Wenn Sie das nachfolgende – nicht ganz fiktive – Zitat lesen und sich mit der darin getroffenen Aussage identifizieren können, dann ist die Chance sehr groß, dass Sie in einer Apotheke arbeiten oder beruflich viel mit Menschen zu tun haben, die in einer Apotheke arbeiten. Wobei man davon ausgehen kann, dass es ähnliche bis identische Zitate von Menschen aus Arztpraxen, Kliniken oder Pflegediensten gibt.
„Ich bin wirklich frustriert, wenn jemand sagt: ‚Du redest doch den ganzen Tag mit Leuten, also kannst du dich doch unmöglich einsam fühlen, oder?‘ Um ehrlich zu sein, finde ich die Arbeit in einer Apotheke sehr isolierend. Es ist nicht so, dass ich nach Hause gehen und mit Freunden oder der Familie über meine Kunden sprechen kann oder wie ich mich gefühlt habe, als diese mir ihre Probleme geschildert haben. Denn leider fällt das unter die Schweigepflicht. Klar, könnte ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen, doch unsere Personaldecke ist so dünn, dass wir gerade mal Zeit haben, zwischendurch einen Schluck Wasser zu trinken oder auf die Toilette zu gehen. Daher würde ich sagen, dass ich mich fast jeden Tag der Woche einsam fühle.“

Auf Sozialen Medien erzählen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten immer häufiger von Sinnkrisen und Überlastung in einem Beruf, den sie eigentlich lieben. Und viele Inhaber von Apotheken sehen die Selbständigkeit zunehmend als Belastung denn als Freiheit.
Dabei kommt es insbesondere bei Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, überraschend häufig vor, dass sie sich einsam und isoliert fühlen. Dieses Problem wird nicht nur schlecht erkannt, sondern auch häufig vor anderen verborgen und gerne lapidar als unbedeutend und vorübergehend trivialisiert. Dabei gibt es genügend Untersuchungen die verdeutlichen, dass Einsamkeit der Gesundheit und dem Wohlbefinden schaden kann. Außerdem kann sie zu einer verminderten Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz führen. Und spätestens hier wird es in mehrerlei Hinsicht gefährlich, denn schließlich verlassen sich nicht nur Patientinnen und Patienten auf den apothekerlichen Rat, was die Einnahme ihrer Arzneimittel betrifft, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Apotheke schätzen einen sicheren Arbeitsplatz mit einer ausgeglichenen Atmosphäre sehr. Die anspruchsvolle Natur des Apothekerberufs mit hohen Burnout-Raten, beruflicher Isolation und Angst vor Stigmatisierung, wenn man sich doch auf die Suche nach Hilfe macht, können die Gefühle der Einsamkeit am Arbeitsplatz hingegen nur noch weiter verstärken.

In Australien hat aus diesem Grund die Apothekerin Jenny Kirschner das Netzwerk PALS (pharmacy addressing loneliness & social isolation) gegründet. Als selbst Betroffene hält sie Vorträge darüber, wie man Einsamkeit bei seinen Mitmenschen erkennen kann. Sie veröffentlicht regelmäßig Fachartikel, beispielsweise über die negativen Auswirkungen von Einsamkeit auf die Adhärenz von Patienten. Über den Rückschlag, denn die Covid-19-Pandemie für ihren jahrelangen Einsatz hin zu mehr Verständnis über das Wesen der Einsamkeit bedeutet hat. Aber auch über digitale Tools, die der auch hier vulnerabelsten Gruppe, den Älteren, helfen können, wieder Anschluss an unsere Gesellschaft zu finden. Ihr Englisch muss nicht fließend sein, um Teil der Community von Jenny Kirschner zu werden – am besten vernetzen Sie sich auf LinkedIn direkt mit ihr oder mit dem PALS-Netzwerk und helfen mit, das Bewusstsein für Einsamkeit auch bei uns zu schärfen.
Dabei sollte es, wie so oft, um mehr als nur die Patienten gehen. Klar, wer seine Kunden auch hierzu gut beraten kann, hat ein weiteres Ass im Ärmel. Das schadet nie. Es geht aber auch um Selbstfürsorge. Selbstfürsorge gibt Stabilität, denn sie sichert uns innerlich ab und schützt uns, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden. Das ist keineswegs egoistisch, sondern für einen selbst, die eigene Gesundheit, das eigene Leben aber auch für die eigene Umgebung nur zum Besten. Wer nicht mehr kann, knickt irgendwann ein und dann ist der Schaden sowohl für den Arbeitsplatz als auch für den privaten Bereich groß. Viel größer, als er je sein könnte, wenn man sich rechtzeitig Hilfe gesucht hätte. Denn ist man erst einmal von der Last erdrückt, dann läuft meistens gar nichts mehr.

Defniert wird Einsamkeit als
Ein subjektiv unangenehmes oder belastendes Gefühl fehlender Verbindung zu anderen Menschen, verbunden mit der Lust auf mehr, oder befriedigenderen, sozialen Beziehungen.
Quelle: https://palsglobalnetwork.com/
Um herauszufinden, ob man selbst oder ein nahestehende Person einsam ist, bietet sich die Loneliness Scale der University of California in Los Angeles (UCLA) an. Sie ist ein häufig verwendetes Maß für Einsamkeit. Ursprünglich 1978 als 20-Punkte-Skala veröffentlicht wurde sie seitdem mehrfach überarbeitet und kann beispielsweise unter diesem Link auch Online durchgeführt werden. Mein eigener Wert liegt aktuell übrigens bei 32 auf dieser Skala – alles unter einem Wert von 43 wird als nicht unmittelbar von Einsamkeit bedroht gewertet.
Achten Sie also bitte auf sich und die Menschen, die Ihnen nahestehen. Informieren Sie sich auf den hier verlinkten Quellen und helfen Sie dabei, Einsamkeit zu entstigmatisieren. Mit dem Abebben der Covid-19-Pandemie wird immer mehr sichtbar, dass wir auch an einer Einsamkeitspandemie leiden. Und auch wenn Soziale Netzwerke uns dabei helfen, uns mit Gleichgesinnten zu vernetzen, so sind sie doch auch Teil des Problems, weil sie Interaktionen in den virtuellen Raum verlagern, der nicht immer optimal für den zwischenmenschlichen Austausch ist.

Nicht zu guter Letzt ist der Kampf gegen die Einsamkeit auch ein Kampf für mehr Nachhaltigkeit. Ziel 3 der 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen (UN) lautet „Gesundheit und Wohlergehen.“ Dieses SDG 3 konkretisiert das Ziel des Erhalts und der Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit und der Vermeidung vorzeitiger Todesfälle. Dazu gehört auch die Eindämmung von Kollateralschäden durch Einsamkeit. Ein häufig hierfür angewandtes Mittel ist das sog. „Social Prescribing.“ Darunter versteht man folgenden innovativen Ansatz, um gesundheitsrelevante, nichtmedizinische Bedürfnisse in der Versorgung systematisch zu adressieren, indem Patientinnen und Patienten ganzheitlich betrachtet werden: werden also solche gesundheitsrelevanten, nichtmedizinische Bedürfnisse festgestellt, so sollen die damit befundeten Menschen an eine entsprechend ausgebildete Fachkraft vermittelt werden. Diese Fachkraft arbeitet dann mit den Patientinnen und Patienten heraus, was für diese von Bedeutung ist und vermittelt sie ihrerseits weiter an passende regionale Angebote (z. B. Seniorentreff, Theater, Schuldnerberatung). Daher ist Netzwerkmanagement, d. h. der Aufbau und die Pflege von Kooperationen mit Beratungseinrichtungen, Vereinen und weiteren gesundheitsfördernden Initiativen ein weiteres wichtiges Element dieses Nachhaltigkeits-Ansatzes, der in Österreich sogar staatlich gefördert wird. Und wer könnte hierfür wiederum besser geeignet sein, als die Apotheken vor Ort?