Wie nachhaltig ist das E-Rezept?

Ende März 2022 wurde auf der LinkedIn-Seite der Hamburger Kommunikationsagentur „The Medical Network“ einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel „Umweltschutz durch E-Rezept?“ Von den Autoren wurde berechnet, dass durch die Umstellung auf das E-Rezept signifikant

  • weniger Strom verbraucht,
  • Papier gespart,
  • CO2-Emissionen vermieden und
  • Feinstaubpartikel eingespart werden würde.

Carlos Thees, einer meiner beiden Mitautoren bei der Arbeitshilfe zum E-Rezept und sehr geschätzter Kollege, hat sich daraufhin an die Recherche gemacht und kam zu dem Ergebnis, dass die Berechnungen von „The Medical Network“ zwar grundsätzlich zutreffend seien – aber einige Teile des Prozesses gar nicht berücksichtigt wurden. Tatsächlich liegt das Potential für den Umweltschutz sogar noch höher. Bei einer konsequenten Umstellung auf das E-Rezept kann also tatsächlich die Umwelt deutlich weniger belastet werden als heute – und zwar über das Maß hinaus, welches die „The Medical Network“ in seinem sehr guten Post errechnet hatten. Im folgenden klammern wir daher die Bereiche Stromverbrauch und Feinstaub, denen wir grundsätzlich zustimmen, aus.

Als erstes wollen wir quantifizieren, welche Menge Papier heute für die in Deutschland benötigten Rezepte verbraucht wird. Aktuell werden trotz leicht zunehmendem Anteil an E-Rezepten noch immer nahezu 100 Prozent aller Verordnungen auf Papier ausgestellt. Ein Muster-16-Rezept aus Papier wiegt 1,36 Gramm. Von diesen werden laut gematik-Fachportal jährlich 500 Millionen Stück verbraucht. Das ergibt ein Gesamtpotential von 680 Tonnen Papier, welches grundsätzlich bei der Verordnung von Arzneimitteln eingespart werden könnten. Aber es werden ja nicht nur Arzneimittel verordnet. Heil- und Hilfsmittel gibt es ja auch noch, so dass wir uns gedanklich mal eher in Richtung der 1.000 Tonnen Papier pro Jahr orientieren sollten.

Apotheke Digitalisierung E-Rezept Nachhaltigkeit

Ein weiterer ökologischer Aspekt wurde hingegen in dem eingangs zitierten Post noch gar nicht berücksichtigt. Denn der Lebenszyklus eines Muster-16-Rezeptes hat ja mehrere Etappen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ein einzelnes Rezept bewegt sich nämlich physisch über mindestens vier Stationen:

  1. Die Blanko-Rezeptformulare müssen von den Druckereien auf die Arztpraxen in Deutschland verteilt werden.
  2. Dort werden sie den Patienten mitgegeben, welche sie in die Apotheken bringen.
  3. Die Apotheken wiederum schicken ihre Rezepte physisch an ihr Abrechenzentrum.
  4. Und von dort muss es letztlich noch zu den Krankenkassen verbracht werden. Letztere müssen die Rezepte sogar noch den Zeitraum von 10 Jahren archivieren.

Beim E-Rezept würde lediglich noch Etappe 2 übrig bleiben. Alle anderen würden vom E-Rezept-Prozess komplett eliminiert werden. Selbst die gerne belächelte Variante, in welcher Patienten den Token zum Abruf des E-Rezeptes auf Papier mitbekommen, würde die Etappen 3 und 4 obsolet machen. Das ist sehr viel CO2, welches alleine dadurch freigesetzt wird – und welches man gedanklich den 610 Tonnen aus dem Post von „The Medical Network“ noch hinzu addieren sollte.

Apotheke Digitalisierung E-Rezept Nachhaltigkeit

Nun gibt es keine Quelle, aus der sich die Transportstrecke eines Rezeptes auf den durchschnittlichen Kilometer genau berechnen ließe. Deswegen setzen wir hier mal mit einer Mischung aus gesundem Menschenverstand und Bauchgefühlt für die drei Etappen, die beim E-Rezept entfallen „halb Deutschland“ bzw. 500 Kilometer an. Klar, manchmal ist die Druckerei auch näher am Arzt oder die Apotheke am selben Standort wie das Abrechenzentrum. Im Durchschnitt werden aber hier sicherlich ordentlich Kilometer gefahren. Für eine näherungsweise Berechnung, wie viel CO2 eingespart werden kann, verwenden wir aber zunächst die 3 x 500, also 1.500 Kilometer für insgesamt 680 Tonnen Papier.

Laut Statista verursachte ein LKW im Jahr 2019 in Deutschland 111 Gramm Treibhausgase pro Tonnenkilometer. Legt man diesen Faktor zu Grunde und multipliziert ihn mit den 680 Tonnen und den 1.500 Kilometern für unsere Papier-Rezepte, dann stecken alleine m Transport und der Logisitk von Papier weitere CO2-Äquivalente in Höhe von etwas mehr als 113 Tonnen – pro Jahr. Verursacht alleine deswegen, weil Deutschland im Gegensatz zum Großteil seiner europäischen Nachbarn den Sprung zum E-Rezept noch nicht geschafft hat.

Apotheke Digitalisierung E-Rezept Nachhaltigkeit

Das E-Rezept wird häufig und gerne als Gamechanger bezeichnet. Apotheken können sich jedoch seit vielen Jahren darauf vorbereiten – und wie es aussieht, wird diese Vorbereitungsphase nochmal verlängert. Für den Klimaschutz hingegen wäre das E-Rezept tatsächlich ein absoluter Gamechanger, und zwar im positiven Sinne. Und wenn es einen Beruf gibt, der sich wirklich vor dem E-Rezept fürchten sollte, dann sind das nicht die Apotheken, sondern die Druckereien und Speditionen, die heute mit dem Hin- und Herfahren von Papier ihren Umsatz machen.