Der Kunde, das unbekannte Wesen

Ich kenne noch die Zeiten, da war es ausreichend, wenn eine Apotheke von 8 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr geöffnet war. Am Mittwoch- und Samstagnachmittag war geschlossen – und dennoch fanden genügend Kunden ihren Weg in die Apotheke, um die Rentabilität zu gewährleisten. Wie Sie sicherlich ahnen, liegen diese Zeiten in ferner Vergangenheit. Zwar müssen die Kunden heute immer noch persönlich in die Apotheke kommen, wenn Sie Ware direkt mitnehmen oder eine Verordnung – das Rezept – einlösen wollen. Aber das E-Rezept ist im Anflug, die ersten Pilotprojekte laufen schon seit Beginn des Jahres. Und spätestens seit Inkrafttreten des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (kurz: GSAV) am 16.08.2019 dürfen Apotheken verschreibungspflichtige Arzneimittel auch nach einer offensichtlich ausschließlichen ärztlichen Fernbehandlung abgeben. Die Kombination hat es in sich: Telemedizin entkoppelt die ärztliche Behandlung vom Standort der Praxis – und das E-Rezept entkoppelt das Einreichen der Verordnung vom Standort der Apotheke.

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Fernbehandlung: wird der Besuch in der Praxis obsolet?

Dumme G’schicht“ würde man in Österreich jetzt sagen. Neue Anreize, um die Kunden zum Besuch in der Apotheke zu bewegen, sind gefragt. Apotheken benötigen eine neue (digitale?) Strategie! Und wer in deren Mittelpunkt zu stehen hat, ist klar. Denn: „der Kunde ist König“ … das haben wir inzwischen ja alle ganz tief verinnerlicht. Aber … gibt es „den“ Kunden“ wirklich? Nein, es gibt nur „die“ Kunden, also die vielen, unterschiedlichen Menschen, die jeden Tag eine Apotheke aufsuchen. Wir reden hier von täglich ca. 3,5 Millionen Personen, die sich auf die gut 19.400 Apotheken verteilen. Mit all ihren (unterschiedlichen) Anforderungen an die Produkte, ihren Erwartungen an die ihnen entgegenzubringende Empathie und ihre Bedürfnisse im Hinblick auf die Intensität der Beratung.

Jetzt wird die Geschichte sogar noch dümmer: denn egal, ob beim Kauf von Büchern, Musik oder TV-Serien, die Kunden sind mittlerweile daran gewöhnt, dass Anbieter wie Amazon, Spotify oder Netflix sie so gut kennen, dass ihnen nur noch Angebote gemacht werden, die sie auch wirklich interessieren. Die Internetgiganten machen das, indem sie möglichst viele Daten über ihre Kunden sammeln und diese auswerten, vergleichen, messen und bei jeder Gelegenheit nachbessern. Das zu adaptieren wird für einzelne Apotheken schwierig werden.

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Wer ist Ihr Kunde? Und wie viele ist er?

Was Apotheken aber durchaus machen können, ist die Arbeit mit sogenannten „Personas.“ Dieser Begriff, auf lateinisch bedeutet er übrigens Maske, bezeichnet Nutzermodelle zum Charakterisieren der Merkmale von Personen einer bestimmten Zielgruppe. Personas sind dabei niemals konkrete Personen, sondern eine Art Proto-Person, die stellvertretend für eine Vielzahl von Menschen bzw. in diesem Fall Kunden stehen. Man könnte zum Beispiel alle Rentnerinnen Ihrer Kundschaft zur Persona „Hildegard“ zusammenfassen. Hildegard nimmt gerne Ihre kompetente Beratung in Anspruch, sie hat ja viel Zeit. Sie ist an Gesundheit interessiert und grundsätzlich eher compliant. Digital ist nicht so ihr Ding, das musste sie mühsam lernen, aber inzwischen hat auch sie ein Smartphone, vor allem um per WhatsApp mit den Enkelkindern zu Chatten. In die Apotheke geht sie sowohl für Dauer- als auch den Akutbedarf und das so um die 8- bis 15-mal im Jahr. Hildegards gibt es in Deutschland schätzungsweise 17 Millionen, also im Schnitt so um die 880 in jeder Apotheke.

Welche Personas gibt es denn in Ihrer Apotheke? Je nach Lage und Schwerpunkt können Sie, am besten im nächsten Team-Workshop, die Personas, die genau auf Ihre Apotheke passen, erarbeiten. Durch Personas schafft man es, nicht mehr alle Kunden über einen Kamm zu scheren und dennoch die Zielgruppen eng genug zu fassen, um sie besser adressieren zu können. Daten aus Ihrer Warenwirtschaft, wie zum Beispiel die Altersstruktur Ihrer Kunden oder der Anteil an Stamm- zu Laufkunden, können hierbei gute Ansätze für die Struktur Ihrer Personas geben. Viele Stammkunden spricht für viele Chroniker. Oder ist ein Kinderarzt einer Ihrer Hauptverordner? Dann gestalten Sie eine Persona „Pia, die junge Mama.“ Sie arbeitet inzwischen wieder in Teilzeit und informiert sich gerne im Internet bzw. auf Social Media.

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Pia – in der Mitte – könte man sich in etwa so vorstellen

Wozu Sie nun diese Personas konkret benötigen? Hier schließt sich der Kreis zum einleitend Geschriebenen. E-Rezept und Telemedizin lösen die heilberuflichen Dienstleistungen und Produkte vom Standort des Kunden. In Zukunft müssen Heilberufe auch digital stattfinden, um analog überhaupt noch exisitieren zu können. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie hätten die Persona Pia als für Sie relevant identifiziert, sind aber weder im Internet noch auf Sozialen Medien auffindbar. Bekommen Sie dann in dieser eben beschriebenen Zukunft nicht ein massives Problem? Denn Sie riskieren doch, dass Sie Ihre Zielgruppe nicht mehr erreichen. Außerdem ist da ja noch die demografische Entwicklung: Pias werden im Lauf der Jahre zu Hildegards – und wehe, wenn Sie „Ihre Hildegards“ nicht schon langfristig als Kundinnen an sich gebunden haben.

Oder haben Sie vielleicht viele „Dieters“ (gestresste Manager, die heute hier und morgen dort auf Dienstreise sind), weil sich Ihre Apotheke in hochfrequenter Lauflage (Bahnhof, Flughafen, etc.) befindet? Dann sollten Sie einen Webshop zum Vorbestellen mit Bezahlfunktion und idealer Weise auch einen Lieferdienst (ins Hotel, natürlich) anbieten.

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Wer sind die Personas Ihrer Apotheke und wo in ihrer Customer Journey werden sie auf Ihr Angebot aufmerksam? Gutes Thema für einen Team-Workshop, finden Sie nicht?

Je nach Persona gibt es unterschiedliche Informations- und Bestellwege. Auf neudeutsch sagt man hierzu auch „Customer Journey.“ Früher fing diese, bei Rezepten, in der Arztpraxis an, führte von dort direkt in die (sich meist unter der Praxis befindliche) Apotheke. Und die Empfehlung für die Apotheke wurde dann am Stammtisch ausgesprochen. Die Customer Journey war analog und linear. Heute informiert man sich im Internet, Kaufimpulse für Wellness- und Kosmetikprodukte werden mitunter von Influencern auf Instagram gegeben und die Empfehlung übernimmt Google. Je nach Zielgruppe und Personas ist dieser Wandel der Customer Journey vom Analogen ins Digitale mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Und da es unwahrscheinlich ist, dass Sie alle Ihre Kunden tatsächlich persönlich kennen, sind die Personas ein effizientes Mittel, um ihre Kunden nach Kommunikationswegen und –vorlieben zu gruppieren und sich daran dann zu orientieren.