Verbraucher, die ein Billy-Regal bei IKEA kaufen wollen, sind den folgenden Vorgang bereits gewohnt: über die Homepage des Einrichtungskonzerns kann man online abfragen, ob das Regal aktuell verfügbar ist. Dabei bekommt man in Echtzeit zurückgemeldet, ob der gewünschte Einrichtungsgegenstand da ist oder nicht. Ist es im ausgewählten IKEA nicht vorhanden, wird einem automatisch das nächstgelegene Haus angezeigt, in dem es verfügbar ist. Dann kann man sofort die gewünschte Anzahl an Regalen mit einem Klick reservieren und auf Wunsch auch direkt bezahlen. Entscheidet man sich für letztere Option, kann die Ware sogar in einer Click & Collect Zone abgeholt werden, ohne dass man zweimal (Obergeschoss und Untergeschoss!) durch das weitläufige Möbelhaus laufen muss. Während der vergangenen beiden Lockdowns war das sogar die einzige Möglichkeit, Billy und Konsorten überhaupt kaufen zu können.

Substituieren wir nun gedanklich das Billy-Regal durch ein beliebiges Arzneimittel. Ob dieses in einer bestimmten Apotheke verfügbar ist, kann man sich als Kunde im Jahr 2021 nur anzeigen lassen, wenn die Apotheke ein Shopsystem oder eine Click & Collect-Lösung einsetzt. Hat sie ein solches System, so sind die Möglichkeiten vergleichbar, sofortige Reservierung (bei verschreibungspflichtigen Artikeln) und Kauf (bei OTC) inklusive. Die Shopsysteme sind in aller Regel per Schnittstelle an die Warenwirtschaftssysteme angebunden und können dadurch für jeden Artikel den Bestand in Echtzeit auslesen. Einige Systeme ziehen zusätzlich dazu auch noch die Bestände der Pharmagroßhändler, welche die Apotheke beliefern, heran und zeigen Artikel ebenfalls als lieferbar an, die zwar in der Apotheke nicht, beim Großhändler jedoch schon vorrätig sind.
Für diese eben genannten Lösungen gibt es einerseits komplette Angebote der meisten Warenwirtschaftshersteller. Diese sind dann auch vollintegriert, d.h. dass die Schnittstelle zwischen Online-Portal und Warenwirtschaft vom Softwarehaus programmiert und gewartet wird. Daneben gibt es auch Standalone-Lösungen von Drittanbietern, die keine eigene Warenwirtschaft im Portfolio haben. In so einem Fall kann es auch sehr gut funktionierende Schnittstellen zwischen den beiden Systemen geben. Allerdings ist hier die Zuständigkeit nicht mehr ganz so eindeutig, falls doch einmal eine Fehlerbehebung notwendig sein sollte: nämlich ob der zu behebende Fehler in die Verantwortung des Shop- oder des Warenwirtschafts-Anbieters fällt. Müssen beide das erst untereinander ausdiskutieren, ist das für die Apotheke und ihre Kunden frustrierend.

Dabei benötigen Schnittstellen zwischen einem Online-Shop und der dahinter liegenden Warenwirtschaft lediglich eine Handvoll eindeutiger Informationen, um Bestellungen korrekt zu übermitteln und auszulösen:
- Die Artikelnummer (in der Apotheke ist das natürlich die Pharmazentralnummer oder PZN)
- Die gewünschte Artikelmenge
- Eine eindeutige Kundenkennung (registrierte Kunden haben meist eine interne, eindeutige Kundenummer, alle anderen müssen ihre Kontaktdaten komplett hinterlegen, ansonsten ist keine Bestellung möglich)
- Ein sog. „Timestamp“ (Datum und Uhrzeit der Bestellung, falls es Fragen nach der Priorität geben sollte)
- Apothekenspezifisch: die Krankenkasse (IK-Nummer) für die Vorbestellung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
Die Covid-19-Pandemie hat viele dieser bereits existierenden E-Commerce-Angebote für Apotheken aus dem Schatten ins Rampenlicht geholt. Für die Software ist der Unterschied zwischen einer verbindlichen Bestellung und einer Verfügbarkeitsabfrage minimal. In beiden Fällen wird eine Bestandsabfrage an die Warenwirtschaft geschickt und das Ergebnis zurückgemeldet. Lediglich der Buchungsstatus am Ende unterscheidet sich, der Weg dorthin ist aber erst mal gleich. Vergleicht man das mit den Kassen in der Apotheke, so ist die verbindliche Bestellung der Kassenabschluss, nach dem keine weiteren Buchungen für den abgelaufenen Tag mehr getätigt werden sollten, während die Verfügbarkeitsabfrage dem Kassensturz entspricht. Man schaut halt mal nach.

Für die Betrachtung, ob solche Lösungen für Apotheken sinnvoll sind, ist es hilfreich, sich in einen beliebigen Kunden hinein zu versetzen. Außerdem sollte man noch zwischen OTC und Rx unterscheiden. Bei OTC-Präparaten, zum Beispiel Kopfschmerzmittel oder einem Gel gegen Sonnenbrand, ist in aller Regel von einem Kaufwunsch auszugehen, dessen kurzfristige Erfüllung der Kunde erwartet. Auch ein Kauf auf Vorrat ist möglich. Auf jeden Fall aber beschäftigt sich ein Kunde, der sich den Bestand von Ware – egal ob von Aspirin oder einem Billy-Regal – anzeigen lässt, in just diesem Moment gedanklich mit dem Kauf genau dieser Ware. Wird ihm also der Bestand in der Apotheke vor Ort als jetzt verfügbar angezeigt, so verstärkt das den Kaufimpuls positiv. Jetzt zu bestellen ist für den Kunden stets der schnellste Weg zu seinem Artikel. Er kann die Ware direkt, am selben Tag und mit einer allein von ihm selbst abhängigen Verzögerung bekommen. Schneller und komfortabler geht es nicht.
Im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel ist die Situation etwas komplexer. Hier kann es sein, dass der verordnete Artikel aufgrund von Rabatt- oder Rahmenverträgen substituiert werden muss. Diese Substitutionen sind rein technisch auch algorithmisierbar – nichts anderes machen die Warenwirtschaften, indem sie bei der Kombination von bestimmten Pharmazentralnummern mit bestimmten IK-Nummern eine Auswahl an Möglichkeiten an der Kasse anzeigen. Die Patientenhistorie sollte ebenfalls in der Warenwirtschaft vorhanden sein, genauso wie eventuell hinterlegte Unverträglichkeiten des Kunden. Ein solcher Algorithmus, der vor Artikeln warnt, die nicht abgegeben werden sollten und nach Wahrscheinlichkeitsprinzipien das beste Präparat anzeigt, könnte natürlich auch in einer Schnittstelle für eine Vorbestellung vorgeschaltet werden. Wieviel davon man wirklich automatisieren kann und inwieweit das praktikabel ist, wird die Zukunft zeigen müssen. So könnten Apotheker eine solche Vorauswahl als Bevormundung und Einmischung in ihre pharmazeutische Tätigkeit auffassen. Man könnte es aber auch als Unterstützung bei rein administrativen Aufgaben betrachten, bei denen ein Computer – eine Rechenmaschine – ohnehin das bestmögliche Ergebnis schneller und zuverlässiger berechnen kann als ein Mensch – vorausgesetzt er hat die richtigen Grundlagen (Daten) für diese Berechnung. Das E-Rezept wird diese Diskussion nochmal verstärken. Es ist nämlich schwer vorstellbar, dass auf den Webseiten der EU-Versandapotheken Präparate als nicht verfügbar angezeigt werden. Immerhin ist hier eine gewisse Warte- bzw. Latenzzeit beim Kunden, nämlich die zwischen Eingang der Bestellung und Versand der Ware, einkalkuliert. Innerhalb dieser kann die Warenbeschaffung erfolgen. Hier benötigen die Vor-Ort-Apotheken eine Lösung – denn sonst suggerieren sie im Zweifel ihren Kunden eine tatsächlich nicht gegebene Lieferunfähigkeit, falls sie bei nicht automatisierten Verfügbarkeitsanfragen einmal langsamer antworten sollten als die zeitgleich vom Kunden angefragte Versandapotheke.
Denn das engmaschige Netz an pharmazeutischen Großhandlungen ist essentieller Teil der Versorgung in Deutschland. Arzneimittel, die nicht in der Apotheke vor Ort verfügbar sind, können meist binnen weniger Stunden vom Großhandel geliefert werden. Ihn also mit in die Verfügbarkeit einzubeziehen ist also immer dann sinnvoll, wenn die Auskunft der Verfügbarkeit gegenüber dem Kunden verbindlich sein soll. Dem Kunden müsste dann lediglich als zusätzlicher Parameter auch der frühestmögliche Abhol- oder Zustellzeitpunkt (bei Lieferung durch den Apothekenboten) mit angezeigt werden.

Bleibt noch die Frage nach den Preisen. Deren Anzeige bei Ware, die im Internet gekauft wird, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gibt es ohnehin eine Preisbindung, somit ist dieser Bereich unkritisch. Bei OTC-Artikeln hingegen könnte die Anzeige von Preisen für Apotheken, die örtlich nah beisammen liegen, für eine unter Umständen unerwünschte Transparenz sorgen. Im schlimmsten Fall löst sie nämlich eine für alle Beteiligten potentiell ruinöse Preisspirale nach unten aus, wenn immer die eine Apotheke die andere unterbietet und das im Internet auch noch für alle einsehbar ist. Auch hier hilft wiederum das Einnehmen der Kundenperspektive: würden Sie Halstabletten oder Sonnencreme verbindlich kaufen oder auch nur vorbestellen, ohne den Preis zu kennen? Die Lösung liegt sicherlich nicht in der Verweigerung. Das wäre nicht kundenorientiert – und Kunden würden sich folglich dann ihrerseits wohl eher umorientieren. Vielmehr werden Apotheken künftig durch geschickte Sortiments- und Preisgestaltung dafür sorgen müssen, dass ihr Angebot preislich zu ihrer Zielgruppe „passt“ ohne dass die Rentabilität darunter leidet. Hierzu gibt es Tools diverser Anbieter, deren Werthaltigkeit künftig nicht zu unterschätzen sein dürfte.
Denn letztlich ist der Preis nur ein Kriterium von vielen. Wenn ein Kunde mehrere Artikel benötigt und künftig sehen kann, dass er in Apotheke A lediglich zwei Drittel davon sehr günstig bekommen könnte und auf den Rest warten müsste, in Apotheke B hingegen seinen kompletten Warenkorb für einen etwas höheren Preis sofort, dann muss der Kunde abwägen. Günstig oder schnell? Meistens dürfte klar sein, wo er einkaufen will – denn immerhin würde er ja nicht nach Artikeln suchen, wenn er diese nicht zeitnah erhalten möchte. Sparfüchse hingegen werden sich vermutlich für Apotheke A entscheiden – so lange, bis es eine neue, günstigere Apotheke A mit noch niedrigeren Preisen gibt. Fragen Sie sich, ob das die Kunden sind, deren Loyalität das Fundament für Ihr Geschäftsmodell sein soll.

Ähnlich wie das Billy-Regal von IKEA ist auch die Vernetzung der Apotheken durch die Telematikinfrastruktur (TI) und Plattformanbieter etwas, das über viele Schritte hinweg erst noch auf- und ausgebaut werden muss. Momentan sehen wir nur die ersten Schemen und ahnen wohl, was da noch alles kommen könnte, sobald der Nebel der Ungewissheit sich lichtet. Bis dahin wird jedoch noch an vielen Stellen geschraubt werden. Das Ziel ist allerdings klar: der Kunde muss bei allen derzeit diskutierten Lösungen auf den ersten Blick erkennen, dass der direkte Weg zum Arzneimittel in die Apotheke vor Ort führt.
[…] Homepage. In beiden Fällen könnte sich daran mittelbar Umsatz in Form von Vorbestellungen oder Click & Collect daran anschließen. Nachfolgend einige wichtige Kennzahlen in diesem […]
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