Pharmazeutische Fernberatung – der neue Standard?

Seit inzwischen über 3 Monaten verbringe ich meine Arbeitstage überwiegend im Homeoffice. Das heisst nicht unbedingt, dass ich weniger Zeit mit der Arbeit verbringe – aber ich verbringe sie definitiv anders. Während die Reiseaufwände sich auf Null reduziert haben, so findet der Austausch mit Apothekern, Kollegen und anderen Wegbegleitern genauso intensiv statt wie vor Corona – nur eben anders, nämlich digital. Bestes Beispiel dafür war der #DDA-Summit letzte Woche: eine digitale Konferenz, auf der es neben Vorträgen auch die Möglichkeit zum individuellen Austausch in sog. „Breakout-Rooms“ gab, also einer Art Separée, in das man sich mit einigen der Zuhörer zur vertiefenden Diskussion zurückziehen konnte.

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Der Tagungsraum war beim #DDA-Summit … das Internet!

Die Technologie hierfür ist alles andere als neu. GoTo-Meeting, Jitsi, Microsoft Teams, Skype oder Zoom gibt es schon seit vielen Jahren. Neu ist allerdings die schnell zunehmende Nutzung dieser Technologien im Gesundheitsumfeld – und das, obwohl wir alle schon seit vielen Jahren regelmäßig FaceTime oder Video-Calls mit der Familie und Freunden machen. Aber damit wir uns auch mit dem Arzt oder Apotheker virtuell unterhalten, hat es offensichtlich leider erst einer Pandemie bedurft. Somit war Auslöser dafür, dass sich Videotelefonie in der Breite durchsetzt, eine neuartige Mutation des altbekannten Coronavirus, über die wir bis heute noch nicht allzuviel wissen. Also galt es, möglichst schnell und effizient Menschen, die in Heilberufen arbeiten, vor einer Ansteckung zu schützen: Bühne frei für die Telemedizin.

In 15 von 16 Bundesländern ist, unter bestimmten Voraussetzungen, die ausschließlich telemedizinische Behandlung bereits erlaubt gewesen. Gefühlt wurde sie aber überwiegend für schambehaftete Themen wie erektile Dysfuntion oder Haarausfall genutzt und die überwiegend privaten Rezepte, die aus diesen Konsultationen resultierten, wurden, schön anonym, in einer Versandapotheke eingelöst. Aber spätestens seit März diesen Jahres war jeder Patient froh, wenn er sich nicht – wie früher – neben jemanden mit triefender Nase im überfüllten Wartezimmer des Allgemeinarztes setzen musste. Gerade für Chroniker, die nur ein Folgerezept benötigen, war doch bisher der Weg zum Arzt – nur, um ein Stück Papier zu holen – die größte Hürde und letztlich der Adhärenz sogar abträglich. Seit Corona werden nun aber endlich Anbieter wie Kry, TeleClinic oder Zava sogar von den Krankenkassen aktiv beworben, um sie aus dem Nischendasein in den Mainstream zu holen. Auch in E-Rezept-Pilotprojekten wie GERDA in Baden-Württemberg wurde (bis vor Kurzem) Telemedezin in der Breite getestet. In allen Fällen landeten dabei auch mehr und mehr Rezepte in den Apotheken vor Ort. Wir können also schon jetzt absehen: Telemedizin ist gekommen, um zu bleiben. Apotheke Digitalisierung Telepharmazie Pandemie Coronavirus

Und auch die Apotheker müssen sich dem Coronavirus nicht schutzlos ausliefern. Zu einem Hygienekonzept in Apotheken gehören diverse bauliche, technische und organisatorische Maßnahmen, über die ich vor einiger Zeit auch berichtet habe. Bei Apothekern wie Dr. Bjön Schittenhelm beispielsweise haben sich die Bestellungen in seinem Click & Collect-Shop während Corona nahezu versechsfacht, wie er im Interview mit der DAZ berichtet. Dabei fällt natürlich auch Beratungsbedarf an, der sonst in der Offizin bestens gedeckt gewesen wäre. Was liegt hier näher, als seinen Kunden eine Videosprechstunde anzubieten, in denen diese ihre Apothekerin oder ihren Apotheker alles rund ums Arzneimittel fragen können? Björn Schittenhelm jedenfalls berichtet im DAZ-Interview, dass er in der Corona-Pandemie das Angebot an fernmündlicher Behandlung massiv ausgebaut habe.

Gewiss, der Umsatz von Apotheken ist direkt gekoppelt an den Verkauf von Arzneimitteln. Video-Chats zur Beratung sind daher momentan noch als eher karitatives Zusatzangebot zu sehen. Es gibt dennoch etliche Apotheken, die telepharmazeutische Beratung während Corona ins Angebot genommen haben – und wie leider sehr häufig wird hier nicht genügend die Werbetrommel gerührt. In welcher Branche gibt es das sonst, dass man kostenlos mit Heilberuflern sprechen kann, die ein abgeschlossenes Studium vorweisen können? Hier könnten Apotheker durchaus lauter werden und das, was sie gut machen, auch noch deutlicher in den Vordergrund stellen!

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Tue Gutes und sprich darüber – gilt auch (und vor allem) für Apotheken!

Die telepharmazeutische Beratung muss übrigens nicht auf Dauer pro bono bleiben. Immerhin gibt es mit dem Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) Gedanken, auch pharmazeutische Dienstleistungen in die Regelvergütung mit aufzunehmen. Folgende Pressemitteilung findet man auf den Seiten der ABDA:

Aus Sicht der BAK könnten unter anderem folgende pharmazeutische Dienstleistungen die Versorgung verbessern:

  • Reduktion von AMTS-Risiken für definierte Risikokonstellationen wie z.B. multimorbide Patienten
  • Lückenlose Weiterversorgung bei Arzneimitteln, die auf Patientenebene zurückgerufen und ausgetauscht werden müssen
  • Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung von Erkrankungen
  • Verbesserung der Umsetzung der Arzneimitteltherapie bei schwierig anzuwendenden Darreichungsformen oder sehr teuren Arzneimitteln
  • Förderung der Therapietreue bei Dauertherapien
  • Vermehrte Verbreitung und Verwendung von qualitativ guten Medikationsplänen
  • Qualitätsverbesserung der Selbstkontrollen zur Begleitung der Arzneimitteltherapie.

Grundlage der pharmazeutischen Dienstleistungen ist ein standardisiertes und strukturiertes Vorgehen in der Apotheke. Dazu gehören das persönliche Gespräch des pharmazeutischen Personals mit dem Patienten, die systematische Erfassung und Analyse aller Arzneimittel des jeweiligen Patienten sowie Elemente der Medikationsanalyse bzw. des Medikationsmanagements.

Am besten lassen sich solche Dienstleistungen natürlich im persönlichen Gespräch erbringen, entweder in der Offizin oder in einem Beratungszimmer der Apotheke. Aber niemand wird nach Corona ernsthaft behaupten können, dass diese Dienstleistungen ausschließlich persönlich stattfinden müssen. Was bei den Ärzten bereits das neue Normal geworden ist – die Telemedizin – wird in den Apotheken spätestens mit der Einführung einer Honorierung von pharmazeutischen Dienstleistungen fester Bestandteil des Leistungsangebots werden.

Und somit ist es keineswegs eine aufwändige Trockenübung, wenn man heute schon seinen Kunden die telepharmazeutische Beratung anbietet. Erinnern Sie sich doch einfach nochmal an die ersten Videokonferenzen zu Beginn des Lockdowns. Technische Probleme, die Kamera funktionierte nicht, das Mikro standardmäßig auf stumm geschaltet. Es hat schon eine Weile gedauert, bis sich das eingeschwungen hat. Gut also, wenn es sich bei Ihnen schon eingeschwungen hat, sobald der erste Kunde ihren telepharmazeutischen Beratungsraum betritt. Denn nicht umsonst heißt es bekanntlich: „früh übt sich.“