Das Auto – die ultimative Schnittstelle zum Patienten

Anfang Februar war ich mit meiner Familie über das Wochenende in München. Von unserem Wohnort in der Pfalz liegt die Fahrtzeit mit dem Auto für die gut 380 Kilometer lange Strecke je nach Verkehrslage irgendwo zwischen dreieinhalb und sechs Stunden. Auf dem Rückweg, wir waren seit knapp drei Stunden unterwegs und uns fehlten noch ungefähr 50 Kilometer bis nach Hause, meldete sich auf einmal das Auto mit einem Warnton. Im Display erschien eine große Kaffeetasse und die folgende Frage wurde eingeblendet: „Möchten Sie eine Pause machen?“ Als Optionen wurde mir angeboten, mir entweder „Haltemöglichkeiten anzeigen“ zu lassen oder die „Nachricht schließen.

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Anzeige im Display meines Autos

Mein Fahrstil hatte also mein Auto zu dem Schluß veranlasst, dass ich müde sei. Bei der nächsten Gelegenheit habe ich mich informiert, wie das denn eigentlich funktioniert. Kurz zusammengefasst werden zu Beginn jeder Fahrt von den Assistenzsystemen im Auto einige Parameter analysiert: insbesondere das Lenkverhalten, aber auch die Pedalbewegungen und das Blinken fließen dabei in die Berechnung mit ein. Mit zunehmender Dauer der Fahrt werden nun diese Parameter neu berechnet und mit den ursprünglichen Werten abgeglichen. Weicht das aktuelle Fahrverhalten dann zu stark vom Ausgangswert ab, erfolgt die Warnung. So richtig neu sind diese Fahrassistenten übrigens auch gar nicht mehr – nur habe ich es an diesem Sonntag im Februar zum ersten Mal am eigenen Leib erlebt. Denn hätte mich jemand gefragt, ob ich müde bin – ich hätte (natürlich) verneint.

Wenn man sehr viele Assistenzsysteme im Auto hat, sind diese zwar noch keine echten selbstfahrenden Autos, aber setzt man genügend von ihnen ein, hat man den Autopiloten. Dabei handelt es sich um eine Eigenschaft des Herstellers Tesla, die es einem Auto erlaubt, selbst zu steuern, zu bremsen, zu beschleunigen und zu lenken – ideal also für lange und monotone Autobahnstrecken. Diese Funktion ist umstritten, nachdem es in den USA in den letzten Jahren zwei tödliche Unfälle mit dem Autopiloten von Tesla gab. Aber dass er auch Leben retten kann, ist ebenfalls dokumentiert: der Anwalt Joshua Neally erlitt im Juli 2016 während der Heimfahrt von der Arbeit eine Lungenembolie und konnte dem Autopiloten seines Fahrzeugs gerade noch auftragen, die in über 30 Kilometern entfernte, nächstgelegene Notaufnahme anzusteuern, bevor er im Auto das Bewusstsein verlor. Sein Auto steuerte das Krankenhaus an und Neally wurde aus akuter Lebensgefahr gerettet. Natürlich hat ihm das Auto alleine nicht das Leben gerettet – das waren am Ende die Ärzte – aber hätte er es ohne den Autopiloten noch rechtzeitig in die Notaufnahme geschafft?car-2692593_1280

 

Aber Fahrassistenzsysteme zur Erhöhung der Sicherheit und Autopiloten sind nur der Anfang. Bereits im März 2017 berichtete die New York Times über die Firma Plessey Semiconductors, die ein neues, auf Herzfrequenz basierendes Überwachungssystem für Fahrerwarnfunktionen entwickelt hat. Dabei werden eine Reihe von Sensoren ohne direkten Hautkontakt verwendet, um Änderungen des elektrischen Potentials im menschlichen Körper zu erkennen. Einfach und diskret in die Sitzlehnen des Fahrzeugs eingebaut, kann so auf biometrische Signale zugegriffen und frühzeitig auf Müdigkeit oder Gesundheitsprobleme hingewiesen werden.

Der letzte Halbsatz hat es in sich: „… oder Gesundheitsprobleme …“ Denn den Automobilherstellern und ihren Zulieferern geht es schon längst nicht mehr nur um die unmittelbare und akute Vermeidung von Unfällen. Transparency Market Research hat im Juli 2018 einen Bericht veröffentlicht, in dem prognostiziert wird, dass der globale Markt für aktive Gesundheitsüberwachungssysteme in Kraftfahrzeugen bis 2026 um 67% steigen wird. Gestützt wird diese These von zwei plausiblen Annahmen: zum einen der Zeit, die vor allem berufstätige Menschen im Auto verbringen und zum anderen der hohen Anzahl an Autofahrern, welche unter Übergewicht, Diabetes und anderen chronischen Krankheiten leiden, die wiederum deren Fahrsicherheit beeinträchtigen können. Es ist absehbar, dass bald nicht nur der Autositz, sondern weitere, an vielen Stellen im Fahrzeug angebrachte Sensoren den Puls, den Blutzuckerspiegel oder den Blutdruck überwachen werden. Initiativen hierzu werden nämlich bereits u.a. von Audi, BMW, Ford, Mercedes, Volkswagen und Volvo durchgeführt und es ist unwahrscheinlich, dass der Rest der Automobilindustrie hier nicht nachziehen wird.heart-214013_1920

Die Auswirkung dieser Entwicklungen wird für alle Heilberufe massiv sein. Sobald die relevanten Gesundheitsdaten im Auto erfasst (und hoffentlich auch gespeichert) werden, wird das Auto zum primären Ort der Diagnose. Ärzte brauchen Zugriff auf die Vitaldaten aus dem Fahrzeug. Und auch Apotheker müssen in den Informationsfluss, der in Zukunft von den Autos ausgehen wird, unbedingt mit eingebunden werden. Häufig ist für viele Patienten die Apotheke nämlich immer noch die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen. Dort bekommt man fundierte und kompetente Beratung zu Gesundheitsthemen ohne dass es eines Termins mit entsprechenden Vorlaufzeiten bedarf. Und dann sind da auch noch die Notdienste, wenn es mal akut und/ oder eilig ist.

Und spätestens bei den Notdiensten wird klar, wie viel Handlungsbedarf noch besteht. Testen Sie es gerne einmal selbst, wenn Sie das nächste Mal nachts mit dem Auto unterwegs sind: lassen Sie sich von Ihrem Navigationssystem, egal ob im Auto integriert oder übers Smartphone, zur nächsten Notdienstapotheke leiten. Dumm gelaufen – beide Systeme kennen diese nämlich gar nicht. Und jetzt stellen Sie sich einfach vor, Joshua Neally (der Anwalt, dem Tesla angeblich das Leben gerettet hat) hätte nicht in die Klinik müssen, sondern nur dringend einen Asthma-Spray aus der Apotheke benötigt. Auf sein Auto hätte er sich in dem Fall jedenfalls nicht verlassen können … door-speaker-959580_1920Abschließend noch zwei Anmerkungen zur Entstehung dieses Texts:

  1. beim Verfassen dieses Textes habe ich gerade versucht, mir von Siri, dem Sprachassistenten meines Handys, die nächste Notdienstapotheke anzeigen zu lassen. Gezeigt wurde mir die nächstgelegene Apotheke in meinem Wohnort – allerdings hat diese bereits vor vielen Jahren den Betrieb eingestellt. Bleiben also nur aponet.de oder die 0800/00 22 833, die man beide über Google schnell angezeigt bekommt. Dennoch müssen diese Informationen jetzt möglichst schnell in Sprachassistenten und Navigationssysteme integriert werden; in Notsituationen zählt jede Sekunde.
  2. in der Einleitung habe ich von der Müdigkeitswarnung in meinem Auto geschrieben. Das ist auf der Rückfahrt auch tatsächlich so geschehen, wie ich es beschrieben habe, nach drei Stunden Fahrtzeit. Da möchte ich nicht unterschlagen, dass auf der Hinfahrt meine Frau am Steuer saß. An einem Freitagnachmittag, mit insgesamt sechs Stunden Fahrt inklusive Stau und Umleitungen, also wirklich anstrengend. Nur eine Müdigkeitswarnung hat sie, im Gegensatz zu mir, nicht bekommen …