Wie kann ich mit Impfskeptikern in meiner Apotheke kommunizieren?

Beim Verfassen dieses Artikels sind etwas mehr als 13 Monate vergangen, seitdem die ersten COVID-19-Impfstoffe verabreicht wurden. Inzwischen haben 60,3 Prozent der Weltbevölkerung mindestens eine der bis dato insgesamt 9,8 Milliarden verabreichten Dosen erhalten. 51,5 Prozent weltweit sind laut WHO sogar komplett geimpft. Sie als Leser dieses Blogs muss ich also höchstwahrscheinlich nicht von der Sicherheit und Wirksamkeit der Impfungen überzeugen. Aber gleichzeitig legen die Zahlen nahe, dass wir zumindest statistisch alle jemanden im Bekannten-, Familien- oder Kollegenkreis haben müssen, der zu den aktuell 16,6 Millionen Deutschen gehört, die laut Impfdashboard des RKI noch nicht geimpft sind, obwohl für sie das Impfen nicht kontraindiziert wäre. Haben wir unter unseren Mitmenschen also so viele leidenschaftliche Impfgegner, welche die Wissenschaft kategorisch ablehnen oder sind das am Ende gar allesamt Verschwörungstheoretiker, die gezielt Falschinformationen verbreiten? Das ist unwahrscheinlich, auch wenn den besonders lauten unter den Unbelehrbaren eine überproportional hohe mediale Aufmerksam zuteil wird.

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In Wirklichkeit sind wohl die meisten Impfskeptiker einfach verunsichert. Dazu tragen natürlich auch die eben erwähnte Berichte über Querdenker-Demos bei, die direkt nach den Impfzahlen in den Nachrichten zur Hauptsendezeit ausgestrahlt werden, wodurch ihre vermeintliche Relevanz größer wirkt, als sie tatsächlich ist. Dazu gibt es unzählige, vermeintlich seriös wirkende Berichte auf den sozialen Netzwerken, die sowohl die Pandemie insgesamt als auch die Sicherheit der Impfstoffe in Frage stellen. Offensichtlich sind also die Regierungen und Gesundheitsbehörden alleine nicht mehr in der Lage, die benötigte Überzeugungsarbeit zu leisten. Schon vor der COVID-19-Pandemie wurde das in einigen Teilen der Welt herrschende Misstrauen in Impfstoffe von Gesundheitsexperten als „globale Krise“ bezeichnet. Inzwischen gehen die Bedenken soweit, dass dieses Misstrauen sogar die Bemühungen zur Beendigung der Pandemie negativ beeinträchtigen könnte. Und je länger dieser Ausnahmezustand mit dauerhafter Alarmbeschallung geht, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass die gesellschaftlichen Gräben wieder zusammenwachsen werden – und umso rasanter steigt die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Radikalisierung an beiden Enden des Impf-Meinungs-Spektrums.

Ein probates Mittel, um dieser Unsicherheit zu begegnen, sind Gespräche. Nur wer spricht, dem kann auch geholfen werden. Die Rolle, welche Apotheken hierbei spielen könnten, sollte man nicht einfach so außer Acht lassen, genießen sie doch in der Bevölkerung das höchste Vertrauen aller Gesundheitsberufe. Natürlich muss ich Ihnen nicht erklären, wie Sie mit Ihren Kunden umzugehen haben – Sie kennen Ihre Kunden besser, länger und in vielen Fällen auch persönlicher. Dennoch ist auch in Ihrer Apotheke rein statistisch jeder fünfte Kunde (oder 19,9 Prozent der Kunden) wissentlich und willentlich nicht geimpft. Deswegen habe ich auf Basis eines kürzlich auf der Homepage der BBC erschienenen Artikels die erfolgsversprechendsten Methoden für eine effiziente Kommunikation mit dieser kritischen, skeptischen oder verunsicherten Kundengruppe zusammengestellt. Das übergeordnete Ziel dabei ist es, auch in der Kommunikation niemals den Pfad der evidenzbasierten Erkenntnisse zu verlassen und in einfach verständlicher Sprache die Wissenschaft verständlich zu machen, die hinter den Impfstoffen steht – und vor denen fast 20 Prozent unserer Mitmenschen offensichtlich starke Bedenken haben.

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1. Wählen Sie Ihre Zielgruppe mit Bedacht.

Egal, in welcher Branche Sie über welches Thema sprechen – nichts ist wichtiger, als die Auswahl der richtigen Zielgruppe. In der Zielgruppe der ungeimpften Menschen gibt es jedoch unterschiedlich starke Ausprägungen der Skepsis. Einige sind eher zögerlich und wären grundsätzlich impfbereit, während andere das kategorisch ablehnen. Ein häufiger Fehler ist es, quasi-missionarisch zu versuchen, Letztere zu bekehren, statt Ersteren das noch fehlende Quäntchen Sicherheit mit auf ihren Weg zu geben. Daher lautet der erste Ratschlag, sich überwiegend auf diejenigen zu konzentrieren, die bereits eine Tendenz Pro-Impfung haben.

Praxistipp: Sollten Sie überzeugte Impfgegner unter Ihrer Kundschaft haben und möchten Sie vermeiden, dass Sie und Ihr Team vergebliche Energie in Überzeugungsarbeit bei diesen Menschen stecken, so können Sie übrigens in den meisten Warenwirtschaftssystemen Nachrichten hinterlegen, die automatisch an der Kasse aufpoppen, sobald der Kunde in der Kasse aufgerufen wird. So können Sie Ihr Team „warnen“ und gleichzeitig den Kunden nicht in eine Diskussion verwickeln, die weder ihm noch Ihnen etwas bringt. Auf beiden Seiten des HVs sparen Sie so Zeit und schonen die Nerven.

2. Seien Sie zurückhaltend und empathisch.

Effizient kommunizieren können vor allem Menschen mit der Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Zur Verdeutlichung: die Komplexität des eigenen Lebens kann jeder ganz gut abschätzen. Daher sollte man stets davon ausgehen, dass das Leben von anderen Menschen nicht minder komplex ist. Der Charakter eines jeden Menschen hat sich aufgrund von prägenden Erlebnissen im Laufe der Zeit entwickelt – und diese Entwicklung ist niemals ganz abgeschlossen. In seinem Buch „The righteous mind“ stellt der US-amerikanische Psychologe Jonathan Haidt die These auf, dass kein Mensch absichtlich Böses tut. Handlungen, die anderen potentiell Schaden zufügen können, würden vielmehr von der Absicht ausgelöst, etwas noch Schlimmeres für sich oder andere zu verhindern. Behält man diesen Gedanken im Hinterkopf, so geht man mit der richtigen Grundstimmung in nahezu alle Gespräche.

Hinzu kommt, dass die wenigsten Menschen gerne belehrt werden. Das gilt umso mehr dann, wenn sie von der Richtigkeit des eigenen Handelns aus den eben genannten Gründen überzeugt sind. Statt also dem Gegenüber zu erklären, wieso sie oder er sich unbedingt impfen lassen sollte, ist es meist überzeugender, wenn man erklärt, wie man selbst zu der Einsicht gelangt ist, sich impfen zu lassen. Dabei können vor allem Apotheker auch einige nützliche Fakten einfließen lassen, beispielsweise darüber, wie die Covid-19-Impfstoffe entwickelt und erforscht wurden.

Praxistipp: wie man die Funktions- und Wirkungsweise von mRNA-Impfstoffen leicht verständlich erklären kann, darüber hat Christine Gitter in der DAZ 10/2021 (Paywall nach dem Einleitungsabsatz) einen äußerst lesenswerten Artikel geschrieben. So, wie es im Artikel beschrieben wird, sollte es für jeden Kunden verständlich sein.

3. Stellen Sie einen persönlichen Bezug zum Gesprächspartner her.

Was die meisten Menschen von der Immunisierung gegen Covid-19 abhält, ist weniger die kategorische Ablehnung von Impfungen allgemein, sondern vielmehr die Angst vor persönlichen Nachteilen. Häufig hört man Argumente wie das der fehlenden Langzeitstudien. Die Vorteile für die Allgemeinheit, wie das reduzierte Ansteckungsrisiko, dem man nach der Impfung seine Mitmenschen aussetzt oder gar ein schnelleres Ende der Pandemie, treten demgegenüber in den Hintergrund und verfehlen ihre Wirkung. Denn der persönliche, befürchtete Schaden ist immer unmittelbarer als das Wohl der Gemeinschaft. Häufig finden sich unter Impfskeptikern übrigens auch Menschen, die der Gesellschaft insgesamt wenig bis gar kein Vertrauen entgegenbringen.

Am effektivsten hat sich in diesen Fällen das Herausstellen der persönlichen Vorteile erwiesen. So lässt sich gut argumentieren, dass es natürlich auch genügend Ungeimpfte mit asymptomatischen oder milden Verläufen gibt. Dennoch birgt jede Ansteckung mit dem Coronavirus das Risiko eines schweren Verlaufs – und der kann im schlimmsten Fall das ganze Leben komplett auf den Kopf stellen. Weisen Sie im Gespräch auch darauf hin, dass selbst relativ junge und fitte Menschen keine Garantie dafür haben, nicht ernsthaft krank zu werden oder gar unter Long-Covid zu leiden. Immerhin fühlt sich einer von fünf Menschen auch fünf Wochen nach der Ansteckung noch immer unwohl. Einer von zehn Menschen hat sogar drei Monate später immer noch Symptome und ist nur in geringem Maße physisch belastbar. Die Impfung mindert das Risiko solch schwerer Verläufe. Überzeugend werden Ihre Argumente immer dann, wenn dadurch für Ihren Gesprächspartner nachvollziehbar und schlüssig die Vorteile überwiegen und die persönlichen Nachteile ins richtige Verhältnis dazu gerückt werden.

Praxistipp: wenn Sie ein Kundenkonto haben, kennen Sie auch die Arzneimittelhistorie Ihrer Kunden. Persönlicher als nach einer Medikationsanalyse in der Apotheke können die drohenden Gesundheitsriken einer Infektion nicht zu den Vorteilen der Impfung ins Verhältnis gesetzt werden!

4. Klären Sie auf, wie gezielte Fehlinformation funktioniert

Die Unsicherheit und die Angst vor persönlichen Nachteilen der Impfskeptiker beruht in den meisten Fällen auf falschen Informationen – Fake News! Ein beliebtes Beispiel für die vermeintliche Gefährlichkeit der Vakzine ist die Schnelligkeit, mit der die Impfstoffe zugelassen wurden. Grundsätzlich ist es natürlich begrüßenswert, wenn die Qualität wissenschaftlicher Arbeit akribisch geprüft wird. Insofern gibt es auch an Skepsis nichts auszusetzen, vorausgesetzt auch diese hält sich an wissenschaftliche Standards. Somit darf man zum Zweifel an der Zulassung der Impfstoffe durchaus kontern, dass an der zu Grunde liegenden Impfstofftechnologie (mRNA) bereits seit vielen Jahren geforscht wird und es schon vor Corona mehrere Zehntausende Probanden gab, die kontinuierlich auf Nebenwirkungen untersucht wurden. Auch der Zusammenhang zwischen der Impfung und schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen wird häufig als Risiko angeführt, das natürlich zum Ziel hat, die Adressaten der Botschaft zu verängstigen und zu verunsichern. Bedenkt man aber, dass weit über die Hälfte der Erdbevölkerung inzwischen geimpft wurde, so werden einige davon unweigerlich an einer anderen, völlig unabhängigen Krankheit erkranken oder gar sterben. Einen pauschalen und allgemeinen Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und diesen Todesfällen gibt es nicht. Er hält einer nüchternen, wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Die Suggestion, es gäbe versteckte Gefahren im Impfstoff, wird versucht, mit Einzelfällen zu belegen. In Wirklichkeit sind alle der zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 äußerst unbedenklich. Die medizinischen Daten deuten sogar darauf hin, dass ernsthafte Nebenwirkungen unglaublich selten sind.

Praxistipp: beliebt unter den eher standhaften Impfgegnern ist auch die Behauptung, dass sich „die Pharmaindustrie“ ja an den Imfpstoffen bereichern würde. Rechnen Sie solchen Hardlinern ruhig mal vor, was eine Apotheke pro Impfdosis verdient – und wie hoch der Rohertrag bei Long-Covid-Patienten ist. Aus dieser rein betriebswirtschaftlichen Perspektive müssten Apotheke ja geradezu vor der Impfung warnen, wäre es nicht so zynisch.

Haben Sie sich beim Lesen der Kommunikationstipps auch immer wieder gedacht, dass Sie die eigentlich kennen? So ging es zumindest mir beim Schreiben. Und immer wieder sind mir Situationen eingefallen, nicht immer unbedingt im Zusammenhang mit Corona, wo ich mich in hitzigen Diskussionen nicht an diese Ratschläge gehalten habe. Also schadet es sicher nicht, sie sich von Zeit zu Zeit wieder ins Gedächtnis zu holen. Und natürlich gibt es keinen zu hundert Prozent sicheren Weg, um die Meinung anderer Menschen zu ändern. Befolgt man aber diese vier Vorschläge, sollte das die Chance erhöhen, viel konstruktivere Gespräche zu führen. Jedes korrigierte Missverständniss ist ein Hindernis weniger auf dem Weg heraus aus der Pandemie. Und je mehr Menschen dabei mitmachen, umso „ansteckender“ wird die Wahrheit selbst.

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