Was haben das E-Rezept und die COVID-19-Pandemie gemeinsam?

Auf LinkedIn bin ich kürzlich über einen Post des Unternehmens PROSOOM gestossen, der sofort meine Aufmerksamkeit hatte: „Was haben Akne und das E-Rezept gemeinsam?“ Die Antworten lauteten: keiner weiß, wann es kommt, bei den Kunden sind sie gleichermaßen beliebt sind und beide haben kaum Visibility bei Online-Apotheken. Ein witziger Vergleich mit hohem Informationsgehalt: denn bis auf eine Versandapotheke (natürlich DocMorris) haben die anderen das Thema E-Rezept auf ihren Homepages noch gar nicht sichtbar gemacht. Dann aber brachten mich die Antworten zum Nachdenken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es beim E-Rezept auch noch Parallelen zu einem Ereignis der jüngeren Vergangenheit gibt. Bis ich dann drauf kam: vermutlich wird beim E-Rezept vieles ähnlich ablaufen wie während der COVID-19-Pandemie. Auf folgende Ähnlichkeiten bin ich gestossen, diese lassen sich meines Erachtens schon heute absehen:

1. Man weiß, dass sie kommen – nur nicht wann

Im Winter 2003 brach in Südchina eine Epidemie mit Coronaviren aus, im Nachhinein als SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) bekannt. Sieben Monate später waren 8 .000 Menschen in 32 Ländern befallen, von denen 800 verstorben waren. Keine zehn Jahre später löste erneut ein Coronavirus eine Epidemie aus. 2012 breitete sich MERS (Middle Eastern Respiratory Syndrome) von Saudi-Arabien ausgehend über die Welt aus. Am Ende starben auch an MERS über 900 Menschen. Heute wissen wir, dass wir in beiden Fällen glimpflich davon gekommen sind. Wir wissen aber auch, dass eine Pandemie wie die Spanische Grippe der Jahre 1918 bis 1920 jederzeit möglich ist. Schlimmer noch: nach der Pandemie ist vor der (nächsten) Pandemie. Wir wissen lediglich nicht, wie lange die nächste Pause sein wird und wie heftig es uns beim nächsten Mal treffen wird. Dass der Klimawandel den Ausbruch von Pandemien zu begünstigen scheint, sorgt dabei nicht gerade für ein gutes Bauchgefühl.

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Ähnliches gilt für das E-Rezept. Seitdem, noch unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) zum 01. Januar 2006 geplant war, wissen wir, dass das E-Rezept politisch gewollt ist. Die Einführung der eGK scheiterte bekanntlich, wurde sogar zurück genommen und neu aufgesetzt. Inzwischen, 15 Jahre später, haben nahezu alle gesetzlich Versicherten eine eGK – die sich mit Ausnahme des Lichtbildes des Versicherten zumindest optisch kaum unterscheidet von ihrer Vorgängerversion. Nun also das E-Rezept. Pilotprojekte gibt es seit über zwei Jahren. Jedoch stockt die stufenweise Einführung: so schrieb das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), das am 16.08.2019 in Kraft getreten ist vor, dass die gematik ihre Spezifikation für das E-Rezept zum 30.06.2020 fertig gestellt haben müsse. Die Frist wurde zwar grundsätzlich gehalten, einige letzte Details scheinen aber nach wie vor ungeregelt. Auch die Anbindung der Apotheken an die Telematikinfrastruktur, die laut dem Digitalen Versorgung-Gesetz (DVG), in Kraft seit 19.12.2019, bis zum 30.09.2020 abgeschlossen hätte sein sollen, ist noch nicht ganz so weit. Und die stufenweise Einführung des E-Rezeptes zum 01.07.2021 findet nun doch nicht in der Fläche statt, sondern nur in Berlin und Brandenburg. Mit je einem Arzt und einer Apotheke, so der aktuelle Stand. Ob es beim E-Rezept als verpflichtenden Weg der ärztlichen Verordnung ab dem 01.01.2022 bleiben wird, wie es das Patientendatenschutzgesetz (PDSG) vorsieht? Tja, Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.

Das E-Rezept wird kommen, daran bestehen keine Zweifel. Auch falls der Start zum 01.01.2022 verhalten sein sollte oder sich gar nochmal verschieben sollte, wird in absehbarer Zeit auch in Ihrer Apotheke der erste Patient mit einer elektronischen Verordnung auftauchen. Nutzen Sie die Zeit bis dahin, um sich optimal auf diesen Umbruch vorzubereiten, damit Sie nicht so überrollt werden, wie von der ersten Corona-Welle.

2. Sie verändern nachhaltig unser Verhalten

Werden wir uns nach Corona wieder irgendwann die Hände schütteln? Uns in die Arme nehmen? Werden sich diejenigen unter uns, die die Sinnhaftigkeit der Maskenpflicht nachvollziehen können (oder wollen) künftig unwohl fühlen, wenn sie sich in geschlossenen Räumen mit Menschen ohne Maske aufhalten? Werden wir uns weiterhin bei Gesprächen darüber unterhalten, wer welchen Impfstoff bekommen hat und wie er ihn vertragen hat? Weder bei Influenza-Impfstoffen noch bei Masern, Mumps und Röteln haben wir uns je für den pharmazeutischen Hersteller interessiert. Wie schaut es aus mit den baulichen Umbaumaßnahmen in den Apotheken? Bleiben die Plexiglas-Scheiben? Räumen wir die Spielzeugecke wieder ein? Werden Apotheken dauerhaft Testzentren betreiben? Nicht alle diese Fragen werden wir mit Sicherheit für die absehbare Zukunft verneinen können. Corona hat unser Verhalten nachhaltig verändert – einiges davon für immer.

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Beim E-Rezept ist das Dokument, das zur Abgabe eines Arzneimittels berechtigt, nicht mehr das als Muster 16 bekannte Stück Papier. Stattdessen wird die Verordnung vom Arzt auf dem Fachdienst „E-Rezept-Speicher“ der gematik abgespeichert. Der Patient bekommt einen 2D-Code, den sog. „Token,“ entweder auf Papier oder digital in einer App. Dieser enthält einen numerischen Schlüssel, mit dem andere Hardware-Komponenten, die sich ebenfalls innerhalb der TI befinden, die Verordnung vom gematik-Speicher abrufen können. Innerhalb der TI befinden sich zum Beispiel die gematik-App selbst, die Warenwirtschaften der Vor-Ort-Apotheken – und die der EU-Versandapotheken. Mit dem Token kann der Patient nun in den Apotheken seiner Wahl anfragen, ob die verordneten Arzneimittel verfügbar sind oder nicht. Welche Antwort Versandapotheken auf die Frage nach der Verfügbarkeit geben werden, ist klar. Da hier nahezu ausgeschlossen ist, dass der Patient sein Präparat sofort entgegennehmen will, ist grundsätzlich alles lieferbar. Das kann in der lokalen Apotheke anders sein, je nachdem, wie das Warenlager optimiert wurde. Insbesondere Chroniker, die gut eingestellt und so auch langfristig planbar sind, könnten durch bestimmte Anreizsysteme zum Versandhandel abwandern. Bei diesen Anreizsystemen muss es sich nicht unbedingt um Rabatte handeln. Gäbe es bspw. alleine schon die Möglichkeit, eine Art „Abonnement“ für Wiederholungsverordnungen abschließen zu können, würde dadurch vielen Versicherten der Weg zum Arzt erspart werden. Denn in diesen Fällen, bei denen nichts diagnostiziert werden muss, handelt es sich um eine reine Verwaltungsaufgabe, die auf Arzt und Patient abgewälzt wird. Natürlich verdienen Ärzte damit einen Teil ihres Einkommens – dennoch ist genau dieser Weg symptomatisch für viele Ineffizienzen in unserem System.

Selbst wenn zu Beginn der Einführung des E-Rezeptes noch die Mehrzahl der Patienten ihren Token auf Papier ausgedruckt bekommen werden: dieses Papier ist nicht die Verordnung. Sie ist kein Dokument, das alleine zum Einlösen berechtigt. Eine Apotheke, die nicht an die TI angeschlossen ist, dürfte anhand des Ausdrucks nicht beliefern, denn sie könnte den Rezeptstatus auf dem gematik-Server nicht ändern und eine doppelte Einlösung des Rezeptes wäre somit nicht auszuschließen. Apotheken werden ihr Arbeiten durch das E-Rezept anpassen müssen – nachhaltig.

3. Sie decken unser Versagen schonungslos auf

Die Pandemie hat Apotheken mehrfach unmittelbares Handeln abverlangt. Egal, ob es um die Herstellung von Desinfektionsmitteln, das Anbringen von Plexiglasscheiben am HV, die Beschaffung von Mund-Nasen-Schutz-Masken, den Betrieb von Testzentren oder zuletzt das Ausstellen von digitalen Impfpässen ging, stets waren unmittelbar auch Dienstleister und Lieferanten von Apotheken mitbetroffen. Wenn sie nicht performt haben, weil beispielsweise Server überlastet waren, die technische Infrastruktur nicht für eine derartige Skalierung ausgelegt war oder schlicht und einfach kein ausreichender Vorrat angelegt wurde, bekamen stets in erster Linie die Apotheken den Zorn der betroffenen Kunden ab. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung deckte die Pandemie auf diese Weise schonungslos auf, wo wir versagt haben. Der Investitionsstau wurde auf einmal sichtbar. Meistens beruhte er auf der schlichten Überzeugung, dass es bisher ja auch immer ausreichend war, also würde es auch diesmal so sein. Was für ein Irrtum! Obwohl wir seit März 2020 angeblich ein Land voller Hobby-Virologen sind, haben bis heute immer noch die wenigsten begriffen, was exponentielles Wachstum eigentlich bedeutet. Was für Inzidenzen und Fallzahlen gilt, gilt in gleichem Maße für die Auslastung der Infrastruktur – sofern diese vorhanden ist.

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Ähnliches droht beim E-Rezept. Obwohl bekannt ist, dass Patienten sich über die gematik-App die Verfügbarkeit ihrer Arzneimittel werden anzeigen lassen können, wird darüber diskutiert, ob diese in Form einer (automatisierten) Abfrage oder einer (manuell zu bestätigenden) Anfrage geschehen soll. Während also die Apotheken vor Ort, die eine Anfrage aus der gematik-App erhalten, noch in Ruhe ihre Kunden am HV zu Ende beraten, bestätigt die freundliche Dame aus dem gleichzeitig angefragten Callcenter der Versandapotheke währenddessen schon mal, dass die Verordnung verfügbar ist. Die Vorwände, dass nur bei einer manuellen Antwort auch sämtliche Rabattverträge und pharmazeutischen Abfragen geprüft werden können, sind dabei Scheinargumente. Was die Rabattverträge betrifft, so sind das, nun, Verträge. Die Kombination aus Krankenkasse und pharmazeutischem Hersteller lässt sich über sog. Indizes einfach abbilden. Ein Blick ins Kundenkonto verrät obendrein, was der Patient bislang bekommen hat, falls ein Wechsel im Rabattvertrag stattgefunden hat. Und auch die pharmazeutischen Bedenken entsprechen Leitlinien. Hierbei folgt auf jeden Prüfschritt ein vom Ergebnis des vorherigen Schrittes abhängiger nächster Schritt bis zum endgültigen Resultat. Das ist nichts anderes als die Beschreibung eines Algorithmus. Rein technisch ließe sich der Wille aller Apothekeninhaber also in Form eines Ablaufschemas abbilden. Auch die Mitarbeiter, egal ob es die PTA im Callcenter in Holland oder am HV in Hagen, Herne oder Husum ist, halten sich doch in ihrem Tun an die Vorgaben des verantwortlichen Pharmazeuten. Warum das im Zeitalter künstlicher Intelligenz eine Maschine nicht auch tun könnte, sofern sie bei Vorliegen bestimmter kritischer Kriterien an einen Menschen übergibt, dafür aber 98% aller Anfragen direkt, schnell und zur Zufriedenheit der Kunden abarbeiten kann, erschließt sich mir nicht.

Das digitale Rezept wird, vielleicht nicht ab dem ersten Tag, aber sicherlich sehr schnell, die Erwartung der Patienten beeinflussen. Sofortige Rückmeldung lernen wir heute jeden Tag – egal, welche App wir nutzen. Von der Reservierung im Restaurant bis zur Bestellung von Bekleidung – stets erhalten wir ein verbindliches Feedback binnen weniger Minuten. Das muss den Apotheken vor Ort auch bei der Versorgung mit Arzneimitteln gelingen.

Was also tun?

Ich selbst kenne viele Webseiten von Vor-Ort-Apotheken, auf denen das Thema E-Rezept zum Glück sehr wohl bereits seit einiger Zeit beworben wird. Wie eingangs geschrieben tun das die Versandapotheken, bis auf eine Ausnahme, noch nicht. Warum das jedoch immens wichtig ist, habe ich schon vor längerer Zeit an dieser Stelle geschrieben: man konditioniert so seine Kunden. Noch haben Sie Zeit dafür, denn das Thema „E-Rezept“ ist in vielen Köpfen noch nicht wirklich angekommen, wie Sie in diesem Artikel auf DocCheck nachlesen können. Sprechen Sie das E-Rezept also weiterhin an und begeistern Sie Ihre Kunden durch Empathie und zielgerichtete, freundliche Kommunikation. Echte Menschen haben es doch am liebsten mit echten Menschen zu tun! Vor allem nach den langen Monaten der sozialen Distanz. Erkennen wir nicht inzwischen alle ein echtes Lächeln am Glitzern in den Augen unseres Gegenübers – selbst wenn diese(r) eine FFP2-Maske trägt?