PharmagoraPlus 2022 in Paris – welche Innovationen wurden gezeigt?

Vergangenes Wochenende, am 12. und 13. März 2022, fand in Paris zum ersten Mal seit dem Jahr 2019 wieder die PharmagoraPlus statt – die größte Apothekenmesse Frankreichs sowie eine der größten Europas. Nachdem ich diese Messe in den Jahren 2006 bis 2011 regelmäßig besucht hatte, tat sich vor wenigen Wochen die Gelegenheit auf, dieses Jahr mal wieder dort hinzufahren. Und während mich vor zehn Jahren noch überwiegend die Warenwirtschaftssysteme in Frankreich interessiert hatten, so wollte ich dieses Jahr vor allem sehen, welche Digitalisierungsprojekte bei unseren Nachbarn gezeigt werden, welche Aussteller ich (noch) kenne und wie sich die auf der Messe gezeigte Apothekenwelt seit meinem letzten Besuch verändert hat.

Kommissionierautomaten

Beim Betreten der Halle fiel mir als erstes ein wohlbekanntes Logo auf: nämlich das von BD ROWA. Sie hatten direkt am Eingang ihren Stand, der von den Dimensionen etwas kleiner geraten war, als ich das von den letzten Expopharms in München und Düsseldorf her gewohnt war. Dennoch herrschte hier reger Betrieb den ganzen Tag lang. Direkt daneben, auf dem Stand von Pharmagest – dem größten französischen Warenwirtschaftsanbieter – befand sich mit Pharmathek der nächste Kommissionierautomatenhersteller. Aber damit nicht genug: auch Apostore (bei einem französischen Vertriebspartner), Omnicell und Gollmann waren im gleichen Bereich der Halle zu finden. Daneben gab es nochmal genauso viele Stände mit Kommissionierautomaten, die in Deutschland nicht zu finden sind: Meditech, Mekapharm oder Swisslog, um nur einige zu nennen.

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Dass Automaten ein Riesentrend in Frankreich sind, war also nicht zu übersehen. Fragte man die Aussteller nach dem Grund dafür, so hörte ich ein ums andere Mal: Covid. Offensichtlich hat die Pandemie den französischen Apotheken ausreichend Geld in die Kassen gespült, um diese Investitionen nun in großer Anzahl tätigen zu können. Darüber hinaus gibt es aber noch einen weiteren Grund. Denn in Frankreich mit seinem überwiegend staatlich finanzierten Gesundheitssystem gibt es zum Beispiel keine Rabattverträge. Deswegen befinden sich dort in den Warenlägern generell auch nicht viele Packungen mit jeweils nur einem Bestand wie in Deutschland, sondern deutlich weniger unterschiedliche Artikel je Wirkstoff – diese aber dann aber in großen Mengen. Um in Frankreich wettbewerbsfähig zu sein, müssen die Automaten in der Lage sein, gleiche Packungen möglichst schnell an verschiedene Ausgabeplätze zu liefern. Multipicking und Schnelldreher sind hier die Stichworte, welche Hersteller aus anderen Märkten erst lernen mussten. Und die Hausaufgaben wurden seitens der Hersteller offensichtlich gemacht.

Telemedizin

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Das nächste große Thema, an mindestens fünf unterschiedlichen Messeständen, war Telemedizin. Aber nicht auf dem Smartphone oder dem Computer, wie man es auch von hier kennt. Sondern an eigenen Terminals mit großen Bildschirmen, integrierten Kameras und einer ganzen Batterie an diagnostischen Geräten. Vom Blutdruckmessgerät über Pulsoximeter bis hin zu Dermatoskopen. Aufgestellt werden diese Terminals nicht nur in öffentlichen Gebäuden, sondern auch direkt in der Apotheke. Und neben der wenig diskreten freistehenden Variante gibt es auch noch die Möglichkeit, das Terminal in eine Kabine zu integrieren, die diskrete Beratung zulässt. Natürlich gibt es die Termine mit den Ärzten rund um die Uhr mit maximal zehn Minuten Wartezeit und nicht erst nach vorheriger Terminvereinbarung. Patienten melden sich mit der Versichertenkarte an, den Rest macht die integrierte Software.

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Die Vorteile der Lösung aus Patientensicht sind eindeutig. Beispielsweise wenn man im Akutfall ein Rezept für das benötigte Arzneimittel braucht, kann dies der Telemediziner direkt in der Apotheke ausstellen. Zuweisungsverbote wie in Deutschland scheint es in der Form nicht zu geben. Und auch wenn es in Frankreich noch kein E-Rezept gibt, so erfolgt die Übermittlung der Verordnung aus den Terminals doch digital und kann sofort in der Apotheke eingelöst werden. Neben Medispot und Medadom, die als einzigen Anwendungsfall die Telemedizin haben, gab es mit Maiia auch eine Lösung, die zum Cegidim-Konzern gehört und die auf deren Stand gleichberechtigt neben der Warenwirtschaft SmartRX (die Nummer drei in Frankreich) und weiteren Lösungen präsentiert wurde. Anders als die beiden erstgenannten lässt sich die Maiia zu Grunde liegende Software auch rein zur Terminvereinbarung nutzen und ist mit den Cegidim-Systemen vernetzt. Die Möglichkeit, ohne Termin jederzeit mit geringer Wartezeit per Telemedizin einen Arzt sprechen zu können und dabei diverse diagnostische Geräte unter Video-Anleitung des Arztes selbst anwenden zu können, ist für mich als Patient durchaus wünschenswert. Auch der große Monitor mit der Kamera sorgt dafür, dass ich als Patient frei stehen kann und nicht mein Smartphone noch gleichzeitig in der Hand halten muss. Der Arzt kann mir Anweisungen zur Körperhaltung und -stellung geben und mich dadurch dirigieren, ähnlich wie in der Praxis. Das erleichtert die Anamnese. Ich bin sehr gespannt, was von diesem Konzept – das natürlich so in Deutschland wegen unzulässiger Zuweisung unmöglich wäre – es dann doch von unseren westlichen Nachbarn rüber zu uns schafft.

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Die üblichen Verdächtigen: Großhandlungen, Kooperationen, Pharmaindustrie – und Start-Ups

Mit Ausnahme der Kosmetikhersteller, von denen sich ja die meisten auf der Pharmagora in ihrem Heimatmarkt befinden, war ansonsten kein großer Pharmahersteller zu sehen. Halt, doch, eine Ausnahme gabe es: Moderna zeigte Präsenz und hielt die Fahne der mRNA-Hersteller hoch. Mit PHOENIX und deren Kooperation PharmaVie sowie Alliance Healthcare und Alphega war zumindest zweimal die Kombination Großhandel/ Kooperation mit größeren Ständen vertreten. Diese waren auch immer gut besucht, wenn ich dort vorbei gegangen bin. Große Innovationen wurden dort allerdings nicht präsentiert, PharmaVie hat einen OTC-Bestellshop gezeigt, über den aber wenig Bestellungen laufen, wie Insider mir gegenüber behauptet haben. Da es in Frankreich ein Versandverbot für RX gibt, ist das Thema E-Commerce für Apotheken kein großes Thema.

Zentral gelegen im Inneren der Messehalle gab es das „Vallée E-Health.“ Dort fanden sich mehrere Start-Ups, die jeweils nur ein Roll-Up und einen großen, runden Bar-Tisch zur Verfügung hatten, auf den gerade mal ein Laptop passte. Präsentiert wurden hier vor allem Lösungen rund um die Automatisierung von Prozessen, die Kommunikation innerhalb der Apothekenteams und Tools zur digitalen Kundenbindung. Mein Eindruck hiervon war, dass an dieser Stelle in Frankreich noch am meisten Nachholbedarf im Vergleich zu Deutschland besteht. Interessant war auch, dass die Start-Ups aus dem E-Health Valley am Samstagnachmittag einen 3-Minuten-Pitch vor einer Fachjury hatten, deren kritische Fragen sie anschließend beantworteten müssen. Ein Konzept, ohne dass inzwischen wohl keine Fachjury mehr auskommt.

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Mohamed Marsaoui, Gründer und Geschäftsführer von Digital4Win bei seinem Pitch

Mein Fazit: die Schnittmenge der digitalen Lösungen zwischen Frankreich und Deutschland ist sehr groß. Auffallend werden die wenigen vorhandenen Unterschiede immer dort, wo sie aufgrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme am deutlichsten hervortreten. Auf beiden Seiten des Rheins arbeiten jedoch sowohl etablierte Kräfte, neue Player und kapitalstarke Weltkonzerne daran, Patienten noch näher an ihre Leistungserbringer zu bringen und die Prozesse in den Apotheken und Arztpraxen stets noch effizienter zu gestalten. Viele davon haben auch in Frankreich durch die Pandemie nochmal einen richtigen Boost erhalten und sind gekommen, um zu bleiben. Und nach Möglichkeit auch in Richtung des großen Nachbars im Osten Frankreichs zu expandieren.

Für mich war das ein willkommener Blick über den Tellerrand, der sich absolut gelohnt hat – zumal ich den Sonntag in Paris dann auch noch einfach dranhängen konnte. Ich war ja eh schon da …