Wie lassen sich die vielen Eindrücke von der Expopharm systematisch einsortieren?

Vor neun Tagen ging die Expopharm 2022 zu Ende. Wie immer nach derartigen Großveranstaltungen dauert es ein wenig, bis all die Eindrücke verarbeitet sind. Was gezeigt wurde, darf ruhig als überwältigend bezeichnet werden: große, sprunghafte Innovationen, wie der 3D-Druck von Arzneimitteln, konnten ebenso bestaunt werden, wie die eher inkrementiellen Neuheiten der Warenwirtschafts-Anbieter oder das Dauerthema Nachhaltigkeit, welches nach dem eben erst vergangenen, erneut sehr heißen Sommer durchaus als Megatrend bezeichnet werden kann. Für die ApothekeninhaberInnen und ihre Teams, die die Messe besucht haben, stellt sich daher die Frage: wie umgehen mit all diesen Impulsen?

Apotheke Digitalisierung Strategie Expopharm SWOT

Als mir diese Frage vorletzte Woche von einem Apotheker gestellt wurde, gab ich in einem ersten Impuls den Ratschlag, doch mal mindestens 20% der Arbeitszeit freizuschaufeln für strategische Überlegungen. Also arbeiten am Unternehmen Apotheke, statt im Unternehmen. Die Antwort meines Gesprächspartners? Er arbeite schon zu 100% strategisch, allenfalls wenn der Krankenstand zu hoch sei, begebe er sich noch in den Handverkauf. Nein, woran es ihm mangele, seien Methoden oder Tools, um eine Entscheidungsgrundlage treffen zu können, bei welchen Themen es sich für ihn lohnen könnte, diese zu vertiefen und welche man eher beiseitelassen könne.

Das wurde mir auch in einem anderen auf der Expopharm geführten Gespräch klar. Meine Gesprächspartnerin analysierte mich. „Du bist gedanklich schon fünf bis zehn Jahre in der Zukunft,“ sagte sie. „Und da wird die Reise gewiss auch hingehen. Aber unsere Apotheken sind teilweise noch nicht mal in der Gegenwart angekommen. Man muss sie in diese Zukunft begleiten. Und dazu gehört auch ein Methodenwissen, das so im Pharmaziestudium gar nicht gelehrt wird.

Apotheke Digitalisierung Strategie Expopharm SWOT

Die beiden Gespräche haben mich seitdem durchaus beschäftigt. Vielleicht, so dachte ich zunächst, hilft mir ja mein Blick auf die Apotheken als Außenseiter. Aber wem mache ich etwas vor? Auch wenn ich kein Pharmazeut bin, so stehe ich doch seit Dezember 1993 hinter dem HV und nicht mehr davor. Nein, als Außenseiter kann ich mich wahrlich nicht bezeichnen.

Um einzelne Innovationen oder Themen aus strategischer Sicht zu bewerten, hat sich zumindest in meinem Arbeitsalltag ein Werkzeug namens „SWOT“ Analyse bewährt. Der Name SWOT leitet sich ab von den Anfangsbuchstaben der englischen Wörter

  • „Strength“ (Stärke),
  • „Weakness“ (Schwäche),
  • „Opportunity“ (Chance, Möglichkeit) und
  • „Threat“ (Risiko, Bedrohung)

Sie bezeichnen vier Kategorien, anhand derer man einzelne Maßnahmen oder Themenfelder bewertet. Dabei beziehen sich die Stärken und Schwächen stets auf das Unternehmen selbst – also die Apotheke. Der Blick wird dabei nach innen gerichtet. Chancen und Risiken richten dagegen den Fokus nach außen, auf den Markt und das Umfeld, in dem sich die Apotheke befindet. Führt man beide Blickweisen in Form einer Matrix zusammen, so erhält man eine umfassende und höchst individuelle Abwägung, aus der sich die nächsten Schritte gut ableiten lassen.

Apotheke Digitalisierung Strategie Expopharm SWOT

Bevor Sie sich jetzt daranmachen, einzelne Maßnahmen anhand dieser Matrix zu bewerten, hier noch zwei Praxistipps: eine solche Übung ist wahrlich kein Solo-Tanz, sondern lässt sich am besten im Team erarbeiten. Überlegen Sie sich dabei bitte auch, ob ein professioneller Moderator oder Coach Sie hierbei unterstützen kann. Dadurch können Sie sich ganz auf die Inhalte konzentrieren. Außerdem sollten Sie unbedingt die zu bewertende Maßnahme oder Innovation unter dem Gesichtspunkt eines konkreten, messbaren Ziels beleuchten. Das festgelegte Ziel sollte dabei den bekannten SMART-Kriterien entsprechen, also

● spezifisch (S),
● messbar (M),
● aktionsorientiert (A),
● realistisch (R) und
● mit einem Termin versehen sein (T).

Ein Ziel könnte also lauten, binnen eines Jahres sämtliche Hypertoniker in Ihrer Apotheke komplett individuell mit Arzneimitteln zu versorgen. Was spricht dafür und was dagegen, für diesen Zweck einen 3D-Drucker zu beschaffen, der ausschließlich Captopril fertigt? Eine Stärke der Apotheke könnte nun darin liegen, dass beispielsweise der hierfür benötigte Reinraum bereits vorhanden ist. Eine Schwäche könnte darin liegen, dass die Kundenfrequenz in diese Krankheitsbereich zu hoch ist, um alle Kunden mit individuell dosierten Tabletten aus dem Drucker zu versorgen. Einige Kunden könnten also enttäuscht sein. Eine Chance könnte darin liegen, dass durch dieses Alleinstellungsmerkmal eine positive Wahrnehmung entsteht bis hin zu Berichten in der Lokalpresse. Als Risiko sind die verordnenden Ärzte zu sehen, die an Stelle von Fertigarzneimitteln hierfür nach aktuellem Stand Rezepturen verordnen müssten und auch häufiger Laborwerte der Patienten anfordern müssten, um die Dosierung anzupassen. Ob sie das wohl mitmachen?

nach aktuellem Stand

Nun wägt man die Argumente für- und gegeneinander ab und sucht für jedes Viertel in der SWOT-Matrix mögliche Handlungsoptionen, die sich aus der Analyse direkt ableiten lassen. Denn die SWOT-Analyse selbst beschreibt nur einen aktuellen oder antizipierten Zustand. Die Umsetzung ist dann Teil der Strategie. Um Chancen und Risiken – im Sinne von angenommenen günstigen oder ungünstigen Umständen – gut einschätzen zu können, sollte man auch ein gutes Gespür dafür haben, was Kunden und Mitarbeiter erwarten und wie Wettbewerber vor Ort diesen Erwartungen wohl begegnen werden.

Wenn Sie diese Übung für jeden Themenpunkt durchführen, der auf der Expopharm Ihr Interesse geweckt hat, so werden Sie am Ende nicht mehr als eine Handvoll Themen haben, die Sie weiterverfolgen sollten. Und da Sie Ihr Team mit eingebunden haben und die Entscheidung gemeinsam getroffen wurde, werden auch alle am selben Strang ziehen. Dass Sie die Umsetzung als InhaberIn delegieren können und allenfalls die Zielerreichung überwachen sollten, brauche ich nicht extra zu schreiben, oder?