Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht aufzuhalten: das E-Rezept, die ePA (elektronische Patientenakte) und neue Gesetze mit Digitalelementen fast im Monatstakt sorgen für eine konstant hohe Taktung. Verstärkt wird der Trend durch eine globale Pandemie, welche die virtuelle Vernetzung, das kontaktlose Bezahlen und das Bestellen von Ware im Internet nochmal exponentiell gefördert hat. Dennoch stehen wir gerade erst am Anfang unseres Weges in die digitale Gesundheit. Damit verbunden sind viele Versprechen: Patienten könnten durch digital health zu mehr Selbstbestimmung finden, die Angehörigen von Heilberufen sich ohne lästige Bürokratie voll auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und sogar Klima und Umwelt würden durch nachhaltige, smarte Logistikkonzepte vom digitalen Wandel profitieren. Wenn er denn tatsächlich stattfindet. Denn 70 Prozent aller digitalen Transformationsprojekte scheitern laut einer Studie von McKinsey. Einen der größten Fehler, den wir bei der Digitalisierung der Gesundheit in Deutschland immer wieder machen, möchte ich im folgenden kurz erörtern. Denn noch können wir gegensteuern und die Weichen dafür stellen, dass die Gesundheitsversorgung sowohl für Leistungsbezieher als auch für Leistungserbringer mit Hilfe von digitalen Hilfsmitteln effizienter, empathischer und menschlicher wird.

Unser größter Fehler: bei digitaler Gesundheit denken wir zuerst an Digitalisierung und erst dann an Gesundheit
Dabei sollte Digitalisierung doch niemals Selbstzweck sein. Ist sie das, so sind die Ziele offenkundig falsch definiert. In jedem Transformationsprozess sollte doch ganz zu Beginn der Grund für den Wandel benannt und dann ein strategischer Plan zur Umsetzung mit einem hinreichend konkreten Zielbild aufgestellt werden. Allen Beteiligten am Prozess sollte das „Warum“ bekannt sein und die große Mehrheit von ihnen sollte sich damit auch identifizieren können.
So könnte ein mögliches Ziel, warum es sich lohnen könnte, das Gesundheitswesen digital zu transformieren, wie folgt lauten:
"Die Gesundheit des Individuums wird gefördert, erhalten und wiederhergestellt, indem sich sämtliche Beteiligte im Prozess der Förderung, des Erhalts und der Wiederherstellung der Gesundheit mit Hilfe von digitaler Technologie über das optimale Vorgehen ins Einvernehmen setzen."
In diesem Beispiel ist die Digitalisierung lediglich Mittel zum Zweck. Statt dessen sind alle Beteiligte, auch der Patient, auf Augenhöhe gleichberechtigt und müssen Konsens über die Behandlung erzielen. Das wird umso leichter, je mehr Daten und Informationen über die Vorerkrankungen, physischen Merkmale und Therapieziele sämtlichen Beteiligten zur Verfügung stehen. Das Sammeln und Aufbereiten von Informationen wiederum ist eine der herausragendsten Eigenschaften elektronischer Datenverarbeitung (EDV) bzw. der Informationstechnologie (IT). Diese ist den menschlichen Akteuren jedoch untergeordnet und arbeitet ihnen lediglich zu.

Statt dessen unterhalten wir uns in Deutschland über die (technischen) Komponenten, die es benötigt, um beispielsweise an die Telematikinfrastruktur angeschlossen werden zu können. Wenn beispielsweise ein Konnektor in einer Arztpraxis ausfällt oder Heilberufsausweise in einer Apotheke nicht mehr eingelesen werden können, so benötigt man Unterstützung von einem IT-Spezialisten. So reduzieren wir digitale Gesundheit auf ein Thema für IT-Spezialisten, nicht jedoch auf ein Thema für Gesundheitsberufe! So werden Hürden geschaffen, die intersektoralen Austausch erschweren statt ihn zu erleichtern. Heilberufler tun sich zunehmend schwer, für das Thema digitale Gesundheit Begeisterung zu empfinden, da sie nebenbei ja noch eine Apotheke, eine Praxis oder ein Sanitätshaus zu leiten haben. Mit der TI 2.0 hat die gematik dieses Problem inzwischen als solches erkannt und plant, in einer noch nicht näher definierten Zukunft immerhin zumindest auf proprietäre Geräte zu verzichten, um den Akteuren das Zusammenspiel einfacher zu machen.
Digitale Gesundheit bedeutet vor allem einen einfachen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen mit digitalen Mitteln. Eine Faustregel, um zu erkennen, ob es sich bei einem konkreten Anwendungsfall um digitale Gesundheit oder um Gesundheitstechnologie handelt, lautet übrigens: wen muss man bei Problemen fragen? Wenn einem nur jemand aus der IT-Abteilung helfen kann, dann handelt es sich nicht um digitale Gesundheit, sondern um Gesundheitstechnologie. Erst dann, wenn die konkrete Frage nur von einem Leistungserbringer beantwortet werden kann, zum Beispiel wieso der von der Smartwatch aufgezeichnete Schlafzyklus so unregelmäßig ist, seitdem ein neues Arzneimittel eingenommen wird, nur dann handelt es sich auch um digitale Gesundheit bzw. digital health. Wiederum ist hierbei die Technologie nur unterstützende Maßnahme und kein Selbstzweck.

Also sollten auch Apotheken ihr Zielbild für die digitale Gesundheit schärfen. Ich persönlich höre seit über 20 Jahren Beschwerden von Apothekern über die Zunahme von Bürokratie: Dokumentationspflichten, Rabattverträge und Lieferengpässe. Würden wir es nur zulassen, so könnten die meisten Schmerzpunkte in diesem Zusammenhang von Computern beseitigt werden. Sprachassistenten, die natürlich erst noch trainiert werden müssten, könnten Dokumentationen auf Zuruf erledigen. Algorithmen könnten die Rabattverträge abwickeln, indem sie sämtliche Vorgaben des Apothekeninhabers berücksichtigen und so stets genau das Präparat abgeben, welches auch der Inhaber in dem konkreten Fall abgegeben hätte. Dabei handelt es sich sogar um ziemlich einfach zu programmierende Wenn-Dann-Sonst-Schleifen. Und die Lieferengpässe sind letztlich ein Fall für Künstliche Intelligenz, die aber nur dann funktionieren kann, wenn sämtliche Daten entlang der Versorgungskette in einem zentralen, anonymen Datenpool zusammenlaufen würden. Das klingt zwar ein wenig nach Big-Brother, wird aber beispielsweise in Japan bereits umgesetzt – durch die Analyse von Tweets auf Twitter nach Schlagworten, die auf bestimmte Krankheiten hindeuten.
Und dennoch sperren sich nach wie vor so viele Apotheker gegen all diese doch so wahnsinnig tollen technologischen Neuerungen. Der Widerstand gegen Veränderungen ist zutiefst menschlich, wie schon Grace Hopper bemerkte:
Der gefährlichste Satz einer Sprache ist: „Das haben wir schon immer so gemacht“.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Grace_Hopper#Zitate
Offensichtlich ist also das Zielbild der digitalen Gesundheit in Deutschland noch nicht gut genug. Der Nutzen für die Leistungserbringer ist nicht ersichtlich und die Patienten sind Leid gewohnt. Vielleicht sollten wir daher anfangen, weniger über digital und stattdessen mehr über gesund zu sprechen. Wo könnte man das besser tun, als in der Apotheke vor Ort?
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