungsdaten: wer bewegt sich wo? Nichts ist einfacher, als das ganze mit Informationen über die Umgebung zu matchen. Steht an der Stelle, an der sich der potentiell Infizierte gerade aufhält, nicht auch ein Wahlplakat? Evtl. sogar eines der Opposition? Und was sagt das EKG der Smartwatch? Verändert sich sein Puls oder reagiert die Person gleichgültig? Was für uns wie Science Fiction klingt, ist in China bereits Realität. Sorgen wir also dafür, dass es bei uns gar nicht erst soweit kommt!

Ob das Plexiglas bleiben wird? Vermutlich wird es zumindest nicht ganz verschwinden. Gut möglich, dass eine Art „Sterilkasse“ in vielen Apotheken für die Influenza-Zeit überleben wird. In den meisten Fällen aber wird wahrscheinlich diese Barriere für die Kommunikation mit den Kunden wieder abgebaut werden.

Hingegen würde es mich freuen, wenn wir einige der neuen Umgangsformen beibehalten würden. Die neue Grußformel „bleiben Sie gesund“ gefällt mir zum Beispiel sehr gut. Sie erinnert mich an „live long and prosper“ – den vulkanischen Gruß aus der Science Fiction Serie Star Trek („Raumschiff Enterprise“). In der deutschen Übersetzung wurde daraus „Lebe lang und in Frieden.“ Das klingt doch auch ganz gut, oder? Weniger Händeschütteln wäre sicherlich auch nach Corona unter Hygiene-Gesichtspunkten begrüßenswert. Ich weiß ziemlich genau, wie viele Männer sich auf öffentlichen Toiletten nicht die Hände waschen und bin deswegen ganz froh, dass diese Form der Begrüßung derzeit nicht ausgeübt wird. Coronavirus Pandemie Covid-19 Apotheke Digitalisierung eRezept

Übrigens: die derzeitige Absage vieler Termine hat nicht nur Nachteile. Mir ist es gelungen, eine der internationalen Top-Stimmen zum Thema „Digital Health“ für ein Interview zu gewinnen. Die E-Mail-Konversation befindet sich derzeit beim Übersetzer, weil sie auf Englisch stattfand. Aber Sie können sich schon jetzt auf den nächsten Beitrag freuen, in dem uns ein absoluter Experte an seinen Gedanken zu Apotheken, dem E-Rezept und digitalem Mindset im Allgemeinen teilhaben lassen wird …