Vor gut fünf Jahren habe ich an dieser Stelle bereits einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel „Die Apotheken müssen lauter werden!“ Vor etwas über einer Woche wurden die Apotheken lauter. Endlich. Und sie wurden so laut, dass nicht nur innerhalb der Apothekenbubble über den bundesweiten Protesttag berichtet wurde, an dem wohl gut 90% der Apotheken geschlossen blieben. Einige Medien, wie beispielsweise meine regionale Tageszeitung, waren zwei Wochen vor dem Protest noch sehr kritisch in ihren Kommentaren, am Tag des Protestes war die Meinung aus der Chefredaktion aber schon sehr wohlwollend für die Pharmazeuten und Ihre Teams. Sogar in der Bild-Zeitung wurde berichtet, wie wenig Apotheker verdienen, auch wenn es bei der Aktion eigentlich weniger um die Inhaber und mehr um die Mitarbeitenden gehen sollte. In unserer Branche hingegen reißt die Berichterstattung seit dem Protesttag nicht ab. Nicht nur auf den Apothekenportalen, sondern auch in meinen Feeds auf Social Media, bekomme ich noch immer Beiträge zum Protesttag angezeigt. Das erinnerte mich in seiner Frequenz an die 2010-er Jahre. Immer, wenn damals eine neue Staffel der Serie „Game of Thrones“ veröffentlicht wurde, gab es wochenlang kein anderes Thema in meinen Sozialen Netzwerken. Dieser Vergleich macht deutlich, welch enorme PR-Wirkung der Protesttag für die Apotheken und alle darin Beschäftigten hatte.
Damit hören die Parallelen zu der beliebten Fantasy-Serie jedoch nicht auf. Diese spielt auf dem fiktiven Kontinent Westeros, auf dem sich miteinander rivalisierende Familien bekämpfen. Und selbst innerhalb dieser einzelnen Familien, oder Clans, wird munter gemeuchelt. Von Einigkeit keine Spur. Gleichzeitig rückt aus dem hohen Norden in Gestalt der weißen Wanderer eine Armee von Untoten vor, die der unheimliche Nachtkönig regiert. Alleine wäre jeder der Clans von Westeros dieser tödlichen Bedrohung hilflos ausgeliefert. Deswegen schließen sie eine Art Burgfrieden und schaffen es schließlich mit vereinten Kräften, den Nachtkönig zu töten und die weißen Wanderer zu vernichten.
Westeros ist dabei das Gesundheitswesen in der Realwelt. Die einzelnen Clans sind dabei nicht nur die unterschiedlichen Heilberufe, sondern auch die Krankenkassen, die Pharmahersteller und alle weiteren Dienstleister und Berater im Gesundheitswesen. Wechselnde Allianzen, Intrigen und Pyrrhussiege gehören in unserer Branche zum Alltag. An Stelle von strategischen Hochzeiten zweier Herrschaftshäuser gibt es bei uns Fusionen, Firmenverkäufe und Beteiligungen. Ein Clan von vielen sind dabei sicherlich auch die Apotheken. Ein Sprichwort besagt, dass der größte Feind des Apothekers der Apotheker sei. In nahezu 30 Jahren Berufserfahrung in dieser Branche konnte ich dieses Sprichwort leider noch nicht widerlegen.
Der Bedrohung durch die Weißen Wanderer entspricht die Gesundheitspolitik. Diese ist aber keine Momentaufnahme, sondern nur der aktuelle Zustand einer seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten andauernden Entwicklung. Deswegen wäre es ungerecht und geschmacklos, Karl Lauterbach als das Pendant des Nachtkönigs aus Game of Thrones zu bezeichnen. Er hat sicherlich bei den Apotheken keine Sympathiereserven mehr, dennoch ist er keinesfalls alleine schuld an Lieferengpässen, Nachwuchs- und Personalmangel sowie den ungewissen Zukunftsperspektiven.
Am 14.06.2023 schlossen sich die Apotheken in Deutschland in nie gesehener Einigkeit zusammen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln erfolgte fast ausnahmslos über die Notdienstapotheken. Zu anderen Zeiten hätten findige Apothekeninhaber die Schließung ihrer Kollegen vor Ort ausgenutzt, um deren Kunden zu sich umzuleiten. Nicht so am 14.06.2023. Der Clan der Apotheken zeigte sich als Einheit. Und nicht nur das. Die anderen Clans, wie beispielsweise die Zahnärzte, bekundeten sogar ihre Sympathie mit dem vorgehen. Und nur eine Woche später riefen die Kliniken, ein weiterer Clan, in mehreren Bundesländern die „Alarmstufe Rot“ aus.
Das Gesundheitssystem steht vor unruhigen Zeiten. Ähnlich wie die Weißen Wanderer in Game of Thrones muss vielleicht auch in Deutschland erst das alte Gesundheitssystem zerstört werden, bevor aus seinen Trümmern ein neues entstehen kann. Natürlich sollten dabei die Patienten im Mittelpunkt stehen. Das können sie aber nur, wenn die Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, gerne ihrem Beruf nachgehen. Dafür muss er sich nicht nur finanziell lohnen, sondern er darf auch nur so viel Bürokratie erfordern, wie für die Versorgung notwendig. Digitale Tools zur Lösung dieses Problems gibt es zur Genüge. Zur Neugestaltung des Gesundheitswesens gehört allerdings auch die Politik. Karl Lauterbach sollte auf keinen Fall das gleiche Schicksal erwarten, wie den Nachtkönig. Dennoch hat er mit seinem Tweet am Protesttag, seinem irreführenden Faktenblatt und dem unsäglichen Versuch, Pflege und Apotheken gegeneinander auszuspielen, gezeigt, dass er nicht Teil der Lösung sein möchte. Vielmehr muss der Schulterschluss zwischen den Heilberufen nun auch die weiteren Akteure im Gesundheitswesen erfassen. Ansonsten riskieren Patienten im Schlachtfeld des Game of Thrones der Gesundheitsbranche ihr Leben. Jeder kann schnell in die Rolle des Patienten geraten. Es wäre gut, wenn bis dahin der Frieden in unserem Westeros wieder eingekehrt wäre.