Dr. Bertalan Meskó, PhD, ist der Medical Futurist. Als Direktor vom Medical Futurist Institut analysiert er, wie Science-Fiction-Technologien in der Medizin und im Gesundheitswesen Wirklichkeit werden können. Er ist Arzt, hat einen Doktortitel in Genomik, bezeichnet sich selbst als Geek („Computerfreak“) und gehört zu den Top-100-Autoren bei Amazon. Außerdem ist er Privatdozent für Medizin an der Semmelweis-Universität in Budapest, Ungarn.
Mit über 500 Präsentationen, darunter Vorlesungen an den Universitäten von Harvard, Stanford und Yale, dem Futuremed-Kurs der Singularity University am Ames-Campus der NASA und als Speaker bei Firmen, zu denen auch die 10 weltweit größten Pharmaunternehmen gehören, ist er eine der weltweit führenden Stimmen im Bereich von Technologie im Gesundheitswesen.
Dr. Meskó war zu Gast in Dutzenden von Top-Formaten, darunter CNN, die WHO, National Geographic, Forbes, TIME Magazin, BBC und die New York Times. Er veröffentlicht seine Analysen regelmäßig auf medicalfuturist.com.
Auf dem International Health Forum 2019 des Wort & Bild Verlags hatte ich das Vergnügen, Dr. Meskó persönlich kennen zu lernen und ein paar Sätze mit ihm zu wechseln. Seine Veröffentlichungen habe ich an dieser Stelle schon häufiger zitiert und erwähnt. Als er dann Anfang März auf Twitter schrieb, dass all seine Termine aufgrund der Corona-Krise abgesagt seien und er gerne für Interviews zur Verfügung stehe, habe ich nicht gezögert. Ich habe ihm einige Fragen rund um die Apotheke, das E-Rezept und die Einstellung zur Digitalisierung allgemein per Mail geschickt. Er war so freundlich, mir schnell zu antworten. Diese interessante Konversation möchte ich jetzt gerne mit Ihnen teilen. Zum besseren Verständnis habe ich das auf Englisch geführte Interview ins Deutsche übersetzen lassen.
Frage: In Deutschland wird im Laufe des Jahres 2020 das E-Rezept eingeführt werden. Welche Vorteile und Chance ergeben sich Ihrer Ansicht nach für die Apotheken vor Ort mit diesem neuen Transportweg (digital statt papiergebunden) für Verordnungsdaten vom Arzt in die Apotheke?
Antwort: Diese Daten beinhalten ein enormes Potential für politische Entscheidungsträger, sofern sie diese gemäß der Datenschutzbestimmungen analysieren und sammeln dürften. Ich befürchte, dass die Apotheken vor Ort aufgrund der Gesetzeslage nur einen eingeschränkten Zugriff auf die Daten haben werden, um die Anonymität der Patienten zu gewährleisten. Aber selbst mit anonymisierten Daten könnten Apotheken in einer idealen Welt viel über das Verhalten ihrer Kunden lernen. Ein Tech-Start-Up würde sofort Machine-Learning Algorithmen entwickeln (unter Verwendung von unbeaufsichtigtem Lernen), um Verhaltensänderungen aufzudecken, die zur Optimierung im Verkauf oder generell in der Lagerhaltung verwendet werden könnten.
Mit welchen Herausforderungen und Risiken wurden Ihrer Erfahrung nach andere Länder konfrontiert, als sie Verordnungen von Papier auf elektronische Wege gewechselt haben?
Das ist eine IT-Problemstellung [Anm. d. Übersetzers: für Deutschland ist die Telematikinfrastruktur gemeint] im Gesundheitsbereich, das bereits von über einem Dutzend Ländern erfolgreich gelöst wurde. Etwas Besseres als das, was hierzu bereits gesagt wurde, kann ich auch nicht beisteuern.
Wie schnell glauben Sie wird es dauern, bis die elektronische Verordnung in Deutschland das Papierrezept komplett ersetzt haben wird?
Auch das ist eine Frage der Telematikinfrastruktur.
Wie wichtig wird es für die Apotheken vor Ort sein, einen Platz auf dem Smartphone ihrer Kunden zu haben?
Nur diejenigen Heilberufe und medizinischen Fachkräfte/ Einrichtungen werden einen Platz auf dem Smartphone des Patienten bekommen, die dem Patienten in dem Moment nützliche Unterstützung anbieten können, in welchem der Patient diese benötigt. Eine solche Unterstützung wird aber nur angenommen werden, soweit menschliche Beziehungen entstehen. Wenn es den Apotheken vor Ort gelingt, solche Beziehungen zu Patienten aufzubauen, hätten Patienten auch einen Grund, einen solchen Kommunikationskanal auf ihren Smartphones zu benutzen.
Was sollte der Hauptanwendungsfall für eine Apotheken-App sein?
Ich bin sicher, dass die einzelnen Apotheken nicht anfangen werden, jede für sich ihre App zu entwickeln. Ich kann mir nur eine App vorstellen, die von einer Apothekenkooperation gemacht wird, um für die dazugehörigen Apotheken eine langfristige Beziehung mit deren Kunden aufzubauen. Stellen Sie ihnen Informationen zur Verfügung, die sie anderswo nicht finden können: Updates aus ihrer Apotheke; Benachrichtigungen über Angebote und Gesundheitsprogramme. Einmal habe ich darüber geschrieben, wie Apotheken zu Drehscheiben einer neuen Art der Gesundheitsversorgung werden könnten.
Als Patient, Arzt und junger Vater: welche Art von digitalen Diensten würden Sie selbst sich von der Apotheke wünschen, die Sie normalerweise besuchen?
All das, was mir Regierungsorganisationen nicht bieten können, sowie alles, was lokal ist und irgendwie mit dem kleinen Gebiet zusammenhängt, in dem ich lebe und in dem sich auch die Apotheke befindet. Zum Beispiel wäre ich gerne in der Lage, bestimmte Medikamente (z.B. OTC) zu bestellen und sie einfach abzuholen, sobald ich die Benachrichtigung erhalte, dass sie bereit stehen.
In einem Post von Ihnen habe ich gesehen, dass Sie Gesundheitsdaten, die Sie über Wearables selbst getrackt haben, mit Ihrem Hausarzt teilen und besprechen. Würden Sie einige oder alle dieser Daten auch mit einem – Ihrem? – Apotheker teilen und besprechen?
In der Analyse, auf die ich weiter oben verweise, habe ich Folgendes geschrieben:
Es ist höchste Zeit, dass sich Apotheken in Gesundheitsberater umwandeln, anstatt in einfache Arzneimittel-Verteilungsmaschinen. Je nachdem, was Technologie und Organisation erlauben, können die Apotheker den Patienten mit einfachen Problemen eine Grundversorgung anbieten und / oder Beratungen zum Gesundheitsmanagement durchführen. Auf diese Weise kommen Apotheken fast auf das selbe Niveau wie Allgemeinmedizinische Praxen.
Einer der wichtigsten Faktoren für diese Entwicklung ist das Grundkonzept der Gesundheitsversorgung, wonach Angehörige der Gesundheitsberufe – also auch Apotheker – eine proaktive Patientenversorgung an demjenigen Ort anbieten müssen, der für den Patienten am geeinetsten ist.
Quelle: https://medicalfuturist.com/the-bright-future-of-pharmacies/
Bitte stellen Sie sich vor, Sie wären 50 Jahre alt. Sie benötigen ein verschreibungspflichtiges Medikament. Bitte beschreiben Sie, wie Sie an das Medikament gelangen. Vielleicht möchten Sie hinzufügen, in welchem Land Sie sich befinden 😉
Ich lebe in Ungarn. Meine Krankenakten und die Daten, die ich seit Jahrzehnten mit verschiedenen Sensoren messe, sind in meiner elektronischen Patientenakte (ePA) enthalten. Wenn ich etwas benötige, dann kann ich diesen Wunsch meinem persönlichen Chatbot mitteilen. Er kümmert sich dann um den Rest. Dabei werden alle eben erwähnten Daten berücksichtigt, die Bestellung aufgegeben, für mich bezahlt und dann mit einer Drohne ausgeliefert.
E-Rezepte werden enorme Mengen an Daten erzeugen. Welche Auswirkungen hätte es auf die Gesundheitsversorgung allgemein, wenn wir einer KI diese Daten füttern würden?
Das habe ich eigentlich bei der ersten Frage schon beantwortet.
Letzte Frage: für wie wichtig halten Sie die Denkweise, das „Mindset“ für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe? Wie offen für Veränderungen muss man in Berufen sein, die traditionell sehr zögerlich sind, wenn es um das Überwinden alter Regeln geht?
Digitale Gesundheit bzw. „Digital Health“ ist in der Tat eine kulturelle Transformation des Gesundheitswesens, die initiiert wurde von neuen Technologien, aber nicht von ihnen angetrieben wird. Eine Änderung im Mindset ist deswegen wichtig, damit wir bessere Ergebnisse für die Patienten erzielen, und nicht um genau zu wissen, welcher Mikrochip in diesem Jahr herauskommt. All diese Revolutionen beginnen in den Köpfen der Menschen, die jetzt anerkennen müssen, dass digitale Gesundheitstechnologien den Patienten zum Point-of-Care machen. Jeder Mediziner oder jede Apotheke, die in diese Richtung denken, wird Geschäftsmodelle und Lösungen schaffen, die Patienten auch tatsächlich benutzen werden.
Lieber Dr. Meskó, vielen Dank für dieses Interview!

Dr. Bertalan Meskó und ich beim International Health Forum 2019 in Baierbrunn
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