Je besser der Angehörige eines Heilberufs den Patienten kennt, umso besser kann er ihn behandeln und beraten. Beim Arzt beispielsweise hat jeder Patient eine Kartei aus Papier oder digital, auf der alle relevanten Informationen vermerkt sind. Nichts anderes ist im Krankenhaus die „Kurve.“ Ohne Zweifel sind derartige patientenzentrierte Datensammlungen äußerst hilfreich. Bevor aber der jeweilige Heilberufler die fachlichen Informationen wie Anamnese, diagnostische Informationen oder Vitaldaten hinterlegen kann, muss er wissen, wer der Patient ist. Ohne Identifikation des Patienten funktionieren diese Datensammlungen nicht. Sie beziehen sich auf den Patienten – er ist der Primärschlüssel für alle nachfolgenden Informationen.Und jetzt der gedankliche Schwenk in die Apotheke vor Ort. Auch hier gibt es in rund 90% aller Kundenbesuche ein Dokument, das den Patienten ausweist: das Rezept. Nur: wie viele Apotheken erfassen jeden Patienten und legen für ihn ein Kundenkonto an? Wie viele Apotheken scannen systematisch jedes Papierrezept und legen Patienten ggf. auch datenschutzkonform anonym an? Aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung weiß ich, dass diese Quote nicht höher als 50% sein kann. Ich befürchte sogar, dass sie deutlich darunter liegt. Das ist schrecklich, denn egal ob PTA oder Approbierte(r) – wir haben es hier in der Apotheke mit hochqualifiziertem Fachpersonal zu tun, dem in den Fällen der nicht erfassten „Laufkunden“ wichtigste Informationen zur guten Ausübung ihres Berufs fehlen. Ohne Kundenkonto ist ein korrektes Medikationsmanagement mit Interaktions- und Wechselwirkungsprüfung faktisch unmöglich.
Der Versandhandel kennt dieses Problem nicht. Da hier die Ware dem Kunden nach Hause geschickt wird, muss sich jeder Käufer persönlich identifizieren. Ansonsten bekommt er nichts. Deswegen können Versandapotheken jeden ihrer Kunden persönlich identifizieren, sie haben bei Stammkunden über Jahre hinweg Kundenkonten, die prall gefüllt mit allen Arzneimitteln sind, die der Kunde dort jemals bezogen hat. Anders als in den stationären Apotheken gibt es hier auch kein Problem mit Datenschutz – wenn der Kunde der Speicherung seiner personenbezogenen Daten nicht zustimmt, kann er schlicht und einfach im Versand nicht bestellen.Pharmazeutische Beratung ist das eine zentrale Thema. Kundenkonten ermöglichen diese. Schon vor über 25 Jahren haben die ersten Apotheken angefangen, Kundenkarten einzuführen. Rabatte wie die allseits bekannten 3% auf Freiwahl sollten als Anreiz für Kunden dienen, sich bei jedem Besuch zu identifizieren. Das hat nach meinem Ermessen eine Zeit lang ganz leidlich funktioniert – ist aber heute nicht mehr zeitgemäß. Wer hat heute noch Lust auf weitere Plastikkarten im Geldbeutel? Ich selbst habe beispielsweise all meine Kundenkarten im Smartphone in der App „Stocard“ hinterlegt.
Eine andere Möglichkeit ist es, jeden Kunden ohne Rezept anzusprechen und nach dem Namen zu fragen. Ich halte das für schwer bis gar nicht umsetzbar. Machen Sie mal das bei jedem Kunden, der ein Mittel gegen Haarausfall kauft, und jeder Kundin, die Mittel gegen Vaginalmykose kauft! Neue Freunde bekommen Sie so sicherlich nicht. Aber: dieselben Kunden geben Ihre persönlichen Daten ohne Zögern preis, wenn sie dieselben Produkte im Internet kaufen. Paradox – aber hier liegt einer der größten Unterschiede zwischen der Online- und der Offline-Welt. Das Internet bietet eine gefühlte Anonymität, die es in der Apotheke vor Ort nicht gibt. Selbst wenn man seinen Namen nicht nennt, besteht doch das „Risiko,“ dass die Mitarbeiter in der Offizin einen kennen – vom Verein, aus der Schule oder weil die Kinder miteinander befreundet sind.Und schon haben wir Lücken in den Daten, die Qualität der pharmazeutischen Betreuung kann nur schlechter werden. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, neben der reinen Beratung, der sowohl wirtschaftlich als auch politisch weh tut: die Adhärenz und Compliance der Patienten.
Wenn Sie Ihren Patienten namentlich kennen und dazu auch die Packungsgröße des ihm verordneten Arzneimittels kennen, dann kennen Sie zumindest auch die theoretische Therapiedauer. Wirtschaftlich interessant ist dies, weil Sie dadurch in die Lage versetzt werden, den Patienten auf eventuelle Folgeverordnungen hinzuweisen. Wenn Sie den Impuls beim Kunden hierzu setzen, dann steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit, dass er den Kauf auch bei Ihnen tätigen wird. Politisch interessant wird es, wenn es Ihnen dann auch noch gelingt, die höhere Therapietreue Ihrer Patienten im Verhältnis zum Bevölkerungsdurchschnitt nachzuweisen. Therapieabbrüche sind aufgrund von Komplikationen, Krankenhauseinweisungen und dem frühzeitigen Eintritt von Pflegebedürfigkeit in aller Regel mit hohen Folgekosten für das gesamte Gesundheitssystem verbunden. Versorgungsformen, die datenbasiert nachweisen können, dass sie die Anzahl der ungewollten Therapieabbrüche zu reduzieren in der Lage sind, werden bei Gesundheitspolitikern immer ein offenes Ohr finden. Und so bleibt es bei einer Grundaussage: das Kennen der persönlichen Daten von jedem Kunden ist der größte Vorteil des Versandhandels. Dort geht es gar nicht ohne – in der Apotheke vor Ort leider schon. Ohne Kundenkonto können Sie mit Sicherheit punktuell hervorragend und empathisch beraten. Aber das gesamte Bild des Kunden haben Sie nicht. Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte im Jahr 2021 wird der Grundstein gelegt, dass alle Heilberufler dieses Gesamtbild bekommen können. Was spricht dagegen, sich bis dahin noch weiter zu positionieren und zu profilieren? Warum fragen Sie nicht weiterhin jeden Kunden, von dem Sie es nicht ohnehin schon wissen, ob er eine Kundenkarte hat und – wenn verneint wird – ob sie oder er nicht eine haben möchte? Was nach wenig klingt, ist das größte Pfund der Versender …
Lieber Flo, genau so ist es. Die Datenspeicherung in der Apotheke ist auf der einen Seite absolut notwendig, auf der anderen Seite nicht durchgängig machbar. Und während viele moderne Apotheken den Kunden z.B. eine Erinnerungsfunktion an das nächste Rezept anbieten möchten, scheitert es manchmal (meistens?) an den Anbietern aus dem Warenwirtschaftsbereich. Ich kenne keine Wawi, die das heute schon kann. Dazu kommt ein weiterer Mangel bei vielen Online-Angebote: es gibt keine direkte Kundenkommunikation. E-Mail? Geht nicht wegen Datenschutz? Chat? Ist in den wenigsten Online-Shops integriert (aber möglicherweise datensicherer). Hier hinkt der Anspruch und die Wirklichkeit hinterher. Und hier ist das Pfund der lokalen Apotheken: wir haben den Kunden direkt bei uns, können mit ihm interagieren und so schon bei der Abgabe eines Rezeptes und mit Hilfe unserer EDV (Verfügbarkeitsabfrage) sofort Probleme erkennen und meistens auch lösen. Der Versandhandel schickt solche nicht belieferbaren Rezepte wortlos an den Kunden zurück.
Was uns außerdem vor Ort fehlt ist ein Tool um der zahlreichen schlummernden Daten Herr zu werden. Wir haben ja unheimlich viele Daten, fangen aber oft gar nichts damit an, weil es recht kompliziert ist die relevanten Daten zu extrahieren. Hier müssen wir Vor-Ort-Apotheken massiv nachholen und besser werden. Allein mir fehlt oft die Zeit zwischen HV, Büro, Ehrenämtern und Familie…
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[…] Sie zwar die Stammdaten jedes Kunden – aber das ist ja nicht wirklich zu Ihrem Nachteil, wie ich an dieser Stelle vor Kurzem ausgeführt habe. Und wenn alle Stricke reißen: stellen Sie Tassen oder Körbe neben die Kassen, in welche die […]
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[…] überwiegend privaten Rezepte, die aus diesen Konsultationen resultierten, wurden, schön anonym, in einer Versandapotheke eingelöst. Aber spätestens seit März diesen Jahres war jeder Patient froh, wenn er sich nicht […]
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[…] zu betreiben. Aber ohne Herausforderungen ist auch unsere Zeit nicht: das E-Rezept, Telemedizin, Versandhandel aus dem EU-Ausland und immer besser informierte Patienten (und solche, die glauben, es zu sein) sind […]
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[…] Zeichen vor allem auf die beiden wichtigsten Zielgruppen der Apotheke – Mitarbeiter und Kunden – im lokalen Umfeld positiv wirkt. Unter anderem die „Fridays For Future“ […]
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[…] einen Blick auf Amazon Pharmacy. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Amazon auch in den Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einsteigen würde. Der Kauf von PillPack für rund 770 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 war hier […]
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[…] dann auch tun, steht auf einem anderen Blatt. Aber für Apotheken ist es daher immens wichtig, ihre Kunden systematisch zu erfassen und sie zielgerichtet zu beraten. Ein Beispiel: nur wer den Kunden namentlich kennt und weiß, für […]
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[…] Unter den Anbietern von Plattformen findet sich Amazon ebenso wie die üblichen Verdächtigen der Versandapotheken aus der EU, die beide ihre Zustellzeit mit Hilfe der inländischen Vor-Ort-Apoteken nochmal […]
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[…] Arzneimitteln werden häufiger verlangt werden. Ein Umstand übrigens, an den Versandapotheken schon lange gewohnt […]
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[…] aber ist der Weg in die Apotheke vor Ort aus Patientensicht einfacher, als das Callcenter einer Versandapotheke zu […]
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[…] seiner Wahl anfragen, ob die verordneten Arzneimittel verfügbar sind oder nicht. Welche Antwort Versandapotheken auf die Frage nach der Verfügbarkeit geben werden, ist klar. Da hier nahezu ausgeschlossen ist, […]
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[…] eindeutige Kundenkennung (registrierte Kunden haben meist eine interne, eindeutige Kundenummer, alle anderen müssen ihre […]
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[…] Markteintritt. Um gut gewappnet zu sein für den Tag, an dem Amazon eine nach Deutschland liefernde Versandapotheke kauft, ist es dringend geboten, sich mit den aktuell wichtigsten Digital-Trends für Apotheken […]
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[…] Schließlich ist nicht nur die Symptomsuche im Internet sehr bequem – mit Telemedizin und Online-Apotheken wandern auch Leistungen ins Netz, die bislang überwiegend vor Ort erbracht wurden. Der beste Weg, […]
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[…] und befähigt, diesen Teufelskreis in Deutschland zu durchbrechen, sind die Apotheken. Indem sie ihre Kunden kennen und sie, egal wie beratungsresistent sie auch sein mögen, aufklären, beraten und letztlich dazu […]
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[…] nur gemeimsam mit den Apotheken vor Ort. Anders ist es jedoch bei Chronikern wie mir. Wenn wir compliant sind, dann sind wir zu einundert Prozent planbar. Mein Apotheker bestellt mein Symbicort immer 11 […]
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[…] ist hier nämlich der Blick auf den Versandhandel. Dort sind die Stammdaten von jedem Kunden zwangsweise bekannt, da ansonsten die Ware ja gar nicht versandt werden kann. Und hier setzt auch eine […]
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[…] wenn Sie ein Kundenkonto haben, kennen Sie auch die Arzneimittelhistorie Ihrer Kunden. Persönlicher als nach einer […]
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[…] potentiell gefährdete Patienten besser aufklären als Apotheken? Arbeiten sie seit längerem mit Kundenkarten oder Kundenkonten, so besitzen Apotheken sogar eine umfassende Übersicht über sämtliche Arzneimittel, die ihre […]
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[…] die Angehörigen den Bezug von Arzneimitteln mit organisieren, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Dauermedikation beim Versandhandel bestellt wird, enorm hoch. Immerhin ist das die Variante, die für die Angehörigen am wenigsten […]
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