Wie nahezu alle meine Beiträge entstand auch dieser auf einer Zugfahrt nach München. Die Strecke Mannheim – München befahre ich regelmäßig und nutze die Zeit gerne für Recherchen oder das Schreiben.
Wie schon im letzten Beitrag angekündigt bin ich dabei auf Gesundheits-Chatbots gestossen. Ähnlich wie die telemedizinische Fernbehandlung tragen auch Chatbots bestimmte „Heilsversprechen“ in sich. Zum einen die „Triage“ , also die Trennung medizinischer Bagatellfälle von echten Notsituationen. Zum anderen, und damit einhergehend, natürlich auch die bessere Organisation von Abläufen in Kliniken, Arztpraxen – und nicht zuletzt auch der Apotheke. Insbesondere häufig vorkommende banale Fragen zu eindeutig unkritischen Themen, so die Hoffnung, lassen sich mit Chatbots effizient bearbeiten. Patienten, die viel Zeit kosten, aber kein tatsächliches Bedürfnis nach menschlicher Zuwendung haben, könne man damit kompetent beraten.

Chatbots: eine Alternative in der Gesundheitsberatung?
Also habe ich mir die Anwendung Your.MD auf mein Smartphone geladen. Übersetzt bedeutet der Name in etwa: „Dein Medical Doctor“ , M.D. im Englischen entspricht dem deutschen Dr. med.
Basierend auf akkuraten Quellen verspricht die kostenlose App umsetzbare Gesundheitsinformationen, die den Anwender in die Lage versetzen, diejenige Entscheidung zu treffen, die für seine Gesundheit optimal ist. Sie basiert auf Künstlicher Intelligenz, The Economist schrieb über die App bereits im Oktober 2016:
„The app typifies a new approch to mobile health. It is intelligent, personalised and gets cleverer as it gleans data from its user.“
„Die App typisiert einen neuen Ansatz für mobile Gesundheit. Sie ist intelligent, personalisiert und wird um so schlauer, je mehr Daten sie von ihrem Benutzer herausbekommt.“
Als Testfall habe ich mir Symptome herausgesucht, die ich aus dem persönlichen Umfeld kannte: Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindelgefühle. Was sich auf den ersten Blick nach der „Volkskrankheit Migräne“ anhört, war damals ein gutartiger Tumor an der Hirnhaut, der beim Betroffenen operativ entfernt werden musste. Allerdings kam diese Diagnose erst nach einer längeren Leidenszeit, da die Kopfschmerzen zunächst mit beruflichem Stress in Verbindung gebracht wurden und erst nach einem Arztwechsel ein MRT samt anschließendem Befund vorgenommen wurde. Also machte ich mich auf der erwähnten Zugfahrt direkt an die Überprüfung, ob eine Künstliche Intelligenz hier zielführender vorgeht als der (inzwischen ehemalige) Hausarzt unseres Patienten.

Wie lange es wohl dauert, bis die Künstliche Intelligenz unseren Patienten in die Röhre schickt?
Nach dem Registrieren, das man auch über einen Facebook- oder Google-Account vornehmen kann, fällt einem zunächst die aufgeräumte „Welcome“ -Seite auf. Your.MD ist derzeit übrigens nur auf Englisch verfügbar. Es gibt gerade einmal 4 Menu-Punkte; über „worried about your health?“ („besorgt über Ihre Gesundheit?“ ) kommt man schnell und direkt in den Chat mit der künstlichen Intelligenz. Sie begrüßt einen freundlich und stellt sich als „Personal Health Assistant“ vor. Geht man nun auf das Feld zur Eingabe der Symptome, wird man gefragt, für wen dieser Symptom-Check sei. Um anonym zu bleiben – man weiß ja nie, wer alles mitliest – habe ich als Patienten einen gewissen „Hans“ (der erstbeste Name, der mir eingefallen ist), geboren im Jahr 1974 (wie ich) angegeben. Die Symptome „headache, vertigo, blurry vision“ konnte ich danach im Freitext eingeben. Und dann ging es sehr schnell: nach drei (!) Nachfragen der App, zu Häufigkeit und Intensität der Beschwerden, sowie zu Begleitsymptomen, allesamt per Multiple Choice zu beantworten, zeigte mir die App an, dass es sich um einen Notfall handle und ich schleunigst „within 48 hours“ („binnen 48 Stunden“ ) eine Notaufnahme aufsuchen solle.
Konkrete mögliche Diagnosen wurden mir hier gar nicht mehr angezeigt. Bei einem früheren Test der App wurde ich tatsächlich noch als potentieller Migräne-Patient gehandelt. Aber das letzte Update scheint hier eine spürbare Verbesserung gebracht zu haben: einerseits sofort der Hinweis „ab ins Krankenhaus,“ andererseits keine Nennung möglicher Krankheiten mehr, um den Patienten nicht unnötig zu beunruhigen.

Erkannte den Notfall auch als solchen: die Software Your.MD
Beeindruckend für mich, der die echte Krankheitsgeschichte zu den Symptomen kennt, war die Treffsicherheit, mit der die Software erkannte, dass es hier womöglich etwas Ernstes sein könnte. Die Art und Weise, in der Your.MD mit mir kommuniziert hat – selbst wenn ich weiß, dass es nur ein Computerprogramm ist – empfand ich darüber hinaus als einfühlsam, verbindlich und der Sache angemessen. Wenn ich jetzt noch bedenke, wie ungerne ich mich in überfüllten Wartezimmern mit schniefenden Patienten und gestressten Praxis- oder Krankenhausmitarbeitern aufenthalte, so kann ich nur konstatieren, dass Apps wie Your.MD in absehbarer Zeit eine sinnvolle und nützliche Ergänzung des bisherigen Angebots der Leistungserbringer darstellen können.
Um den Kreis zu schließen, müssten allerdings Gesundheits-Apps den Anwender jetzt noch direkt mit der Spezialklinik in der Nähe, mit der Apotheke vor Ort oder mit dem für meine Beschwerden optimalen Physiotherapeuten o.ä. zusammen bringen. Durch einen Klick am Ende der Symptomsuche könnte man beispielsweise in der Terminvergabesoftware der Klinik landen oder eine Bestandsabfrage für ein Arzneimittel in der Apotheke starten. So weit sind wir aber dann leider doch noch nicht. Auf meine Frage „where is the next pharmacy?“ („wo ist die nächste Apotheke?“ ) wurde mir von Your.MD lediglich die Kontaktaufnahme mit HealthExpress angeboten – einem Anbieter aus Großbritannien, der Konsultation, Rezeptausstellung und Versand der Arzneimittel aus einer Hand innerhalb Europas anbietet. Danke, aber daran habe ich natürlich kein Interesse …

Die Leistungserbringer müssen Teil des digitalen Beratungsprozesses werden!
Auch wenn die Versuchsanordnung aus statistischen Gründen eigentlich keine allgemeine Aussage zur Gesundheitsberatung durch Chatbots zulässt, ziehe ich ein sehr ambivalentes Fazit: zum einen bin ich von der Art und Weise, wie mich die App konsultiert hat, positiv überrascht. Die Aufforderung, dass dieser Patient besser schnell ins Krankenhaus gehört, ist in Kenntnis der tatsächlichen Historie dieses Patienten überzeugend. Andererseits ist die Verknüpfung mit einer englischen telemedizinischen Klink und Versandapotheke ein eher bitteres Ende. So lange es diese App nur auf Englisch gibt, ist das Risiko, dass sie Patientenströme von unseren Apotheken in Deutschland weg leitet, überschaubar. Aber es gibt immer mehr Apps, die ähnlich funktionieren. Und so lange am Ende eines digitalen Beratungsprozesses nicht die lokalen Leistungserbringer im Gesundheitswesen auftauchen, gilt daher für mich bis auf Weiteres:
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.