Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der Deutschen Apotheker Zeitung 11/ 2019 am 14.03.2019 und war thematisch Inhalt meines Vortrags auf der Interpharm 2019.
Dem griechischen Philosophen Heraklit, der um 500 v. Chr. an der Westküste Kleinasiens lebte, wird folgende Lebensweisheit zugesprochen:
„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“
Und selten war dieser Wandel so spürbar wie momentan: die Digitalisierung macht etablierte Geschäftsmodelle teilweise oder gar komplett obsolet und stellt ganze Branchen vor bisher ungeahnte Herausforderungen. Auch Apotheken bleiben hiervon nicht verschont. Egal, ob elektronisches Rezept, Securpharm oder der befürchtete Eintritt von Amazon in den Versandhandel mit Arzneimittel – auch unsere Branche wird sich massiv verändern.

Wie wird sie aussehen, die Apotheke von morgen?
Doch es gab schon immer kluge Köpfe und Visionäre, denen es gelungen ist, ihr unternehmerisches Potential in unbeständigen Zeiten mit Hilfe von neuen Trends und Erfindungen optimal auszuschöpfen. Die Methoden, mit denen sie Branchen neu erfunden oder gänzlich umgewälzt haben, lassen sich mit ein wenig Phantasie auch auf die Apothekenwelt im Deutschland des Jahres 2019 anwenden. Werfen wir hierzu also zunächst einen kurzen Blick auf drei dieser Pioniere und ihre Erfindungen. Es handelt sich dabei um wahre Innovationen ihrer Zeit, die inzwischen aber als Alltagsgegenstände bekannt sind. Anschließend können wir uns überlegen, welche Schlüsse sich daraus in Bezug auf die Apothekenwelt von morgen ziehen lassen.

John Davison Rockefeller, 1885; The Rockefeller Archive Center (Public domain)
John D. Rockefeller war Mitbegründer einer Erdölraffiniere, aus der im Jahr 1870 die Standard Oil Company hervorging. Er war der erste Milliardär der Weltgeschichte und gilt bis heute als reichster Mensch der Neuzeit. Das nach ihm benannte Rockefellerprinzip bezeichnet eine Marktstrategie, bei der ein Produkt Folgekosten auslöst, über die der Produktverkäufer den Hauptteil des Gewinns erzielt. Rockefeller stand nämlich vor der Herausforderung, große Mengen eines wertvollen Rohstoffes – raffiniertes Erdöl – zu besitzen, für den es gegen Mitte des 19. Jahrhunderts nur geringe Nachfrage gab. Er soll dieses Problem dadurch gelöst haben, dass er Öllampen kostenlos bzw. sehr günstig vermarktet hat, um über die unvermeidlichen Nachkäufe von Brennöl einen dauerhaften Absatz seines Rohstoffes sicherzustellen. Erst die zunehmende Verbreitung des Automobils in den ersten Jahrzenten des 20. Jahrhunderts ließen dann den Bedarf an Öl in unermessliche Dimensionen klettern. Dadurch profitierte Rockefeller übrigens ein zweites Mal von seinem Öl.

King Camp Gillette, 1907; veröffentlicht im Februar 1918 (Public Domain)
King C. Gillette ist bekannt für die Erfindung der Einwegrasierklinge. Im Jahr 1901 gründete er „The Gillette Company,“ basierend auf seiner Geschäftsidee, einen Wegwerfartikel des täglichen Gebrauchs herzustellen. Bis zu seiner Erfindung war nämlich die tägliche Rasur für Männer eine Qual: stumpfe Messer und Schnittwunden gehörten zum Alltag. Mit seiner Erfindung hat Gillette nicht nur dieses Problem dauerhaft gelöst, sondern gleichzeitig einen Bedarf für etwas vollkommen Neues geschaffen, etwas, das es bis dahin noch gar nicht gab. So ist es rückblickend kein Wunder, dass die US-Regierung bereits im Jahr 1917 für die im 1. Weltkrieg kämpfenden Soldaten 3,5 Millionen Apparate (Halterungen) und 36 Millionen Klingen bestellte.

Eric Favre, 2008; Bild von Lift Conference lizenziert unter Creative Commons Attribution-ShareAlike 2.5 Switzerland License.
Eric Favre ist weniger bekannt als die beiden zuvor Erwähnten. Doch auch wenn seinen Namen nur wenige Menschen kennen – seine Erfindung kennt jeder, denn sie wird weltweit täglich millionenfach benutzt. Er hat nämlich die Ansätze von Rockefeller (Umsatz durch Nachkäufe) und Gillette (Wegwerfartikel des täglichen Gebrauchs) kombiniert: mit der Erfindung von Nespresso im Jahr 1976. Wie gut dieses Geschäftsmodell funktioniert, beweist die Marke Nespresso eindrucksvoll. In ihren aufwändigen produzierten Werbespots treten Hollywood-Stars wie George Clooney und John Malkovich auf und ihre Ladengeschäfte liegen weltweit in den 1A-Lagen der Innenstädte und Einkaufszentren.
Welche Parallelen gibt es nun zwischen den Geschäftsmodellen von Rockefeller, Gillette und Favre und unseren Apotheken? Zunächst einmal stillen auch Apotheken einen Bedarf des täglichen Gebrauchs, insbesondere bei chronisch kranken Patienten. Denn diese nehmen ihre Medikamente in der Regel täglich. Außerdem haben Apotheken bei Chronikern die Chance, Umsätze durch Nachkäufe zu generieren, denn diese Patientengruppe ist auf eine lückenlose Versorgung mit Nachschub angewiesen. Als erstes Zwischenfazit kann man also festhalten: was ihr ursprüngliches Geschäftsmodell betrifft, so stehen Apotheken schon heute in der Pole-Position.
Jedoch zeichnen sich neue Technologien ab, die das Potential haben, die Karten in der Arzneimittelversorgung neu zu mischen. Eine Technologie, die man dabei im Auge behalten sollte, ist der 3D-Druck. Welche Auswirkung hätte es wohl für die Apotheke vor Ort in ihrer heutigen Form, wenn jeder Patient Arzneimittel aus dem eigenen 3D-Drucker selbst drucken könnte? Die hierfür benötigten Chemikalien und Stoffe kann man sich schon heute im Fachhandel besorgen. Und bereits vor über einem Jahr berichtete Spiegel Online über einen Durchbruch beim 3D-Druck von Medikamenten.

3D-Drucker im Einsatz
Was würden wohl die Herren Rockefeller, Gillette und Favre machen, wären sie heute Apotheker in Deutschland? Rockefeller würde den Menschen vermutlich die 3D-Drucker zum Selbstkostenpreis verkaufen, wenn er sich gleichzeitig exklusive Lieferverträge mit den wichtigsten Herstellern von Rohchemikalien sichern kann. Gillette wiederum würde die am häufigsten vorkommenden Chemikalienkombinationen als Einmal-Konfektionen für gängige 3D-Drucker anbieten. Und Favre? Nun, dessen Arzneimittel-Drucker wäre garantiert ein absolutes Lifestyle-Produkt, das optisch perfekt in jede Wohnung passt. Die Software zur Steuerung des 3D-Drucks würde das Genom jedes Patienten, seine Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten individuell berücksichtigen und beim Druck der Arzneimittel mit einkalkulieren. Und der Druck der Arzneimittel wäre ein Erlebnis für sich: das schichtweise Auftragen der Substanzen bis zur endgültigen Form der Pille würde zelebriert und von stimmungsvoller Musik untermalt werden. Natürlich verlangt so ein Premium-Produkt wohnortnahe, hervorragende und kompetente Beratung in vertrauensvoller Atmosphäre. Deswegen würde es die „Nespresso-Arznei-Kapseln“ mit den Chemikalien für diesen 3D-Drucker exklusiv in der Apotheke vor Ort geben.
Natürlich war im letzten Absatz eine gehörige Portion Phantasie im Spiel. Das ist auch gut so, denn jedes innovative Geschäftsmodell und jeder Wandel hat seinen Ursprung in einer Vision, in einem Blick über den Tellerrand. Und eines ist sicher: es bleibt auch in Zukunft spannend. Lassen Sie sich daher von Rockefeller, Gillette und Favre inspirieren! Oder, um diesen Beitrag mit einem Willy Brandt zugeschriebenen Zitat zu beenden:
„Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“



[…] für die Tabletten nur in der Apotheke bestellt werden können – nun, dann hat man das Nespresso-Prinzip perfekt auf die Apotheke […]
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[…] bis Samstag, den 14.03.2020. Letztes Jahr durfte ich auf der Interpharm in Stuttgart noch einen Vortrag halten, dieses Jahr kommen mir leider andere Termine dazwischen. Auch hier wird das Vortragsforum […]
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[…] dass die beste Kombination immer noch die aus App und Pillendose ist. Wäre Eric Favre, der Erfinder von Nespresso, ein Apotheker, so würde er seinen chronisch kranken Patienten das Pillendöschen sicher schenken. […]
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