Eine Smartwatch, die den Wirkstoffspiegel im Schweiß messen kann

In einem früheren Beitrag habe ich in einer Vision der Apotheke im Jahr 2030 geschrieben, dass bis dahin Menschen Wearables am Körper und in der Kleidung verwenden werden, die in der Lage sind, den Wirkstoffgehalt von Arzneimitteln im Schweiß der sie tragenden Menschen zu messen. Bewegt sich dieser Wirkstoffgehalt in einem bestimmten Rahmen, kann man davon ausgehen, dass der Patient seine Medikamente regelmäßig einnimmt und somit „compliant“ ist. Unter- oder übersteigen sie vorher festgelegte Grenzwerte, kann man darauf schließen, dass der Patient seine Arzneimittel unregelmäßig oder gar nicht einnimmt – oder falsch dosiert ist. Und wer wäre besser geeignet, dies in diskreter Umgebung mit dem Patienten zu besprechen, als eine Apothekerin oder ein Apotheker. Und so wie es ausschaut, werden wir dafür auch gar nicht mehr bis zum Jahr 2030 warten müssen.

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Die Smartwatch – ein Wearable auf dem Vormarsch

Forscher der UCLA Samueli School of Engineering und der Stanford School of Medicine haben nämlich laut einer Veröffentlichung vom 27. Juli 2020 eine Smartwatch entwickelt, die mithilfe einer elektrochemischen Analyse des Schweißes des Patienten den Spiegel eines Arzneimittels im Körper verfolgt. Interessant ist das nicht nur für die Überwachung der Therapietreue, sondern auch als Unterstützung dafür, das richtige Medikament und die richtige Dosis für jeden Patienten zu finden, um dadurch sowohl die therapeutischen Möglichkeiten zu verbessern als auch gleichzeitig Nebenwirkungen zu verringern.

Heute, im Jahr 2020, arbeiten wir mit standardisierten Fertigarzneimitteln, die auf der Grundlage von Standardrichtlinien unter Berücksichtigung von Parametern wie Alter, Gewicht und Unverträglichkeiten verordnet werden. Eine weitergehende, patientenindividuelle Personalisierung gibt es nicht, und das, obwohl es Arzneimittel gibt, die bei einigen Patienten überhaupt nicht wirken. Außerdem gibt es dramatische Unterschiede in der Reaktion der Menschen auf Medikamente. Je nachdem, wie schnell die Menschen die Arzneistoffe verarbeiten und ausscheiden, wofür wiederum interindividuelle Unterschiede in der Pharmakokinetik verantwortlich sind, liegt auch hierin ein häufiger Grund für Therapieversagen.

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Patienten: keiner ist wie der andere

Begegnet wird diesem unter Ärzten und Apothekern durchaus bekannten Problem bisher mit gelegentlichen, manchmal auch wiederholten Blutabnahmen und Laboranalysen. Dadurch wird versucht, das Blutbild der Patienten transparent zu machen. Das ist jedoch zeitaufwändig, teuer und für Patienten obendrein noch unpraktisch – oder gar schmerzhaft. Außerdem erhält man mit Blutproben immer nur Momentaufnahmen, die zwar gewisse Rückschlüsse zulassen – aber niemals den Verlauf in Echtzeit darstellen können.

Mit der tragbaren Smartwatch, welche die Forschergruppe nun entwickelt, kann der Wirkstoffgehalt im Schweiß kontinuierlich in Echtzeit gemessen werden. Schweiß kann dabei wohl durchaus als gleichwertiger Ersatz für das Blut dienen, da bei vielen Medikamenten die Werte in Schweiß und Blut sehr ähnlich sind. Ziel der Studie sei es, Profile von Medikamenten im Körper kontinuierlich und nicht-invasiv zu verfolgen. Auf diese Weise kann die optimale Dosierung und der optimale Zeitpunkt der Medikamentenaufnahme für jeden einzelnen Patienten errechnet werden. „Mit diesem Personalisierungsansatz können wir die Wirksamkeit der therapeutischen Behandlungen verbessern,“ wird ein an dem Projekt beteiligter Forscher auf der Seite „Medgadget“ zitiert.

Wie die Smartwatch genau funktioniert? Sie stimuliert die Schweißdrüsen in der darunter liegenden Haut durch elektrische Impulse. Durch Sensoren kann das Gerät dann den Schweiß analysieren und die elektrochemische Signatur bestimmter Arzneimittel unter Verwendung einer sog. voltammetrischen Erfassungsschnittstelle identifizieren. Das Ergebnis: eine kontinuierliche Echtzeitmessung der Wirkstoffspiegel.

Handelt es sich bei dieser Technologie nun tatsächlich um einen Meilenstein, einen enormen Schritt vorwärts in Richtung komplett personalisierter Medizin? Für eine eindeutige Antwort hierauf ist es wohl noch zu früh. Aber: auf der technischen Seite sind Smartwatches und Fitness-Tracker inzwischen zur Massenware geworden. Wem die Apple Watch zu teuer ist, für den gibt es von Herstellern wie Ximao smarte Armbänder mit vergleichbarem Funktionsumfang, die preislich bei um die 30 € liegen. Auf der klinischen Seite wiederum haben sich neue pharmakogenomische Lösungen, mit denen man Medikamente anhand auf des Erbgutes von Patienten auf deren Bedarf maßschneidern kann, bereits als äußerst nützlich erwiesen, um die Wirksamkeit von Behandlungen zu verbessen. Kombiniert man nun diesen – bereits erzielten! – technologischen und medizinisch-pharmakologischen Fortschritt, so klingt das für mich sehr vielversprechend.

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Medizin und Pharmazie befinden sich im Wandel – schon immer …

Ähnlich wie bei den Closed-Loop-Systemen für Diabetiker, wo es die Interaktion zwischen Meßgerät und Dosiermodul bereits gibt, könnte die hier vorgestellte Smartwatch diese Idee eines in sich geschlossenen Kreislaufs für weitere Krankheitsbilder befllügeln. Man stelle sich nur vor, wir könnten einfach so, durch das Umschnallen einer Armbanduhr, die Medikamentendosierungen für jeden Einzelnen von uns bedarfsgenau optimieren und dann auf dem 3D-Drucker in der Apotheke vor Ort Monopräparate oder Polypillen ausdrucken – könnten wir nicht dann erst wirklich von personalisierter Pharmazie sprechen?