Vor über 3 Jahren, am 11. August 2017 wurde der erste Beitrag in diesem Blog mit folgendem ersten Absatz veröffentlicht:
Im Jahr 1231 n. Chr. wurde auf Geheiß des Stauferkaisers Friedrich II. eine Gesetzessammlung mit dem Namen „Liber Augustalis“ erstmals veröffentlicht. Irgendwann zwischen den Jahren 1231 und 1243 wurde sie um einen Nachtrag ergänzt, in dem erstmalig das Verhältnis zwischen dem Arzt- und dem Apothekerberuf gesetzlich geregelt wurde: Ärzte dürfen keine Apotheke besitzen oder an einer beteiligt sein, zur Verhinderung von Preistreiberei wurden Arzneimittelpreise gesetzlich festgeschrieben und der Apotheker musste ebenfalls einen Eid leisten. So – oder zumindest sehr ähnlich – steht es in besagtem Nachtrag, der als „Edikt von Salerno“ Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat. Er gilt als Geburtsstunde des Apothekerberufs, so wie wir ihn auch heute noch kennen.
Quelle: https://edikt-von-cupertino.de/2017/08/11/einleitung/
Dann kam der Sommer 2020. Im Juli 2020 übernahm die Zur Rose AG aus der Schweiz den Telemedizinanbieter TeleClinic. TeleClinic hatte sich seit der Gründung im Jahr 2015 zu einem der bekanntesten deutschen Telemedizinanbieter entwickelt, war beim E-Rezept-Modellprojekt „GERDA“ in Baden-Württemberg technologischer Dienstleister auf Seiten der KV und kooperierte zuletzt während der Corona-Pandemie mit diversen Krankenkassen. Nun ist also TeleClinic – ein Ärzteportal, das u.a. Verordnungen ausstellen kann – ein Teil der Schweizer Zur Rose Gruppe, die sich laut Geschäftsbericht 2019 als „Europas größte E-Commerce Apotheke“ bezeichnet. In diesem Vorgang sehen einige Kommentatoren das Ende der Trennung von Arzt- und Apothekerberufs, die ja inzwischen seit knapp 800 Jahren besteht. Andere proklamieren sogar das Ende des Edikts von Salerno. Die Gerichte haben im Herbst dem dann aber klare Grenzen aufgezeigt, innerhalb derer die ärztliche Fernbehandlung auch unter einer solchen gesellschaftsrechtlichen Konstellation erlaubt ist. Das Edikt von Salerno wurde auch dieses Mal nicht abgeschafft. Noch nicht.

Gleich werfen wir noch einen Blick auf den letzten Absatz der Einleitung meines Blogs von damals, denn er wirkt im Lichte der jüngsten Ereignisse rund um den Apothekenmarkt in Deutschland nahezu prophetisch. Zuvor aber würde ich besagte Ereignisse gerne auflisten. Sie sind ein Beispiel dafür, wie in den ersten gut drei Jahren nach Start dieses Blogs recht wenig passierte – bis es dann in den letzten Wochen Schlag auf Schlag ging. Die Akquise von TeleClinic durch Zur Rose war anscheinend nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte:
- Am 10. November 2020 veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium eine Pressemitteilung zum Start der Zusammenarbeit mit Google. Zusätzlich zu den auf dem gewohnten Algorithmus basierenden Suchergebnissen werden bei medizinischen Suchbegriffen auf Google nun die Antworten des Nationalen Gesundheitsportals gesund.bund.de in einem prominent hervorgehobenen Info-Kasten am rechten Rand präsentiert. In anderen Ländern, beispielsweise in der kanadischen Provinz Québec, ist es nicht unüblich, dass Gesundheitsbehörden auch ein Info-Portal mit Informationen und Ratschlägen betreiben. In Deutschland gab es über das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hinausgehende Info-Dienste hingegen in der Form bis dato nicht. Stattdessen wurden Gesundheitsinformationen für Verbraucher von gleich mehreren seriösen Gesundheitsportalen bereitgestellt, deren Inhalte von unabhängigen Verlagen nach den Regeln des Journalismus in jahrelanger Arbeit aufgebaut wurden. Sie müssen nun mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Monopolisten der Suchmaschinen, Google, konkurrieren. Befürchtungen, dass sich das langfristig nachteilig auf die journalistische, unabhängige Berichterstattung auswirken könnte, sind naheliegend – und schlüssig.
- Am 16.November 2020 veröffentlichte Zur Rose eine Pressemitteilung, in welcher sie darüber informierte, dass ihre Tochter eHealth-Tec in einem von IBM angeführten Konsortium den Zuschlag für die zuvor seitens der gematik ausgeschriebenen Ausarbeitung des E-Rezept-Fachdienstes erhalten hat. IBM und eHealth-Tec blicken auf eine schon etwas länger andauernde, erfolgreiche Kooperation im Rahmen des E-Rezept-Pilotprojektes der Techniker Krankenkasse in Hamburg zurück. Ein anderes Konsortium mit rein deutscher Beteiligung (u.a. Noventi und Arvato) hatte bei dieser Ausschreibung hingegen das Nachsehen.
- Tags drauf, am 17.November 2020, dann der nächste Paukenschlag: Amazon startet in den USA mit „Amazon Pharmacy“ einen eigenen Medikamentenversand. Amazon bietet dabei für Generika Rabatte von bis zu 80% an, bei RX ist immerhin von bis zu 40% die Rede. Prime-Kunden bekommen ihre Arzneimittel garantiert binnen 48 Stunden kostenfrei zugestellt, alle anderen nach maximal 5 Tagen für $ 5,99 Versandgebühr. In 45 der 50 US-Bundesstaaten geht Amazon damit nun an der Start und wird auch die meisten Krankenversicherungen akzeptieren.

Bevor ich versuchen werde, diese Entwicklungen einzuordnen, hier nun der bereits angekündigte Blick auf den letzten Absatz meiner Einleitung aus dem Sommer 2017:
Die meisten der technologischen und oft disruptiven Umwälzungen, um die es in den Diskussionen über Digitalisierung geht, haben ihren Ursprung in den Innovationsschmieden des Silicon Valleys in Kalifornien, wie beispielsweise Google, Amazon oder Uber. Das bekannteste und wertvollste Unternehmen dort ist Apple, das seinen Hauptsitz in der Stadt Cupertino hat. Und wer weiß, vielleicht wird gerade in diesem Augenblick dort etwas programmiert, das den Apothekenberuf in gleichem Maße prägen wird, wie das Edikt von Salerno vor über 770 Jahren. Quasi das „Edikt von Cupertino“ …
Quelle: https://edikt-von-cupertino.de/2017/08/11/einleitung/
Nun ist es also nicht Cupertino, sondern Mountain View (der Sitz von Google) bzw. Amrock im Bundesstaat New York (der Sitz von IBM) geworden, von wo aus der Apothekerberuf in den nächsten Jahren entscheidend mitgeprägt wird. In Seattle, bei Amazon, ist das Budget für den Markteintritt in Europa ohne Zweifel ebenfalls schon durchkalkuliert und beiseite gestellt. Überrascht dürfte all das niemand haben, da sich eine derartige Entwicklung schon seit Jahren abgezeichnet hat. Lediglich der kompakte Zeitraum der Veröffentlichungen – alles binnen einer Woche im November – war dann durchaus bemerkenswert. Aber welche Schlüsse ziehen wir nun daraus?

Die Kooperation zwischen Google und dem Bundesgesundheitsministerium wirkt auf mich anachronistisch. Zunächst einmal ist die Qualität eines Portals, das es nicht von sich aus in die oberen Plätze beim Google-Ranking schafft, grundsätzlich in Frage zu stellen. Damit möchte ich nicht behaupten, dass die darin enthaltenen Informationen falsch wären – das wäre nämlich ein waschechter Skandal. Aber das Vertrauen im Bundesgesundheitsministerium in die Informationen der Apotheken Umschau (Wort und Bild Verlag) oder von Netdoktor (Burda Verlag) scheint sehr gering zu sein – das sind nämlich nach wie vor die beiden Platzhirsche bei den konventiellen Google-Ergebnissen zu Gesundheitsfragen. Lange Zeit gab es das Klischee von „Dr. Google,“ demzufolge man völlig absurde Ergebnisse bei Abfragen von Symptomen erhalte. Diese Zeiten sind längst vorbei, schon immer kuratiert Google die Ergebnisse nach Relevanz. Patienten haben dies in den letzten Jahren (wenn nicht im letzten Jahrzehnt!) immer mehr verstanden und durch Klicks auf die zuverlässigen Quellen den Google-Algorithmus hierauf trainiert. Folglich sind inzwischen auch die Google-Ergebnisse auf Gesundheitsfragen gut, verwertbar und zuverlässig – schon vor der Zusammenarbeit mit dem BMG. Welchen Mehrwert diese Kooperation mit Google den Patienten bieten soll, ist daher schwer ersichtlich. Ersichtlich ist jedoch, dass es vielen hervorragenden Gesundheits-Journalisten die Arbeit erschweren wird – das in einer Zeit, in der faktenbasierte und sachliche Aufklärung zu Gesundheitsthemen aufgrund von Covid-19 wichtiger ist denn je.

Was IBM und das E-Rezept betrifft, so habe ich persönlich keine Zweifel daran, dass IBM technisch und organisatorisch in der Lage sein wird, den E-Rezept-Fachdienst aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Der Subkontraktor eHealth-Tec mag dabei vielen Apotheken ein Dorn im Auge sein, aber letztlich sollte man seine Rolle nicht überbewerten. Viel schwerer wiegt in meinen Augen, dass beim E-Rezept, einer der zentralen Dienstleistungen der digitalen Gesundheitsversorgung, kein Leistungserbringer aus Deutschland unmittelbar vertreten ist. Das ist schade, denn es gab im Sommer ein echtes Hoffnungszeichen: die Corona-Warn-App, die von SAP und der Telekom entwickelt wurde und deren Downloadzahlen im November die Marke von 22 Millionen überschritten hatte. Nachdem wir jahrelang fest geglaubt hatten, in Deutschland die Digitalisierung zu verschlafen, war die Warn-App ein Lehrstück darüber, dass Digitalisierung und Deutschland nicht grundsätzlich im Widerspruch zueinander stehen müssen. Von der offenen Debatte über den Datenschutz bis hin zum einsehbaren Quellcode: genau so geht das! Klar, 70 Millionen Euro für ein funktionierendes Produkt sind sicherlich kein Pappenstiel – aber es zeigt, wozu deutsche Unternehmen imstande sind, wenn Geld, Strukturen und der politische Wille vorhanden sind. Beim E-Rezept sind nun die großen deutschen Player erst einmal außen vor. Die Pandemie hat gleichwohl aufgezeigt, mit welcher Geschwindidkeit digitale Projekte auf einmal umgesetzt werden können. Umso wichtiger wird es sein, beim Herzstück der digitalen Gesundheitsversorgung auf deutsche und europäische Lösungen zu setzen, wenn wir nicht zur verlängerten Werkbank des Silicon Valley verkommen wollen: die Rede ist von der elektronischen Patientenakte, die am 01.01.2021 starten wird. Sie ist der Hauptspeicher aller Gesundheitsdaten der sie jeweils nutzenden Patienten und auf sie gilt es, besonderes Augenmerk zu richten.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf Amazon Pharmacy. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Amazon auch in den Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einsteigen würde. Der Kauf von PillPack für rund 770 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 war hier nur ein Vorbote, der unschwer zu deuten war. Nun hat jedoch das Geschäftsmodell von Amazon Pharmacy in den USA einige Facetten, die auf den deutschen Markt nicht ohne Weiteres zu adaptieren sind. Die Rabatte von bis zu 40% auf verschreibungspflichte Artikel sind für ein Land, in dem es kein Sozialversicherungssystem wie bei uns gibt und wo viele Menschen Arzneimittel aus eigener Tasche bezahlen müssen, vermutlich sogar ein Beitrag zur Verbesserung der Versorgung. In Deutschland stünde solch hohen Rabatten die Arzneimittelpreisverordnung entgegen, wobei der Kauf einer Versandapotheke mit Sitz in den Niederlanden für Amazon nach heutiger Rechtslage auch bei den Verkaufspreisen der Rx-Arzneimittel einen gewissen Spielraum einräumen würde. Was jedoch für Patienten in Deutschland vollkommen unattraktiv ist, ist die mit zwei Tagen zu lange Lieferzeit. Im Flächenland USA mag das für einige Patienten in ländlichen Gegenden sicherlich eine Verbesserung zum aktuellen Staus Quo sein, aber unser flächendeckendes Apothekennetz samt Botendienst ist schlicht und einfach besser. Ausruhen können wir uns darauf alleine aber leider nicht. Zumal nicht nur Amazon, sondern auch Apple und Google schon bereit stehen, um im deutschen Arzneimittelmarkt ebenfalls mitzuspielen.

Nur wenn die Apotheken untereinander vernetzt sind und Rückendeckung aus der Gesellschaft und dadurch letztlich aus der Politik erhalten, dann können sie auch in Zukunft bestehen. Ein „weiter so“ wird es aber nicht sein – eine radikale Neuerfindung wohl jedoch auch nicht. Die analogen Stärken, das Emotionale, Kompetente und Persönliche, müssen ausgebaut und in den digitalen Bereich transportiert werden. Wie das gehen kann, hat uns Corona in seinen zahllosen Videokonferenzen gezeigt. Einige davon waren sehr gut, andere sehr schlecht. Schauen Sie sich also beispielsweise für die Telepharmazie ab, was die guten von den schlechten Videokonferenzen unterscheidet und adaptieren genau das für Ihre virtuellen Beratungsgespräche. Seien Sie präsent im Netz, auf Social Media und haben Sie eine top gepflegte und individuelle Homepage als Visistenkarte im Netz.
Das Edikt von Cupertino – im November 2020 wurde es ein Stück weit Realität. Corona beschleunigt die Digitalisierung in unserer Branche. Wenn sich nicht schnell alle Beteiligten an einen Tisch setzen, um gemeinsam deutsche und europäische Antworten, Lösungen und Positionen für die Gesundheitsversorgung der Zukunft zu finden, wird vom Edikt von Salerno bald schon nicht mehr viel übrig sein.
[…] im Hinblick auf die Apotheken sehr positiv. Auch wenn der Weg erst noch gegangen werden muss und es nicht immer nur bergauf gehen wird – die Ausgangslage war in den letzten Jahren selten besser. Die Politik und unsere […]
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[…] wenn die Plattform von Amazon, Berkshire Hathaway und JP Morgan ad acta gelegt wurde, zumindest Amazon wird nicht locker lassen, was den Einstieg in den lukrativen Pharmamarkt betrifft. Positionieren können sich die Apotheken […]
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[…] Dazu kommen werden in Kürze das E-Rezept, die elektronische Patientenakte und die ein oder andere Plattform. Wie weiblich die Digitalisierung heute überhaupt noch ist, darüber habe ich an dieser Stelle […]
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[…] Nein, wir können in der Apotheke nicht ohne Digitalisierung. Es ist nicht so lange her, als wir alle SecurPharm gefürchtet haben: „Was ist, wenn, der Kunde die Tabletten sehen möchte? Was ist, wenn, wir Stückeln müssen? Was ist, wenn das System gerade ein Fehler meldet?“ So viele Fragen, so viele vermeintliche Hürden … im Nachhinein stellen wir keine Probleme fest: SecurPharm ist eine Normalität. Es ist schade, denn wir verlieren sehr viel Energie im Kampf, nicht nur gegen Innovationen – und das ist Stress. Die Welt ist digital und wenn die Apotheken in dieser Welt nicht untergehen wollen, müssen sie auch Digitalisierung zulassen, sonst übernehmen den pharmazeutischen Dienst die anderen Riesen. […]
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[…] Amazon versucht, in den Gesundheitsmarkt vorzudringen, ist nicht neu. Erste Gehversuche des E-Commerce-Giganten aus Seattle finden immer wieder statt. Andere Branchen wurden nach einem Markteintritt von Amazon stets massiv […]
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[…] und Verteidigen des Status Quo viel mehr gewohnt? Die großen Tech-Firmen wie Amazon, Apple oder Google werden den Eintritt in diesen Markt, in dem schon heute Milliarden bewegt werden, doch eh nicht […]
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