„Tatort“ meets Digital Health

Sonntag Abend, 20:15 Uhr in Deutschland. Die Familie trifft sich vor dem Fernseher im Wohnzimmer, rückt auf dem Sofa zusammen und schaut den „Tatort.“ So weit, so normal. Bei der gestrigen Folge „Maleficius“ dürfte sich aber so mancher Zuschauer gefragt haben, ob das noch die Kult-Krimi-Serie der ARD war – oder ob man das schon zur Science Fiction zählen muss. Zu futuristisch war der Operationssaal des von Sebastian Bezzel genial gespielten Neurowissenschaftlers Prof. Bordauer. Aber – war das wirklich so futuristisch? Und wieviel Science Fiction steckte wirklich in der gestrigen Folge?

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Ein Rollstuhl am Wasser spielt in der Episode „Maleficius“ eine tragende (sic!) Rolle.

Die grundsätzliche Handlung ist schnell erzählt: ein nach einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmter junger Mann verschwindet spurlos, die Ermittlungen führen zu dem eingangs erwähnten Neurowissenschaftler. Dieser kuriert Depressionen durch das Implantieren von Chips in das Gehirn und möchte mithilfe von durch Gedankenkraft gesteuerten Exoskeletten den Gelähmten ihr Gehvermögen wiedergeben. Der zu Beginn der Folge verschwundene junge Mann taucht gegen Ende in einem Exoskelett wieder auf, bis dahin müssen aber eine Ärztin und ein Klinikseelsorger, die sich gegen den Professort gewandt hatten, dran glauben. Genug gespoilert, werfen wir lieber kurz einen Blick auf die Technologien, die bei „Maleficius“ zum Einsatz kommen.

1. Chips im Gehirn

Aufschneiden, Chip rein, zunähen – so einfach, wie im „Tatort“ dargestellt, geht es in Wirklich nicht. Noch nicht. Der PayPal-, SpaceX- und Tesla-Gründer Elon Musk hat mit Neuralink eine weitere Firma in seinem digitalen Portfolio. Neuralink beschäftigt sich mit „Brain-Machine-Interfaces (BMI)“, also Schnittstellen, die das menschliche Gehirn mit einem Computer verknüpfen sollen. Damit verfolgt er sowohl das Ziel, sensorische und motorische Einschränkungen bei Menschen zu beheben oder zumindest zu lindern, als auch neurologische Erkrankungen zu heilen.

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Elon Musk will nicht nur auf den Mars reisen, sondern auch sein Gehirn auf Festplatte speichern

Aber sobald wir außerhalb des Gehirns bleiben und uns mit dem Schädelknochen, begnügen, minimalinvasiv quasi, sind wir nicht mehr in der Zukunft, sondern in der absoluten Gegenwart. Am 11.12.2017 veröffentlichte ich einen Beitrag zur „Fusion von analog und digital,“ in der ich wie folgt über ein Heidelberger Startup schrieb:

Die Heidelberger Precisis AG forscht an subkutanen Elektroden, die außerhalb des Kopfknochens angebracht wird. Diese innovative Technik soll nach Abschluss der klinischen Prüfung diejenigen Epilepsie-Patienten therapierunterstützend begleiten, bei denen Medikamente nicht mehr oder nur noch unzureichend helfen. Unsichtbar und kaum merkbar für den Nutzer werden hier durch eine patentierte Stimulation die kranken Areale im Gehirn stabilisiert. In dem Moment, in welchem sich der epileptische Anfall seinen Weg bahnt, wird er durch einen elektrischen Impuls direkt wieder unterdrückt und der Anfall dadurch verhindert.

Technologie, die Menschen mit starken Einschränkungen helfen kann, wenn Arzneimittel nicht mehr anschlagen? Man muss kein Transhumanist wie der fiktive Professor Bordauer im „Tatort“ sein, um den Nutzen darin zu sehen.

2. Steuerung von Maschinen mit Gedanken

In der gestrigen Tatort-Episode sieht man auch ein Forschungslabor in Brüssel, in welchem ein Proband einen Roboterarm alleine mit Gedankenkraft nach einer Wasserflasche greifen lässt, diese auch zu Fassen bekommt und erst kurz vor dem Abstellen am Nachbartisch fallen lässt. Allerdings trug der Proband keinen implantierten Chip, sondern außen am Kopf angebrachte Elektroden.

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Sind Roboter mit Gedanken steuerbar?

Dass das keine Zukunftsmusik ist, davon war am 17.09.2018 in dem Beitrag „Kommt ein Cyborg in die Apotheke …“ zu lesen:

[Jesse Sullivan] wurden jedoch innerhalb kürzester Zeit vom Rehabilitation Institute of Chicago (das inzwischen zu „Shirley Ryan AbilityLab“ umbenannt wurde) bionische Arme angesetzt. Dabei handelt es sich um mechanische Geräte, die dem menschlichen Arm nachempfunden sind und die allein durch Gehirnaktivität gesteuert werden können. Jesse Sullivan kann dadurch wieder selbständig essen, sich rasieren, Socken anziehen und den Rasen mähen. Auch wenn diese bionischen Arme seine echten nicht ersetzen können, so kann er dadurch ein Leben mit weit weniger Einschränkungen führen, als wenn er komplett armlos wäre.

3. Mit Exoskeletten wieder laufen lernen

Am Ende der gestrigen Episode – Achtung, Spoiler – sieht man den eingangs verschwundenen jungen Mann dann doch noch lebendig. Er läuft mithilfe eines Exoskeletts, also einer Art Rüstung, die außen am Körper angebracht ist, den Flur des Krankenhauses entlang. Die Bewegungen sind dabei jedoch alles andere als flüssig und er muss sich massiv anstrengen, um sich überhaupt bewegen zu können.

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Dank Exoskelett wieder laufen können?

Auch bei diesem Beispiel sollte einen die Wirklichkeit etwas zuversichtlicher stimmen, als es der ziemlich dystopische Sonntagabendkrimi zu vermitteltn suchte. Am 18.12.2017 schrieb ich zum Thema „Der demografische Wandel“ folgendes:

Die Firma Cyberdyne Care Robotics aus Bochum stellt Exoskelette her. Diese ermöglichen es Menschen mit Querschnittslähmung (allerdings nur denjenigen ohne komplette Durchtrennung des Rückenmarks), das Laufen wieder zu erlernen. Und das in so kurzer Zeit, wie man es bisher für undenkbar hielt. Die Funktionsweise klingt für mich immer noch wie Science Fiction … nur habe ich selbst eine solche Gerätschaft bereits sehen und anprobieren dürfen. Sensoren, nicht unähnlich denen bei einem EEG, nehmen hierbei die verbleibenden Impulse auf, die aus dem Gehirn kommen, und leiten diese an das Exoskelett weiter, welches dann die dazu gehörige Bewegung ausführt bzw. unterstützt. Die ausgeführten Bewegungen selbst wiederum generieren Impulse, die dem Gehirn über das Rückenmark Impulse schicken und dadurch mitteilen, dass tatsächlich – wie angefordert – Bewegungen ausgeführt werden. Durch dieses sog. „intrinsische Feedback“ wird ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt, an dessen Ende viele Patienten über deutlich mehr Gehvermögen verfügen, als zuvor. In einigen Fällen konnte das Gehvermögen sogar zu 100% wieder restauriert werden.

Mein Fazit: viele der Technologien, die ich gestern Abend im „Tatort“ gesehen habe, kamen mir von meinen eigenen Recherchen sehr bekannt vor. Vor Kurzem habe ich etwas zu falschen Vorhersagen über Digitalisierung geschrieben – gestern nun habe ich ein paar der Visionen, die ich in älteren Beiträgen aufgegriffen hatte, im Fernsehen umgesetzt gesehen. Schön, dass ich nicht jedesmal komplett daneben lag …

Fun Fact: eigentlich bin ich kein regelmäßiger Tatort-Kucker. Aber auf die gestrige Episode hat mich im Verlauf der Woche der von mir sehr geschätzte Frank Astor in einem Facebook-Post hingewiesen. Von ihm stammt das kurzweilige und lustige Buch „Future Now – Zukunft ist Jetzt,“ auf das ich in diesem Blog bereits verwiesen habe und in dem er sich auf humorvolle Art mit der Digitalisierung auseinandersetzt. Wenn Sie es noch nicht gelesen haben, dann sollten Sie es schnell tun – denn bald wird er es umbenennen müssen in „Present Now – Gegenwart ist Jetzt.

Fun Fact 2: Frank Astor spielt übrigens im gestrigen Tatort eine Nebenrolle als Bademeister im Schwimmbad einer Reha-Klinik. Er kann nicht nur Bücher schreiben oder Vorträge halten, sondern auch Schauspielern. Von ihm würde ich künftig gerne mehr in unserer Branche sehen!