Letzte Woche war der meistkommentierte Artikel auf dem Branchenportal apotheke-adhoc ein Bericht über den Kölner Apotheker Dirk Vongehr. Darin wird berichtet, wie Vongehr seit Kurzem den seit einem guten Vierteljahr als Regelleistung zulässigen Botendienst testweise auch im Nachtdienst anbietet. Zweieinhalb Tage nach Veröffentlichung hat der Beitrag schon 177 Kommentare. Erstaunlich, denn im Artikel, steht auch, dass das Fahrzeug der Apotheke seit Beginn des Tests erst zweimal nachts ausgerückt ist.

Die meisten Kommentatoren haben den Daumen gesenkt … warum eigentlich?
Ich habe die Kommentare auf einer abendlichen Zugfahrt alle durchgelesen … und war über die meisten sehr erschrocken: am Harmlosesten war noch die weit verbreitete Ahnungslosigkeit. Fremdgeschämt hingegen habe ich mich (als Nicht-Apotheker) für die Polemik, Unterstellungen und Mutmaßungen, die bis hin zu Verschwörungstheorien reichten. Ein Kommentator behauptete sogar, Max Müller von Doc Morris hätte die Idee des nächtlichen Botendienstes gestreut, um dadurch die stationären Apotheken in den Ruin zu treiben. Sorry, aber das ist schlicht und einfach falsch. Erstmalig veröffentlicht wurde diese Idee in „Disrupt Yourself,“ dem letzten Buch von Christopher Keese, dem Bestseller-Autor von „Silicon Valley“ und „Silicon Germany:“
Fallbeispiel Apotheken: Bekommt ein Kind in der Nacht Fieber, fahren die Eltern zur Notapotheke. Ist nur ein Elternteil daheim, kann man das kranke Kind nicht alleine zu Hause lassen. Gibt es noch Geschwister, weckt man alle Kinder auf, bringt sie durch den Novemberregen ins Auto, fährt mit ihnen zur Notapotheke, klingelt den Diensthabenden heraus und wird durch die Fensterklappe bedient. Nach der Rückkehr ins Haus schreien alle Kinder, und das kranke Kind ist noch kränker.
Apotheken versagen beim Aufbau moderner Servicesysteme. Um die gleiche nächtliche Schlafenszeit kann man Sushi, Thai Curry, Pizza, Schaschlik, Eisbein und Quinoa-Salat bestellen. Die Gerichte werden innerhalb 30 Minuten zugestellt. Nicht die Restaurantbesitzer müssen ausrücken, sondern Kuriere übernehmen die Fahrt. Bei Apotheken könnte es genauso sein. Für verschreibungsfreie Medikamente auf jeden Fall, für rezeptpflichtige Mittel vielleicht auch. Apotheken aber haben die Chance nicht erkannt. Jetzt hat Amazon gerade in PillPack investiert, ein Start-Up, das genau diesen Service anbietet. Auch künftig schauen Apotheker wahrscheinlich tatenlos zu, wie Plattformen ihnen die Kunden wegnehmen. Stattdessen plakatieren sie großflächig ihr trotziges Gegenmodell: „Einfach unverzichtbar“, heißt der Slogan des Apothekerverbandes. Kunden schauen ernst vom Plakat. Darunter steht: „Ich will die Apotheke hier vor Ort und sonst nirgendwo.“ Das ist ja auch gut so. Aber warum widerspricht das einer bequemen Lieferung nach Hause? Warum schließt das eine das andere aus? Das weiß außer den Apothekern niemand. Warum investiert die Apothekerschaft Millionen in eine Trotz-Botschaft? Auf den Plakaten steht in Wahrheit nur: „Weiter so.“ Oder anders ausgedrückt: „Liebes Internet, bitte nicht beim gemächlichen Gang der Dinge stören.“ Überzeugt hätten mich die Plakate, wenn dort gestanden hätte: „Wir bringen Ihrem Kind den Hustensaft nachts um drei ans Bett.“ Das ist es, was der Kunde will. Mit ihrer Kampagne zeigen die Apotheker nur, dass sie der Kundenwunsch nicht kümmert.Christoph Keese, „Disrupt Yourself: Vom Abenteuer, sich in der digitalen Welt neu erfinden zu müssen,“ Verlagsgruppe Random House, München, 2018, S. 158f.
Was nun, wenn auch Ihre Kunden dieses Buch gelesen haben? Es stand immerhin lange genug auf den Bestsellerlisten. Und das Beispiel mit dem Elternteil, der alleine zu Hause mehr als ein Kind zu versorgen hat, ist keineswegs konstruiert oder weit hergeholt: selbst wenn wir eine gute Hausapotheke und das Notwendigste immer zu Hause haben, so fanden wir kürzlich mitten in der Nacht nur noch eine eine leere Nurofen-Verpackung im Kühlschrank, als wir Schmerzmittel für unsere Jüngste gebraucht hätten. Damals bin ich selbst schnell zur Notdienst-Apotheke gefahren, um Nachschub zu kaufen. Aber was, wenn ich an dem Tag dienstlich unterwegs gewesen wäre?

Ein Kind braucht Arzneimittel, die anderen schlafen tief und fest. Und jetzt?
Ich würde gerne mit ein paar weiteren Mythen aufräumen, die mir in den Kommentaren des adhoc-Artikels säuerlich aufgestoßen sind. So wird zum Beispiel immer wieder behauptet, einen nächtlichen Botendienst könne man nicht kostendeckend oder gar profitabel betreiben. Das trifft vermutlich dann sogar zu, wenn wir Botendienst so verstehen, wie er heute gelebt wird: eine Apotheke hat einen Anstellungsvertrag mit einem oder mehreren Boten und hat ein oder mehrere Botenfahrzeuge gekauft oder geleast. Der Lohn für das reine Vorhalten eines Boten zur Nachtzeit wäre mit Sicherheit um 50% bis 150% teurer als für das Ausfahren untertags. Und die Autos würden bei höherer Nutzungsfrequenz ggf. schneller verschleißen und häufigere Reparaturen benötigen. Die vermeintlich logische Konsequenz: das kann ja gar nicht gehen.
Aber wo steht eigentlich, dass der Botenfahrer denn ein Angestellter der Apotheke sein muss? In der Begründung zu Anpassung der Apothekenbetriebsordnung aus dem Oktober 2019 wird sogar ausdrücklich „externes Personal, das der Weisungshoheit der Apothekenleitung untersteht“ angeführt. Vertraglich lässt sich diese Weisungshoheit auch außerhalb eines Arbeitsvertrages regeln, beispielsweise in einem Dienstvertrag. Durch technisch-organisatorische Maßnahmen kann zusätzlich sichergestellt werden, dass der externe Bote eventuelle Weisungen der Apothekenleitung auch während seiner Dienstzeit entgegennehmen kann, beispielsweise dadurch, dass er seine Mobilfunknummer in der Apotheke hinterlegt. Und schon ist der Weg frei, dass sich mehrere Apotheken einen Boten „teilen“ können. Durch Verteilung dieser Kosten auf mehrere Schultern, wird die Last des einzelnen reduziert.

Kostenreduzierung durch Verteilung auf mehrere Beteiligte – warum nicht?
Die größte Barriere im gemeinsamen Botendienst von Apotheken, die untereinander im Wettbewerb stehen, ist sicherlich eher emotionaler Natur: „nein, mit meinem Konkurrenten arbeite ich nicht zusammen!“ Und solange dieser Glaubenssatz existiert, profitieren davon vor allem die ausländischen Versandapotheken und Amazon, wo die Vorbereitungen für den Versand von Arzneimitteln und (vor allem) eigenen Generika währenddessen vermutlich unvermittelt weiterlaufen.
Räumen wir gleich mit dem nächsten Glaubenssatz auf: der Beratungsqualität. Wie solle diese nur gewährleistet sein, wenn ein externer Bote ausliefert? Nun, ich war selbst lange Jahre angestellter Bote einer Apotheke. Beraten hätte ich definitiv nicht können. Aber im neuen § 17 Absatz 2 der Apothekenbetriebsordnung wird die Beratung im Wege der Telekommunikation explizit aufgeführt. Auch hier hilft also wieder das Handy, das der Bote ja zum Entgegennehmen von Weisungen der Apothekenleitung ohnehin schon haben sollte. Der Kunde will Beratung? Also wird der (not-)diensthabende Apotheker angerufen, übernimmt die Beratung und dann gibt der Bote das Arzneimittel ab. So wird dem Gesetz Folge geleistet ohne die Kompetenz des Notdienst-Apothekers zu mindern.

Telepharmazie – dank Smartphone ist diese Form der Beratung möglich per Audio oder Video
Auch die Abgrenzung zum Versandhandel ist damit übrigens erfolgt: sobald ein Paket die Apothekenräume verlässt, ist es kaum noch möglich, Weisungen an den Zusteller zu erteilen. Auch davon, dass ein DHL-Bote mit dem Handy in der Apotheke anruft, um Beratung nachzuholen, habe ich bis jetzt noch nicht gehört.
Es gibt schon seit einigen Jahren Unternehmen, die das Outsourcing des Botendienstes als Dienstleistung anbieten, um nur ein Beispiel zu nennen: die Pillentaxi GmbH & Co. KG aus Köln. Dort ist die Zustellung übrigens nicht umsonst: genau wie bei den Restaurants, die ihre Gerichte durch Kuriere ausliefern lassen, ist die Zustellung bei solchen Dienstleistern eingepreist. Bezahlt wird sie aber nicht durch die Apotheke – sondern den Kunden. Und nach den mir bekannten Ergebnissen mehrerer Marktforschungen tun Kunden das nicht unbedingt widerwillig, wenn ihnen dadurch der nächtliche Weg in die Apotheke erspart wird. Und Kunden, die sich im Nachtdienst ein Rezept liefern lassen wollen, das schon einige Tage – und somit definitiv nicht eilig – ist, werden dann eben entweder zum Besuch der Apotheke zu den regulären Öffnungszeitenauch gebeten, oder zahlen nochmal einen zusätzlichen Aufschlag.
Neue Formen der Zusammenarbeit warten nur darauf, gewagt zu werden! Foto (c) Pillentaxi GmbH & Co. KG
Warum warten wir also nicht erst mal in Ruhe ab, welche Erfahrungen Dirk Vongehr bei seinem Test macht. Statt ihn anzugreifen sollte man ihm dankbar sein, dass er seine eigene Zeit dafür einsetzt, um herauszufinden ob der nächtliche Botendienst der Vor-Ort-Apotheke auch wirklich ein Kundenwunsch ist. Sobald hier valide Ergebnisse vorliegen, kann man dann über Geschäftsmodelle reden. Und darüber, ob diese Modelle bundesweit sinnvoll sind, oder, so meine Vermutung, sich eher in Ballungsräumen behaupten werden.
Meine Vermutung: für all Ihre Kunden, denen Sie im Nachtdienst durch den Botendienst ein großes Problem lösen, werden Sie … unverzichtbar!
[…] in die Apotheke übermittelt. Aber wollen Sie Ihre Mitarbeiter im HV oder gar Ihren Boten tatsächlich der Ansteckungsgefahr ausliefern? Warum machen wir es bei der nächsten Pandemie nicht […]
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[…] Botendienst. […]
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[…] Social Support. Man hilft sich. Das wird in den nächsten Wochen auch noch zunehmen. Egal, ob man Botenfahrten vor Ort gemeinsam stemmt oder sich bei Engpässen mit Personal aushilft – die Kooperation der […]
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[…] wieder abgehängt werden, das kontaktlose Zahlen abgeschafft und die – jetzt vergüteten – Botenfahrten wieder reduziert werden? Zumal bis heute nicht ganz klar ist, wie lange wir noch mit dem […]
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[…] …Und das fährt dann durch den Ort und wird von Ihren Kunden und potenziellen Kunden wahrgenommen. […]
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[…] eine Verbesserung zum aktuellen Staus Quo sein, aber unser flächendeckendes Apothekennetz samt Botendienst ist schlicht und einfach besser. Ausruhen können wir uns darauf alleine aber leider nicht. Zumal […]
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[…] wie Click & Collect (Abholung in der Apotheke) bzw. Click & Delivery (Lieferung durch den Botendienst der Apotheke). Dabei fällt natürlich auch immer wieder Beratungsbedarf an, dem man zuvor in der Offizin […]
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[…] statt. In der Apotheke vor Ort wird vermehrt bargeld- und kontaktlos bezahlt und die Anzahl der Botendienste ist seit einem Jahr konstant hoch geblieben; sie wäre sogar noch höher gestiegen, wenn es denn […]
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[…] lediglich als zusätzlicher Parameter auch der frühestmögliche Abhol- oder Zustellzeitpunkt (bei Lieferung durch den Apothekenboten) mit angezeigt […]
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[…] Apotheke in Deutschland stößt durchschnittlich ungefähr 25 Tonnen CO2 pro Jahr aus. Der Botendienst, der wohl auch nach der Coronakrise relevant bleiben wird, hat daran seinen Anteil. Das muss aber […]
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[…] und auch Workarounds zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Wir diskutieren, wie der Ausbau von Botendiensten gelingen kann und wie sich die Nutzung von Abholautomaten und Plattformen positiv auf das Standing […]
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[…] den Neunzigern war ich selbst Bote einer Apotheke und habe täglich über zwanzig Haushalte angefahren, um Arzneimittel zu liefern. Das war und ist […]
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[…] wir also davon aus, dass auch die Botenfahrzeuge der Apotheke bereits in naher Zukunft autonom fahren können. Dabei kann sich dann durchaus noch ein Bote im […]
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[…] von zu Hause aus bestellen. Außerhalb der Öffnungszeiten können sich Abholautomaten oder ein „Late-Night-Botendienst“ um die Übergabe […]
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[…] Sie es ruhig im nächsten Notdienst aus. Das macht nicht nur Spaß, sondern es zeigt auch, wie leise sich die Künstliche Intelligenz in […]
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