Fight for Folgeverordnung

Laut den letzten Zahlen, Daten, Fakten der ABDA wurden im Jahr 2016 82,2% des Umsatzvolumens in deutschen Apotheken durch Arzneimittelverordnungen erwirtschaftet. Anders gesagt: der Rezeptumsatz ist die Basis, auf der jedes Unternehmen Apotheke fußt. Und an den Vor-Ort-Apotheken in Deutschland hängen immerhin knapp 160.000 Arbeitsplätze direkt, sowie indirekt nochmal sicherlich die gleiche Anzahl an Arbeitsplätzen in Pharmaindustrie und bei Dienstleistern sowie Beratern.

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Arzneimittel auf ärtzliche Verordnung sind die Grundlage der öffentlichen Apotheke

Folglich sind für jede Apotheke die wichtigsten Kunden die chronisch Kranken. Was für jemanden außerhalb der Gesundheitsbranche vermutlich zynisch oder zumindest komisch klingt, ist unternehmerische Realität für die etwas mehr als 15.000 Inhaber einer oder mehrerer Apotheken in Deutschland.

Was also tun mit diesen wichtigsten Kunden? Vergleiche mit anderen Branchen sind hier unangebracht. Beispielsweise verbringen die besten Kunden von Luftfahrtunternehmen einen großen Teil ihres Leben in der Luft. Gewisser Weise als Gegenleistung dafür bekommt diese Handvoll Menschen besonderen Service in Lounges und in der ersten Klasse im Flugzeug angeboten. Chronisch Kranke hingegen sind nicht einige Wenige – sondern machen gut die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung aus. Also ist es aus reiner Unternehmersicht weder möglich noch sinnvoll, allen Chronikern Premium-Angebote zu machen. Wenn die Mehrheit einer Gruppe Premium bekommen würde, dann wäre das nicht mehr Premium, sondern der Standard.

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First Class Service für alle ist keine Lösung

Was aber sicherlich sinnvoll wäre: für diesen Standard, auf dem das Geschäftsmodell Apotheke basiert, den Einkauf möglichst einfach zu machen. Wenn das Arzneimittel des Patienten zur Neige geht, sollte er mühelos an den benötigten Nachschub kommen können. Immerhin hängen sowohl Arbeitsplätze als auch seine Gesundheit daran!

Wenn Sie bezweifeln, dass es beim Besorgen von Folgeverordnungen massives Optimierungsbedürfnis gibt, dann skizziere ich hier gerne, wie meine bisherigen Nachschubversorgung mit Symbicort (ich habe seit meinem 16. Lebensjahr allergisches Asthma) in etwa immer ablief:

  1. Feststellung, dass der Inhaler (oder allgemein: das Arzneimittel) leer ist
  2. Anruf in der Praxis zur Bestellung einer Folgeverordnung
  3. Aufsuchen der Praxis zum Abholen des Rezeptes (im schlimmsten Fall – z.B. in der Grippesaison – ist es noch nicht fertig und ich muss mehrmals hin)
  4. Gang in die Apotheke mit Papierrezept
  5. Aushändigung und Bezahlung des Arzneimittels … wenn es vorhanden ist, sonst
  6. Erneutes Aufsuchen der Apotheke oder Warten auf Botendienst
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Der Weg zum Rezept kann lang und steil sein

Sechs Schritte bis ich als Patient meine Therapie forstsetzen kann. Sechs Schritte – und bei jedem kann eine Verzögerung eintreten. Natürlich gibt es für einige der Schritte inzwischen gute digitale Lösungen – aber der Gesamtprozess, wie er oben skizziert ist, findet nach wie vor nur segmentiert statt.

2016 wurden 881 Millionen Arzneimittel auf ärztliche Verordnung in Deutschland abgegeben – wenn davon die Hälfte an chronisch Kranke ging, mussten die Reihenfolge dieser sechs Schritte ca. 440 Millionen Mal mehr oder weniger eingehalten werden.

In Zeiten, in denen man auf Knopfdruck einen Tisch im Restaurant reservieren, eine Pizza bestellen oder ein Flugticket buchen kann, wird den Patienten die Verständnis für diesen komplizierten Ablauf immer mehr abhanden kommen. Achtung! Wir sprechen hier über Folgerezepte von Chronikern, die in aller Regel gut eingestellt sind und nicht über die Erstverordnung nach eingehender (und wichtiger!) Anamnese in der bewährten Arbeitsteilung zwischen Arzt und Apotheker. Aber wieder der Blick auf mich: wenn ich seit meinem 16. Lebensjahr beschwerdefrei lebe – wozu dann immer wieder aufs Neue der Aufwand mit dem Rezept? Kann ich das nicht einfach abonnieren, so wie meine Musik auf Apple Music und Serien oder Filme auf Netflix?

Richten wir den Blick kurz nach Nordwesten, über den Ärmelkanal. Im Vereinten Königreich dürfen Apotheker seit 2006 als sog. „Pharmacist Independent Prescriber“ für eine beschränkte Anzahl von Indikationsgebieten selbst die Verordnung ausstellen (und natürlich direkt einlösen). Mit den vorhandenen elektronischen Dokumentationstools ist für Patientensicherheit gesorgt. Gleichzeitig wird der Prozess optimiert und die viel beschworene Kundennähe auch tatsächlich ausgeübt. Den Kampf ums Folgerezept haben die Apotheker dort geführt – und gewonnen.

Aber … Moment mal. Gibt es so etwas nicht auch bei uns? Aus meiner beruflichen Vergangenheit kenne ich Softwaretools zur Verwaltung von Patienten in stationären Pflegeheimen. Diese haben in der Software ein Arzneimittelkonto, in welchem zu jedem Medikament die Einnahmezeitpunkte hinterlegt werden müssen. Dadurch kann, ausgehend von der Packungsgröße, die Reichweite des Arzneimittels ausgerechnet werden und somit der Zeitpunkt bestimmt, zu welchem ein Folgerezept fällig ist. Zusätzlich muss natürlich noch bei jedem Patient der verordnende Arzt hinterlegt werden – und schon können einfach und regelmäßig die Folgerezepte für diese Heimbewohner beim Arzt angefordert werden. Der Bote, der ohnehin unterwegs ist, holt diese Rezepte dann ab und liefert sie mit der nächsten Tour wieder aus. Juristisch musste natürlich zuvor noch der Heimbewohner oder sein Betreuer den Apotheker hiermit beauftragen … aber warum geht das eigentlich nur für Patienten der stationären Pflege?

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Typische Pillenboxen aus einem Altenheim

Ein Kunde, der jeden Monat über € 30 für Streamingdienste und Amazon Prime (also fürs reine Vergnügen) zu zahlen bereit ist – was wäre es dem wohl wert, auch einer Apotheke Geld zu bezahlen (also für seine Gesundheit)? Vor allem dann, wenn er sich dadurch die vorhin beschriebenen sechs Schritte sparen kann? Und, ja, auch das soll schon passiert sein, die Folgeverordnung nicht einfach so lange rausschiebt, bis die Schnappatmung wegen eines Asthmaanfalls bei ihm einsetzt …

Noch gibt es meines Wissens keine Apotheke, die ein Abo-System für das Rezeptmanagement anbietet. Ich muss auch dazu sagen, dass ich nicht geprüft haben, ob und wie das apothekenrechtlich zulässig ist. Rein zivilrechtlich handelt es sich hierbei um einen Besorgungsvertrag, der problemlos zulässig ist. Außerdem ist so ein Service derzeit nur im örtlichen Umfeld der Apotheke sinnvoll, da ja Rezepte bei uns noch papiergebunden sind.

Aber was passiert wohl, wenn das e-Rezept kommt? Was, wenn ein Angebot zum Rezepthandling dann nicht von einer deutschen Apotheke kommt? Ob die jungen Erwachsenen, die dann seit 10 Jahren auf Abo-Geschäftsmodelle konditioniert worden sind, dem wohl widerstehen werden, nur um Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern …

rage-1564031_1920Wir sollten den Kampf um die Folgeverordnungen aufnehmen. Unser hervorragendes System der Versorgung mit Arzneimitteln basiert größtenteils darauf. Andere Länder wie Großbritannien zeigen uns Beispiele dafür, was getan werden kann. Auf geht’s!