Das E-Rezept im internationalen Vergleich

Gesundheitssysteme lassen sich nicht einfach vergleichen, zu unterschiedlich sind dabei die nationalen Unterschiede. So gibt es im Vereinigten Königreich mit dem National Health Service (NHS) nur eine einzige, noch dazu staatliche Organisation, die als sog. „single payer“ den Bürgern in Form eines Wohlfahrtsstaates aus Steuermitteln die primäre und sekundäre medizinische Versorgung zur Verfügung stellt. Die Komplexität dort ist sicherlich geringer als in Deutschland mit seinem wilhelminischen Ansatz einkommensabhängiger Sozialversicherungsbeiträge, der zu einer Vielzahl von Allgemeinen Orts-, Betriebs-, Ersatz-, Innungs-, Landwirtschaftlichen und Knappschaftskrankenkassen geführt hat. Diese „multiple payer“ verantworten in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sogar ihren eigenen Haushalt selbst. Daneben bzw. dazwischen gibt es noch eine Vielzahl anderer Gesundheitssysteme bis hin zu reinen Selbstzahlersystemen, wie (in etwas abgeschwächter Form – wegen Medicaid und Medicare) es auch in den USA üblich ist.

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Das jeweilige Gesundheitssystem spiegelt sich aber stets auch in der Art und Weise, wie eine ärztliche Verschreibung von Arzneimitteln in die abgebende Apotheke gelangt und wie sowohl der Arzt vergütet als auch das Arzneimittel erstattet werden – und von wem. Will man also ärztliche Verordnungen, egal ob elektronisch oder nicht, international vergleichen, so braucht man für diesen Prozess eine Definition.

Tatsächlich findet man eine internationale Definition des elektronischen (E-)Rezeptes, die sog. epSOS-Definition, auf den Seiten der EU-Kommission:

Das E-Rezept besteht aus der elektronischen Verschreibung und der elektronischen Ausgabe von Arzneimitteln. Elektronisch ist eine Verschreibung von Arzneimitteln, wenn sie unter Einsatz einer Software vorgenommen wird und die Verordnungsdaten elektronisch an eine Apotheke übermittelt werden, von der das Arzneimittel dann abgegeben werden kann. Die elektronische Arzneimittelausgabe (E-Dispensation) ist definiert als der elektronische Abruf eines Rezepts und die Abgabe des Arzneimittels an den Patienten, so wie es im entsprechenden E-Rezept angegeben wurde. Nachdem das Arzneimittel abgegeben wurde, hat die abgebende Stelle die Abgabeinformationen mithilfe der E-Rezept-Software zu melden

Quelle: https://digitalhealtheurope.eu/glossary/eprescription/ ; Übersetzung von Google Translate

International vergleichen lassen sich E-Rezepte also vor allem, indem man den kompletten Prozess betrachtet, der mit der Aushändigung eines Verordnung durch den Arzt beginnt, aber nicht mit dem Erhalt des Medikaments durch den Patienten endet. Folgende drei Prozessschritte lassen sich dabei grob voneinander unterscheiden:

  • Die elektronische Verordnung (E-Verordnung) ist das digitale Gegenstück zum Papierrezept, das ein Arzt erstellt und das elektronisch an das Informationssystem der Apotheke schickt. Letzteres sind in Deutschland die Warenwirtschaftssysteme.
  • Im Apothekensystem wird die Verordnung von einem Server abgerufen, in der IT/ Warenwirtschaft dargestellt und darafhin das Medikaments ausgegeben (E-Dispensation).
  • Schließlich wird eine automatische Nachricht (Report) erzeugt, die den Aussteller der E-Verordnung über die erfolgreiche Aushändigung des Medikaments informiert. Die technischen Voraussetzungen hierfür, insbesondere für die Erzeugung und den Versand des Reports, sind aufgrund der sensiblen Inhalte von Gesundheitsdaten äußerst hoch und nicht jedes Land mit einem E-Rezept-System verfügt über alle drei beschriebenen Komponenten. Der Report wiederum kann inhaltliche und technische Basis für die Führung von E-Medikationslisten sein oder auch Grundlage für die Abrechnung der erbrachten Leistungen.
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Während also Deutschland gerade erst mit der Einführung des E-Rezepts beginnt und gute Gründe für eine erneute Verschiebung dieser Einführung vorliegen, so gibt es in Europa schon eine Vielzahl von Ländern, bei denen dieser Prozess bereits am Laufen oder sogar abgeschlossen ist. So sind elektronische Verordnungen bereits – in unterschiedlichen Ausprägungen – Verordnungsalltag in

  1. Belgien
  2. Dänemark
  3. Estland
  4. Finnland
  5. Island
  6. Kroatien
  7. Lettland
  8. Litauen
  9. Montenegro
  10. Norwegen
  11. Polen
  12. Portugal
  13. Rumänien
  14. Slowenien
  15. Schweden
  16. Spanien
  17. den Niederlanden
  18. der Schweiz und
  19. im Vereinigten Königreich.

Will man die europäischen Systeme anhand der epSOS-Definition untereinander vergleichen, so kann man diese gemäß einer Sonderauswertung der Bertelsmann-Stiftung in folgenden drei Kategorien unterteilen:

  • In der Spitzengruppe ist das E-Rezept national flächendeckend verfügbar. In den meisten Fällen stehen neben den o.a. drei Prozessschritten des E-Rezeptes auch ein elektronischer Medikationsplan (eMP) sowie die Anbindung des E-Rezeptes an die elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung. In Europa gehören folgende Länder in diese Gruppe: Belgien, Dänemark, Estland, Finnland Portugal und Schweden. Insbesondere die baltischen Staaten oder Finnland werden häufig als Positivbeispiele angeführt – in Finnland werden zwischenzeitlich immerhin 100% aller Verordnungen elektronisch ausgestellt. Finnische Patienten können ihr E-Rezept eines finnischen Arztes sogar in einer Apotheke im Nachbarland Estland einlösen.
  • In der mittleren Gruppe sind E-Rezepte regional oder begrenzt verfügbar. Dies liegt meist an nur regional beschränkt funktionierende Systemen oder begrenzter technischer Verfügbarkeit auf nationaler Ebene. Die europäischen Länder dieser Gruppe sind Italien, Spanien, die Niederlande oder das Vereinigte Königreich. Teilweise wird, wie in den Niederlanden, zwar noch kein E-Rezept als solches verschrieben und dispensiert, aber Ärzte und Apotheker erhalten zumindest Einblick in die Medikationsdaten des Patienten und tragen so zur Arzneimitteltherapiesicherheit bei.
  • In der letzten Gruppe befinden sich Länder, in denen das E-Rezept noch gar nicht verfügbar ist. Zu ihnen gehören u.a. Deutschland, Österreich und die Schweiz. Während man in der Schweiz erst einmal die effektive Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD), der schweizerischen Patientenakte, abwarten will, haben Deutschland und Österreich bereits mit der Einführung des E-Rezeptes, des eMP und ersten Pilotprojekten begonnen.
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Die Einführung des E-Rezeptes in Deutschland entsteht also keinesfalls aus einer politischen Laune oder gar Boshaftigkeit heraus. Im europäischen Kontext soll damit der freie Warenverkehr und die Niederlassungsfreiheit der freien Berufe weiter harmonisiert und die grenzübergreifende medizinische Versorgung gefördert werden. Grundsätzlich sind das sicher unterstützenswerte Ziele. Im weltweiten Kontext wird Deutschland mit dem E-Rezept auf technologischer Ebene den Anschluss an Länder wie Israel, Kanada oder die Vereinigten Staaten finden, in denen elektronische Verordnungen teils seit vielen Jahren im Einsatz sind und in denen weder Leistungserbringer noch Patienten auf dieses Angebot verzichten möchten.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die Einstellung der Apotheker zum E-Rezept in Deutschland entwickeln könnte, muss man jedoch gar nicht so ferne Länder als Referenzen bemühen. Es reicht der Blick in ein östliches Nachbarland, bei dem sich das E-Rezept, weitgehend unbemerkt von der deutschen Apotheken-Öffentlichkeit, zu einem großen Erfolg entwickelt hat: Polen. Mit seinen gut 38 Millionen Einwohnern gibt es dort ungefähr 14.000 Apotheken, was einer Kundenzahl von etwa 2.700 pro Apotheke entspricht. In Deutschland liegt diese Kennzahl bei etwas über 4.000 Kunden je Apotheke. Bereits seit Januar 2019 sind die Apotheken in Polen verpflichtet, elektronische Rezepte zusätzlich zu denen aus Papier annehmen zu können. Seit Anfang 2020 soll es Verordnungen nur noch in elektronischer Form geben.

Wie ist die Einstellung der polnischen Apotheker zum E-Rezept? Wie bewerten sie dessen Nutzen und was hat sich in der Kommunikation mit den Patienten für die Apotheken vor Ort geändert? Und welche Ähnlichkeiten gibt es dort, die sich vielleicht mit den heute bereits bekannten Komponenten des gematik-Konzepts vergleichen lassen? Eine polnische Apothekerin äußerte sich dazu bereits vergangenes Jahr umfangreich in einem Interview mit der Deutschen Apotheker Zeitung. Auch für die Apotheken in Deutschland wäre es wünschenswert, wenn sie schon bald zu einem ähnlichen Fazit kommen würden, wie ihre Kollegin aus Polen in besagtem Interview:

„Rückblickend verwundert es uns ein wenig, dass uns gar nicht bewusst war, wie nützlich dieses virtuelle Dokument sein wird.“

Mgr. Karolina Wotlińska-Pełka, Apothekerin aus Polen, auf www.deutsche-apotheker-zeitung.de/