
Bild (c) Museu da Farmácia (via Facebook)
In Portugal nennt man ihn auch den „Indiana Jones der Apotheken“ – João Neto, den Direktor des „Museu da Farmácia„, des portugiesischen Apothekenmuseums mit Standorten in Lissabon und Porto. Mitte Juni hatten ein Kollege und ich das außerordentliche Vergnügen, von ihm persönlich durch das Museum geführt zu werden. João spricht ein gepflegtes Englisch mit leicht britischem Einschlag, so dass wir ihm jederzeit gut folgen konnte. Und das ist gut – denn er kann wirklich zu jedem Ausstellungsstück eine spannende Geschichte erzählen, wodurch der Vormittag zu einem der kurzweiligsten wurde, den ich jemals in einem Museum hatte. Eigentlich – und so fing er die Führung an – ist das Apothekenmuseum nämlich auch gar kein Museum der Apotheke. Es ist ein Museum der Gesundheit. Und an der Gesundheit seien wir Menschen ja schließlich schon immer interessiert gewesen.
Das leuchtet einem schnell ein, wenn man die Treppe zur Hauptausstellung hinauf steigt. Vor einer Leinwand mit sehr realistisch gemalten Steinzeitmenschen stehen dort drei der ältesten Ausstellungsstücke. Darunter diese versteinerten Blätter auf einem Stein (s.r.), der auf der Oberseite flach ist. Sie sind 1,6 Millionen Jahre alt. Entfernte Vorfahren von uns haben Blätter wie diese bereits auf Steinen zerrieben und zerstossen, um die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe freizusetzen und zur Heilung ihrer Mitmenschen (oder Mit-Neanderthaler?) zu verwenden. Auch die anderen Exponate aus der Steinzeit dokumentieren die hohe Bedeutung, welche die Erhaltung und Förderung der Gesundheit schon seit Bestehen der Menschheit eingenommen hat.
Geht man von dort aus weiter, sind wir – in erdgeschichtlichen Epochen betrachtet – schon fast in der Gegenwart. Aber anders als heute benötigten die Menschen im alten Ägypten aber noch keine Halbgötter in weiß, um wieder gesund zu werden. Damals mussten die Heilberufler noch Hand in Hand mit echten Göttern arbeiten, um die Menschen zu kurieren. Krankheiten galten dort als göttliche Strafe, die durch dämonische Besessenheit ausgelöst werden konnte und nur durch Gebete und göttlichen Beistand geheilt werden konnten. Oder die Krankheit hatte eine natürliche Ursache – dann konnten magische Handlungen oder Medikamente, die von einem speziell hierfür ausgebildeten Priester hergestellt wurden, Abhilfe schaffen.
Aus mesopotamischer Zeit findet sich dann ein paar Schritte weiter das erste noch erhaltene Rezept. In Keilschrift wird dort auf einer Tontafel die heilende Wirkung von Bier beschrieben – und wie man es herstellt. Die korrekte Herstellung und Verabreichung von Heilmitteln hatte also schon in der Gesellschaft vor 3.500 Jahren einen so hohen Stellenwert, dass man sich nicht auf mündliche Überlieferungen verlassen wollte, sondern auf das damals modernste und sicherste Speichermedium zurück gegriffen hat. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass einer unserer USB-Sticks in 3.500 Jahren in irgend einem Museum landen wird.
Grundsätzlich wird im Museum immer wieder die Überlieferung von tradiertem Wissen gezeigt. So wird im Bereich aus der arabischen Welt eine von dem persischen Universalgelehrten Avicenna verfasste Abschrift gezeigt. Dieses Manuskript ist gute 1.000 Jahre alt. Ich wollte es erst selbst nicht glauben, aber João bestätigte mir dies auf Nachfragen. Interessant dabei ist, dass Avicenna Krankheiten auf natürliche Ursachen zurückführt (und somit deren grundsätzliche Heilbarkeit durch Arzneimittel bestätigt) und somit der göttliche Einfluss auf den Gesundheitszustand eines Menschen erstmals in den Hintergrund gerät. In Europa hat sich diese Erkenntnis erst 700 Jahre später durchgesetzt.
Noch etwas später, genauer im Jahr 1928, entdeckte Alexander Fleming zufällig, wie eine bestimmte Pilzart das Wachstum von Bakterien hemmte – was zur Entdeckung des Penicillins führte und den modernen Antibiotika den Weg bereitete. Ein Quantensprung in der medizinischen Versorgung, für den Fleming im Jahr 1945 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Eine seiner Pilzkulturen ist in ihrer originalen Petrischale, die Sir Alexander Fleming auf der Rückseite sogar unterschrieben hat, ebenfalls in Lissabon ausgestellt. Damit man diese gut erkennen kann, befindet sich hinter der Petrischale ein Spiegel (s.r.)
Natürlich haben wir in der oberen Etage der Ausstellung noch viele weitere interessante Artefakte gesehen. Egal ob im alten Griechenland oder Rom, im Mittelalter während der Pest oder zu Zeiten der spanischen Conquistadores in Südamerika – Gesundheit spielte zur jeder Epoche eine wichtige Rolle und die Fortschritte, die wir heute als selbstverständlich erachten, wurden über viele Generationen hinweg durch Forschung, Entdeckergeist und manchmal auch ein wenig Glück erzielt.
In der unteren Etage finden sich, ähnlich wie im Deutschen Apothekenmuseum im Heidelberger Schloss, dann noch komplette Offizineinrichtungen aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen: traditionell chinesisch oder aus dem Portugal des 19. Jahrhundert. Und hier findet sich dann endlich auch das Bindeglied zum Edikt von Cupertino: dieser PC, der im Jahr 1994 als erster Computer in einer öffentlichen Apotheke in Portugal in Betrieb genommen wurde. Diese Apotheke war der erste Ort, an dem die portugiesische Bevölkerung 20 Jahre nach der Nelkenrevolution einen Computer sah. Und das hat mich natürlich sehr an meinen eigenen Werdegang erinnert, über den ich vor einigen Wochen schon einmal geschrieben habe.
Auf dem Weg nach draußen kamen wir dann noch vorbei an Arzneimittelpäckchen, welche die NASA und Roskosmos ihren Astro- bzw. Kosmonauten mit auf die ISS gegeben hatten. Nach Ablauf des Verfalldatums hatte zuerst die NASA dem Museum ein solches Päckchen angeboten. Daraufhin, so João, genügte ein Anruf bei der russischen Botschaft, um das russische Gegenstück dazu ebenfalls ganz schnell zu erhalten.
Mit Blick auf den Computer aus dem Jahr 1994, den wir noch am Ende des Gangs sehen konnten, meinte er dann: „Unsere Aufgabe im Museum ist, es das zu bewahren, was uns wichtig ist. Computer nehmen uns immer mehr Aufgaben ab. Wir verlernen die einfachen Dinge. Damit das nicht passiert, gibt es uns.“
Eigentlich ist dem ist nichts hinzuzufügen. Bei aller Euphorie über die Digitalisierung und den damit verbundenen Chancen, die ich durchaus teile, sollten wir stets darauf achten, dass wir tatsächlich das bewahren, was wirklich wichtig ist: Menschliche Nähe, Empathie und Mitgefühl. Wenn ich in diesen Tagen Nachrichten schaue, weiß ich nicht, wieviel davon in dieser Welt noch übrig ist. Falsch eingesetzte Digitalisierung hat das Potential, diesen Negativtrend zu unterstützen. Meine Aufgabe als Vater, als Führungskraft und als Mensch sehe ich darin, die mir wichtigen Werte an diejenigen weiter zu geben, die bereit sind, sie anzunehmen. Besuche, wie der im Apothekenmuseum, helfen mir dabei, mich darauf zurück zu besinnen.






… einige weitere Impressionen …
Hier noch ein Link zu einem Interview mit João aus dem Jahr 2010 in portugiesischer Sprache.
[…] Kraft niemals von der neuen Technologie aus. Sondern von uns Menschen. Die medizinische und gesundheitliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte kann mit Hilfe der Digitalisierung weiter voran getrieben werden. Hierzu braucht es Menschen, die […]
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[…] mit Antibiotika eine Utopie – heute ist sie banaler Alltag, der unzähligen Menschen seit der Entdeckung des Penicillins das Leben gerettet hat. Gestalten wir also die Veränderung im digitalen Zeitalter mit offenen […]
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[…] nicht von außen über unsere gesamte Branche gestülpt wird. Wenn uns das gelingt, können wir die Werte bewahren, die uns wichtig sind, und bleiben – wenn auch nicht faktisch – so doch zumindest unverzichtbar in der Wertschätzung […]
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[…] wir doch nur einmal die medizinischen Fortschritte der letzten 100 Jahre: meinen Sie, ein Arzt aus dem Jahr 1900 hätte ernsthaft geglaubt, dass potentiell tödliche Entzündungen durch Pinselschimmel geheilt […]
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[…] Umfeld zusammensetzt. Fertigarzneimittel? Sie werden uns bald so anachronistisch vorkommen, wie die Apothekenutensilien aus dem Museum. Und natürlich werden die eben beschriebenen, genetisch individuellen Arzneimittel aus dem […]
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[…] wurde auf einmal bewusst, dass Apotheker, genau wie er, ihren Beruf schon immer aus dem Bedürfnis und der Überzeugung heraus gewählt hatten, anderen Menschen helfen zu können. […]
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[…] einem steten Wandel. Ihm kann man sich nur stellen, indem man sich bewußt macht, welche Werte so wichtig sind, dass es sie zu bewahren gilt. Alles andere sind im besten Falle lediglich Glaubenssätze, Ballast, den man über Bord werfen […]
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[…] stetigen Verbesserung basiert ja gerade darauf, das, was ohnehin schon da ist, zu verbessern. Damit erhält sie das Bestehende zumindest im Kern. Innovationen, die nicht in das Raster der vorhandenen Prozesse passen, werden […]
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[…] zu erlernen. Das Wissen rund um Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit von Menschen wurde über Jahrtausende gesammelt. Heute stehen wir wörtlich auf den Schultern von Giganten. Viele der Behandlungen, Methoden und […]
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