Seit gut 2 Jahren schreibe ich an dieser Stelle über Digitalisierung und wie sie sich auf den Apothekenalltag auswirkt bzw. zukünftig auswirken könnte. Dabei treffe ich auch immer wieder Vorhersagen über mögliche Zukunftsszenarien. Zum Beispiel habe ich in einem der ersten Beiträge, in dem es um Wearables ging, von der US-Firma WiseWear berichtet, einem Hersteller von ästhetischem, smarten Schmuck inkl. GPS-Tracking für Senioren. Meine Einschätzung, dass das ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell sein müsste, war falsch: WiseWear hat schon vor über einem Jahr Insolvenz angemeldet.
Die Geschichte der Digitalisierung ist jedoch voll von solchen Fehlprognosen und ich befinde mich mit meiner Bewertung von WiseWear in ebenso illustrer wie guter Gesellschaft. Gerade Microsoft-Mitgründer Bill Gates scheint von ungebremstem Optimismus getrieben zu sein. So versprach er bereits im Jahr 2004, dass das Spam-Problem in zwei Jahren gelöst sein werde. Ein Blick in Ihren Posteingang dürfte als Gegenbeweis genügen: Spam macht heute 90% des weltweiten Mailverkehrs aus. Etwas näher an der Realität lag Gates mit folgender Prophezeiung: „in fünf Jahren wird das Tablet in den USA die beliebteste Form eines PCs sein.“ Allerdings stammt diese Aussage aus dem Jahr 2001 – und Bill Gates war damit seiner Zeit deutlich voraus. Tatsächlich setzten sich Tablets in der breiten Masse nämlich erst im Sog des iPads von Apple durch, das 2010 auf den Markt kam. Davor waren die meisten Tablets nur mit Stift zu bedienen und alles andere als intuitiv.
Aber diejenigen Einschätzungen, die positiver als die Realität waren, sind insgesamt eher in der Minderheit. Deutlich häufiger gab es Prognosen mit negativer Tendenz. Egal ob der legendäre IBM-Chef Thomas Watson („es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer,“ 1943) oder Charles Duell, Vorsitzender des US-Patentamtes („alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden,“ 1899) – sie alle unterschätzten das Innovationspotential ihrer Zeitgenossen und deren Nachfahren. Der Trend des Schwarzsehens scheint tief in der menschlichen Natur verwurzelt sein. Selbst Menschen, die sich von Berufs wegen mit neuartigen technologischen Lösungen auseinandersetzen, zeigen diese Charaktereigenschaft:
- Viel zu teuer und ohne Tastatur nicht für Mails geeignet; deswegen würde es sich im Business-Bereich nie durchsetzen. So schätzte Steve Ballmer, der ehemalige CEO von Microsoft, das iPhone kurz nach dessen Veröffentlichung im Jahr 2007 ein: „[es] wird sich nicht sonderlich verkaufen.“
- Matthias Horx, Publizist, Unternehmensberater und von sich selbst und einigen Medien auch als „Zukunftsforscher“ bezeichnet, behauptete im Jahr 2001, dass sich das Internet als Massenmedium nicht durchsetzen würde. 9 Jahre später, im Sommer 2010, postulierte er, dass in fünf bis 6 Jahren kein Mensch mehr von Facebook reden würde.
- Und wieder mal Bill Gates, nur dieses Mal als Pessimist: „das Internet ist nur ein Hype“ soll er 1993 gesagt haben.

Bill Gates und Steve Ballmer auf einem wenig schmeichelhaften Graffiti
Knapp daneben ist halt auch daneben. Aber lassen sich daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung der Digitalisierung ziehen? Oder ist die technologische Innovation insgesamt ein völlig chaotisches System, das weder steuer- noch beeinflussbar ist?
Der erste Schluss, den wir für die weitere Entwicklung ziehen können, auch für die Digitalisierung der Apotheken: glauben Sie den Propheten der Digitalisierung kein Wort! Die von mir angeführten Beispiele weisen allesamt eine Auffälligkeit auf: immer dann, wenn es um eigene Erfindungen ging, war die Prognose zu optimistisch. Innovationen von Anderen wurden hingegen stets schlechter eingeschätzt, als diese dann tatsächlich waren. Scheinbar gibt es hier also eine Art „own-product-bias.“ In Wirklichkeit haben die Entscheidung über den Erfolg oder Misserfolg von Neuheiten stets die Kunden entschieden – und das teilweise gegen stichhaltige rationale Argumente. Steve Ballmer hatte durchaus recht: das Tippen von Mails auf dem Display eines iPhones ist tatsächlich alles andere als ein Vergnügen. Dennoch wurde Apple erst durch das iPhone zur zwischenzeitlich wertvollsten Firma der Welt, weil die Kunden ihre Kaufentscheidung nicht vom Komfort beim Verfassen von E-Mails abhängig gemacht haben.

Holzauge, sei wachsam (bei Prophezeiungen zur Digitalisierung)
Zweitens würde ich behaupten, dass valide Vorhersagen über die weitere technologische Entwicklung der gesamten Gesundheitsbranche nahezu unmöglich sind. Durch den Blick in andere Gesundheitsmärkte kann man zwar Indizien für globale Entwicklungsmuster erkennen – aber lassen diese sich auch immer auf Deutschland anpassen? Ein Beispiel: die DAZ.online meldete letzte Woche, dass Apotheken in Frankreich künftig unter bestimmten Voraussetzungen Folgeverordnungen selbst ausstellen dürfen. Ähnliche Befugnisse haben Apotheker u.a. auch in Großbritannien, Kanada oder der Schweiz. Der Trend spricht also dafür, dass auch hierzulande früher oder später die Kompetenz der Apotheker in diese Richtung erweitert werden wird. Auch rationale Gründe, wie z.B. die Verbesserung der Versorgungseffizienz für den Patienten, sprechen dafür. Aber sicherlich gibt es aus Sicht der Ärzte oder der Krankenkassen ebenso viele gute Gründe dagegen. Bei der gigantischen Komplexität des Gesundheitswesens mit seiner Vielzahl an Beteiligten in horizontaler und vertikaler Vernetzung gibt es meines Erachtens heute bestenfalls erfolgsbegünstigende Faktoren – aber mehr als jemals zuvor hängt der Erfolg einer Idee oder eines Geschäftsmodells heute zusätzlich zu diesen Faktoren von äußeren Umständen ab, die man nicht beeinflussen kann und häufig noch nicht einmal kennt bzw. kennen kann.
Ich wage zum Abschluss dennoch eine weitere Prognose: die Digitalisierung der Gesundheit und somit auch der Apotheken in Deutschland wird weiter vorangehen. Und wenn wir im Jahr 2030 tatsächlich nochmal meine Vision einer Apotheke im digitalen Zeitalter lesen, werden Sie darin überwiegend Thesen finden, die nicht eingetreten sind. Genauso wird es aber auch das ein oder andere Feature geben, das Sie beim Lesen als komplette Spinnerei abgetan haben, das dann schon fester Bestandteil des Arbeitsalltags in Ihrer Apotheke geworden sein wird.
Interstellare Sonderklasse!! Love it! Danke Florian, Du sprichst mir wieder mal tief aus der Seele 🙂
LikeGefällt 1 Person
[…] habe, kamen mir von meinen eigenen Recherchen sehr bekannt vor. Vor Kurzem habe ich etwas zu falschen Vorhersagen über Digitalisierung geschrieben – gestern nun habe ich ein paar der Visionen, die ich in älteren Beiträgen […]
LikeLike