Wer hat Angst vorm E-Rezept?

Lassen Sie uns heute zum Einstieg eine kurze Übung machen, ok? Denken Sie bitte einmal kurz an eine Ihrer Kundinnen. Oder einen Kunden. Irgendeinen. Am besten einen Chroniker, der regelmäßig seine Muster-16-Rezepte zu Ihnen in die Apotheke bringt. Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, dass diese Kundin bzw. dieser Kunde heute, jetzt, eine elektronische Verordnung – ein E-Rezept – auf seinem Smartphone hat. Käme diese Patientin, dieser Patient überhaupt auf die Idee, dass er dieses E-Rezept auch in Ihrer Apotheke einlösen kann? Oder würde er – wir sprechen ja über heute! – eher auf die Idee kommen, dass das ja eh nur in einer ganz bestimmen Versandapotheke möglich ist. Denn besagte Versandapotheke hat seit einiger Zeit keine Litfaßsäule, keinen Bahnhof und keinen Flughafen ausgelassen und einen großen Teil des öffentlichen Raums mit dem Slogan „das E-Rezept kommt“ plakatiert …

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Diese Werbung kennen Sie sicher. Nur stimmt sie nicht wirklich. Das E-Rezept kommt nicht – es ist schon da. Nämlich in der Priv. Adler-Apotheke in Hamburg-Wandsbek. Foto (c) Heike Gnekow

Klar, es gibt zum heutigen Zeitpunkt keinen konkreten Zeitpunkt für die bundesweite, flächendeckende Einführung des E-Rezeptes. Klar ist nur, dass es nächstes Jahr losgehen soll und weitere Pilotregionen im November an den Start gehen werden. Die für den sicheren und verschlüsselten Transport der E-Rezepte notwendigen regulatorischen Grundlagen und technischen Voraussetzungen sind ebenfalls vorhanden. Und: in aktuellen Pilotprojekten wie in Hamburg-Wandsbek wird das E-Rezept schon heute getestet. In der am Pilotprojekt der TK beteiligten Priv. Adler-Apotheke Hamburg kommt schon heute jeden Tag ein Rezept auf elektronischem Wege an. Und auch wenn die offizielle Einführung des E-Rezepts für 2020 geplant ist und es ab dann möglich sein soll, Rezepte voll elektronisch abzuwickeln, gehe ich nicht davon aus, dass in Deutschland auf einen Schlag ausschließlich auf die elektronische Rezeptabwicklung umgestellt wird. Wie bei Banküberweisungen auch wird sich dieser Prozess über einen längeren Zeitraum eines Parallelbetriebs von analoger (papiergebundener) und elektronischer Verordnung hinziehen.

Nun hat sich also die zuvor erwähnte Versandapotheke öffentlichkeitswirksam zu diesem Thema positioniert. Sollte es ihr tatsächlich gelungen sein, den Begriff „E-Rezept“ bei einer Großzahl der Endverbraucher in Deutschland geistig mit ihrem Namen zu verknüpfen, dann hätte sie alles richtig gemacht – auch wenn das die deutschen Apotheker vermutlich nicht so gerne lesen.

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Das E-Rezept … Coming Soon To Your Local Pharmacy … warum reden wir nur nicht darüber?

Ironisch dabei ist, dass zum Start des E-Rezepts alle stationären Apotheken in Deutschland ebenfalls in der Lage sein werden, elektronische Verordnungen anzunehmen und über ihre Rechenzentren mit den Krankenkassen abzurechnen. Die hierfür benötigten Protokolle, Prozesse und Schnittstellen  werden derzeit für die gesamte Branche finalisiert – und alle Anbieter und Dienstleister sind mit involviert. Im Gespräch mit Apothekern kommt an dieser Stelle gerne der Vorwand, dass man den Kunden ja noch nichts erzählen könne, solange man den genauen Prozess nicht kenne. Und genau diese Denke ist leider falsch. Andere haben auch keinen Wissensvorsprung – lediglich die hinreichend konkrete Gewissheit, dass das Rezepthandling auch elektronisch schon irgendwie klappen werde. Nur kommunizieren sie es halt sehr offensiv, während die deutschen Apotheken vor Ort noch darauf hoffen, mit Unverzichtbarkeit punkten zu können.

Dabei gibt es doch keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um sich ebenfalls zu diesem Thema in Position zu bringen. Apotheken können doch seit jeher ärztliche Verordungen entgegen nehmen; sie können den Kunden pharmazeutisch beraten und jedes in Deutschland zugelassene Arzneimittel entweder direkt dispensieren oder – die grundsätzliche Verfügbarkeit des Medikaments einmal vorausgesetzt – am selben Tag über das dichte Netz an pharmazeutischen Großhändlern besorgen und durch den eigenen Botendienst ausliefern. Welchen Unterschied macht es da, ob die Verordnung auf Papier oder auf einem QR- oder Barcode eintrifft? Software zum Entziffern von Barcodes gibt es schon heute gratis zum Herunterladen. Und hat wirklich jemand Bedenken, dass die Apothekensysteme das E-Rezept nicht werden lesen können? Heruntergebrochen auf das Grundsätzliche bleibt der Prozess in der Apotheke identisch: der Kunde kommt mit einer Verordnung und die Apotheke entschlüsselt diese. Kryptischer als die krakelige Handschrift eines übermüdeten Arztes im Notdienst ist kein Barcode auf dieser Welt!

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Wenn allerdings so etwas auf der Verordnung steht, kann man nur hoffen, dass der Seniorchef anwesend ist. Ihr Rezeptscanner wäre damit nämlich überfordert!

Wie man sich positionieren soll? Die Möglichkeiten sind unzählig. Ganz wichtig ist die Apothekenhomepage. Hinterlegen Sie dort den Begriff E-Rezept bzw. eRezept, damit Suchmaschinen Sie bei entsprechenden Anfragen finden. Schreiben Sie auch ruhig bei jeder Gelegenheit, dass Sie bereit fürs E-Rezept sind. Als Berufsstand sind die Apotheken dies durchaus, auch wenn die wenigsten Apotheker heute den Ablauf schon konkret durchexerzieren könnten. Wenn Sie keine Scheu vor Rampenlicht haben, machen Sie doch einfach kurze Videos für Ihre Kunden auf YouTube, Instagram oder Facebook. Gerne auch Snapchat, wenn Sie richtig junge Chroniker als Kunden haben. Und verwenden Sie dabei unbedingt immer den Hashtag #erezept – auch wenn Sie nichts zum E-Rezept posten. So können Sie aber zumindest versuchen, dass man auf sozialen Medien Ihr Bild sieht, wenn jemand nach #erezept sucht.

Beim Verfassen dieses Artikels beispielsweise war auf Instagram das erste Bild, das bei desem Suchbegriff gezeigt wurde, ein Post des Apothekers Jan Reuter, an zweiter Stelle kam ein Bild von einem meiner Vorträge, das ich mit genau diesem Hashtag versehen hatte. Die holländische Versandapotheke kam übrigens abgeschlagen auf den Rängen – es geht also doch!

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Lassen Sie uns #erezept auf Instagram besetzen!

Am allerwichtigsten ist aber, dass Sie Ihre Kunden am besten schon heute daran gewöhnen, dass Ihre Apotheke auch digital zu erreichen ist. Und dazu müssen Sie auf dem Smartphone Ihrer Kunden – mobile first! Apps, beispielsweise zum Vorbestellen von Rezepten, gibt es schon heute von Ihrem Softwareanbieter oder Ihrem Rezeptabrechner. Alle davon sind für Ihre Kunden und manche auch für Sie umsonst. Aber machen Sie sich nichts vor: Sie werden dadurch heute weder mehr Umsatz noch mehr Neukunden generieren können. Eventuell wird sich sogar der Aufwand in der Apotheke aufgrund der neuen Prozesse vorübergehend leicht erhöhen. Aber so können Sie und Ihr Team die digitale Kommunikation mit den Kunden zumindest schon mal üben. Diese digitale Kommunikation wird ja mit dem E-Rezept eher zu- denn abnehmen. Sobald aber die Mehrzahl Ihrer Kunden eine App auf dem Smartphone installiert hat, die mit Ihrer Apotheke verknüpft ist, dann ist der erste Schritt getan. Konditionieren Sie Ihre Kunden in jedem persönlichen Gespräch – eben genau so wie es andere mit Plakaten tun, nur eben persönlicher.

Und wenn Sie sich an diese letzte Empfehlung halten, dann können wir die Übung aus dem ersten Absatz dieses Artikels gerne nochmal wiederholen: an wen denkt Ihre Kundin oder Ihr Kunde wohl dann, sobald er ein E-Rezept bekommt? Wenn Ihnen die Konditionierung gelungen ist, dann denkt sie/ er an seine Apotheke vor Ort – schließlich ist sie/ er ja längst gewohnt, dass diese auch auf dem Handy zu finden ist.