Vor 50 Jahren, im März 1972, wurde „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ veröffentlicht. Die Kernbotschaft des Berichts lautet, dass bei einem unveränderten Anhalten der zunehmenden Weltbevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Nahrungsmittelproduktion und Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen die absoluten Wachstumsgrenzen des Planeten binnen weniger als 100 Jahren erreicht sein würden. Diese komplette Ausbeutung der natürlichen Ressourcen käme einem Totalzusammenbruch gleich, welchem nur durch sofortige weltweite Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit entgegengewirkt werden könne. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass viele der düsteren Vorhersagen aus den „Grenzen des Wachstums“ gar nicht eingetreten sind. Waren also die Vorhersagen, die damals mit Hilfe von Computern an Großrechnern ermittelt wurden, falsch?

Das Dilemma der Mahner und Propheten ist kein Neues. Es wird im Alten Testament, im Koran und auch in den konfuzianischen Schriften erwähnt: soll man eine Warnung aussprechen, wenn man weiß, dass sie nur dann wahr wird, wenn man sie für sich behält?
In unserer Zeit mahnen die Forschenden. Sie trifft das gleiche Dilemma wie den Club of Rome nach seiner Veröffentlichung vor 50 Jahren und der im Abstand von 20, 30 und 40 Jahren vorgenommenen kritischen Analysen. Und es wurde sehr viel gemahnt während der Covid-19-Pandemie. Das Präventionsparadoxon konnte in den letzten zwei Jahren besonders gut beobachtet werden: denn natürlich lösen Vorhersagen mitunter auch Reaktionen aus, die im besten Fall verhindern, dass das Vorhergesagte eintritt. So trat beispielsweise keine der Horror-Warnungen über den bevorstehenden Kollaps des Gesundheitssystems ein. Ein solcher wurde jedoch von der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin prognostiziert, für den Fall, dass keine Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen würden.
Natürlich ist die Wahrheit nicht schwarz und weiß, sondern etwas differenzierter. Das skizzierte Szenario von überfüllten Intensivstationen und Triage drängte nicht nur die Politik zu harten Bestimmungen wie Lockdowns und Maskenpflicht, sondern es überzeugte auch viele Menschen, freiwillig auf Kontakte zu verzichten und sich schnellstmöglich impfen zu lassen. So sanken zwischendurch auch die Fallzahlen. Es steht außer Frage, dass dadurch enorme Schäden für das Gesundheitssystem vermieden wurden. Nur sieht man Schäden, die vermieden werden, eben nicht. Es waren sich selbst widerlegende Prophezeiungen.

Aus meiner Kindheit erinnere ich mich noch an Meldungen über das Waldsterben, den sauren Regen oder das Ozonloch. Die Schreckensszenarien von damals kamen bis heute aber auch nicht so schlimm, wie wir es befürchtet haben. Immerhin führten nämlich diese Warnungen aus der Wissenschaft zu Handlungen der Politik. Bereits 1987 wurden ozonschädliche FCKW-Gase weltweit verboten. In vielen Ländern wurden erstmals Umweltministerien eingeführt, Kraftwerke bekamen Filter und Autos Katalysatoren. Lösungen wurden gefunden und die Warnungen der Umweltschützer als Alarmismus abgetan.
Der Klimakrise droht ein ähnliches Schicksal. Denn natürlich wird die Erwärmung der Erde verheerende Folgen haben. Nur spüren wir diese heute insbesondere bei uns in Deutschland noch sehr wenig. Den Appell, unseren Konsum und unsere Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten, wie er in den „Grenzen des Wachstums“ erstmal laut hörbar postuliert wurde, empfinden viele als überzogen. Schließlich kam es bis jetzt ja auch nicht so schlimm. Außerdem könne man sich ja auf den menschlichen Erfindergeist verlassen, der habe ja bis jetzt noch immer einen Ausweg gefunden. Und sollte es uns tatsächlich gelingen, mit Hilfe der Politik und einiger genialer Ideen das Klima doch noch zu retten, werden sich vor allem diejenigen bestätigt fühlen, welche schon heute nicht an den Klimawandel glauben.

Auch im Bereich der Digitalisierung mangelt es nicht an Mahnern. Computer müssen den Menschen dienen. Bestimmte Berufe werden bei zunehmender Automatisierung obsolet, den Menschen droht Arbeitslosigkeit. Künstliche Intelligenz darf niemals so mächtig werden, dass sie zu einem als „Singularität“ bezeichneten Zeitpunkt die Summe der menschlichen Intelligenz übersteigt – denn welche Daseinsberechtigung hätte der Mensch dann noch?
Und darin steckt das Dilemma der Mahner. Prävention ist nämlich undankbar. Wenn sie Erfolg hat, so kann sie rückwirkend sogar als unnötig erscheinen. Im schlimmsten Fall werden ergriffene Maßnahmen als übertriebener Aktionismus abgestempelt. Und trotzdem zeigt auch das Beispiel der „Grenzen des Wachstums,“ dass das Hoffen auf einen Sieg der Vernunft nicht zwangsweise vergeblich sein muss.