„Das Ende der Leistungsgesellschaft naht,“ ist ein Artikel auf Welt Online betitelt, der am 12.05. veröffentlicht wurde. Darin beschreibt die Autorin Franziska Zimmerer auf sehr unterhaltsame Weise, wie auf LinkedIn – DEM beruflichen sozialen Netzwerk schlechthin – Emotionen inzwischen mehr zählen würden als Leistung. Bewusst provokant bringt sie Beispiele, in denen die Trivialität mit viel Pathos zu vermeintlich lebensverändernden Situationen hochstilisiert wird. Das bringe mehr Klicks, als die schnöden rein beruflichen Fakten, wie ein Jobwechsel oder eine Beförderung. Auch die Jobtitel müssen inzwischen fancy und modern klingen, damit man auffällt. Explizit genannt wird der „Happiness Manager,“ ein Job, den die Welt bereits 2017 als überflüssig abgetan hat. Schließlich werden als Beispiel für das nahende Ende der Leistungsgesellschaft auch noch die vielen Networking-Events angeführt. Sie seien nichts weiter als die Verlängerung der Online-Bullshit-Bingo-Parade in die Realität. Die Selbstdarstellung, so endet der Artikel, sei inzwischen wichtiger als die Leistung selbst.

Bevor man sich jetzt sofort als begeisterter LinkedIn-Nutzer – zu denen ich mich auch zähle – über den Artikel aufregt, lohnt es sich, einmal kurz innezuhalten. Denn an vielen Stellen fühlte ich mich beim Durchlesen des Artikels durchaus „erwischt.“ Und das nicht nur im Bezug auf LinkedIn, sondern eigentlich auf alle Sozialen Netzwerke.
Dass auf sozialen Netzwerken zunehmend Seelenstriptease betrieben wird, habe ich auch schon festgestellt. Grundsätzlich finde ich das auch in Ordnung. „Soziale“ an den Netzwerken bezieht sich schließlich auf das menschliche, nicht auf Gesellschaften im Sinne von „Sozietät.“ Und die Einblicke in Gefühlswelten der Kontakte helfen einem mitunter auch beim Einsortieren bestimmter Verhaltensweisen. Wobei gerade im beruflichen Kontext der Grat, auf dem manche sich bewegen, durchaus schmal ist. Ich erwarte von niemandem, perfekt zu sein. Andererseits wäre etwas weniger Pathos, vor allem auf LinkedIn, manchmal gar nicht schlecht. Auch der Begriff „Bullshit-Bingo-Parade“ in dem Artikel trifft es sehr gut. Nicht was die Networking-Events betrifft, auf die sich der Artikel bezieht. Die halte ich für sehr wichtig. Denn nur im persönlichen Austausch kann man viele Emotionen dank Mimik, Gestik und Tonfall im richtigen Kontext erfassen. Aber auf LinkedIn kann man spätestens bei den Hashtags unter den Beiträgen laut „Bingo“ rufen. Aber bitte: tun Sie das nicht, wenn Sie in einem überfüllten ICE-Abteil sitzen. Die Blicke ihrer Mitreisenden könnten Sie als unangenehm empfinden.

Aber: die Vernetzung auf Social Media ist doch gerade deswegen so interessant, weil wir die Gelegenheit haben, an Teilen des Lebens unserer Bekannten und Freunde teilzunehmen. Wenn ich selbst Beitrage anderer Menschen lese, like oder kommentiere, dann doch vor allem, weil mir mehr geboten wird als nur die Anekdoten aus dem beruflichen Umfeld. Davon habe ich selbst einige auf Lager, und meistens sind sie sehr austauschbar. Mir persönlich geht es auf Social Media darum, auch die Menschen hinter dem Job kennenzulernen. Und in sozialen Netzwerken findet sich ein digitales Spiegelbild der Menschen, die sich dort tummeln. Vor einem Spiegel kann man sich analog genauso auftakeln wie digital. Das hat wenig mit Selbstoptimierung zu tun, wie die Autorin schreibt, sondern ist elementares Wesensmerkmal aller Sozialen Netzwerke. Auch derjenigen, die nicht im Internet stattfinden. Oder machen Sie sich keine Gedanken über Ihr äußeres Erscheinungsbild, wenn Sie in die Arbeit gehen – eines der sozialen Netzwerke mit der höchsten Macht über unser Wohlbefinden, übrigens.
Dass LinkedIn im Besonderen oder Social Media ganz Allgemein die Leistungsgesellschaft beenden wird, sehe ich so nicht kommen. Frei von Nebenwirkungen ist diese Leistungsgesellschaft schließlich auch nicht: anonyme McJobs, Entfremdung, Burnout, Ellbogenmentalität, um nur ein paar der negativen Auswirkungen zu nennen. Social Media verstärkt diese, denn Ärger geht im Netz nun mal einfacher viral als gute Laune. Insbesondere von Twitter ist bekannt, dass Nutzer bevorzugt Tweets in ihrer Timeline angezeigt bekommen, auf die sie mit Ärger reagieren. Das sorgt für Klicks und bindet die User an ihr Gerät. Gezieltes Abschalten und JOMO (Joy Of Missing Out – die Freude daran, etwas zu verpassen) sind hierfür probate Lösungen.

Klar, Leistung ist wichtig. Aber sie sollte immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen werden. Man kann Produkte heute schließlich auch nicht mehr so vertreiben wie noch vor 20 Jahren. Wandel ist die einzige Konstante im (Berufs-)Leben. Dank Social Media können sich Menschen heute einem viel größeren Publikum präsentieren als jemals zuvor. Das ist zunächst mal ein großer Vorteil. Wen das nervt, der soll einfach abschalten oder den entsprechenden Profilen ganz schnell entfolgen. Und was LinkedIn betrifft: das ist die größte Fachmesse der Welt. Tun Sie digital einfach das, was Sie analog auch tun würden, wenn Sie jemand vollschwafelt und nervt. Aber bitte stets unter Berücksichtigung der (N)Etiquette!
Und was den Happiness Manager betrifft – nennen Sie mir bitte ein Unternehmen, dem ein Manager, der sich explizit um die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden kümmert, nicht gut tun würde.