Mein Kollege, der Chatbot

„Guten Morgen, Alexa,“ sage ich, als ich die Apotheke um 7:45 Uhr aufschließe.

Guten Morgen,“ erwidert die freundliche Computerstimme des kleinen Sprachassistenten, der seit einiger Zeit in meiner Apotheke steht. „Heute wird es wieder sehr heiß werden, Du solltest für Dich und das Team noch genügend Wasser kühl stellen. Die Klimaanlage habe ich bereits vor 20 Minuten gestartet, damit die Temperatur auch den ganzen Tag über unter 25 Grad bleibt.

Nicht schlecht, überlege ich, da hat jemand mitgedacht. Ich schaue zum Telefon und sehe, dass das rote Lämpchen blinkt, welches Nachrichten auf dem Anrufbeantworter signalisiert.

„Alexa, spiele bitte die Mailbox ab.“

Vom Band ertönt die Stimme der PKA. „Ja, hallo Chef, ich bin’s. Mein PCR-Test ist leider positiv und ich muss mindestens fünf Tage in Isolation. Am Freitag versuche ich, mich freizutesten.“

Na großartig! In zehn Minuten muss ich vorne aufsperren, weil die ersten Kunden kommen. Also fange ich an, die Ware aus der Nachtsendung in das Einlagerungsband des Kommissionierautomaten zu schütten, damit dieser eventuell für Kunden nachbestellte Artikel bereitlegen kann. Doch bereits nach der fünften Packung, die eingelagert wird, meldet sich mein Sprachassistent erneut zu Wort.

Der Einkaufspreis von Ibuprofen 400 hat sich geändert. Möchtest Du den Verkaufspreis neu kalkulieren?

„Ja,“ antworte ich. Ich habe ja schließlich kein Geld zu verschenken.

Der neue Verkaufspreis beträgt 3,87 Euro,“ teilt mir mein Chatbot mit.

„Alexa, bitte den Preis aufrunden,“ sage ich.

Der neue Verkaufspreis beträgt 3,95 Euro,“ ertönt es aus dem Lautsprecher.

Ich schütte zwei weitere Wannen des Großhandels in die Einlagerung. Inzwischen ist es kurz vor 8 Uhr und die PTA kommt über den Hintereingang hinein.

„Guten Morgen, Alexa,“ sagt sie.

Guten Morgen,“ erwidert der Sprachassistent. „Dein Kaffee ist in einer Minute fertig.

Die PTA schaut mich an und freut sich, dass der Kaffee, den sie braucht, um morgens richtig in Schwung zu kommen, immer frisch gebrüht ist, seitdem wir den Sprachassistenten mit den Geräten in der Apotheke gekoppelt haben. Da meldet dieser sich erneut.

Der Einkaufspreis von Prospan hat sich geändert. Möchtest Du den Verkaufspreis neu kalkulieren?

Wieder sage ich ja und lasse erneut anschließend den Verkaufspreis aufrunden. Ich schicke die PTA nach vorne, um die Tür aufzuschließen. Kurze Zeit später kommt sie zurück ins Backoffice und erzählt mir, dass Frau Schmidt bereits vorne im Handverkauf stehe. Für sie habe gestern ein Arzneimittel nachbestellt werden müssen

„Alexa, in welcher Wanne befindet sich die Bestellung von Frau Schmidt,“ frage ich.

Das kann ich nicht sagen, diese Information liegt mir nicht vor,“ ertönt die Antwort. Obwohl ich das schon mehrfach bei meinem Softwareanbieter und beim Großhandel angemahnt habe, ist diese Information immer noch nicht in die neueste Version der MSV3-Schnittstelle integriert. Schade.

Also bitte ich meine PTA, Smalltalk mit Frau Schmidt zu machen, bis ich das bestellte Arzneimttel in den verbleibenden Wannen gefunden habe. Denn so richtig viel ist ja noch nicht eingelagert worden. Gerade als ich anfangen will, die erste Wanne zu durchwühlen, meldet sich wieder der Sprachassistent.

Der Einkaufspreis von Fußcreme Urea 10% hat sich geändert. Möchtest Du den Verkaufspreis neu kalkulieren?

Ja leck mich doch am Arsch, denke ich, sage aber „ja.“

Der neue Verkaufspreis beträgt 9,73 Euro.

„Alexa, bitte den Preis aufrunden.“

Der neue Verkaufspreis beträgt 9,79 Euro.

Nach wenigen Minuten finde ich den Artikel von Frau Schmidt in der dritten Wanne. Ich bringe ihn an die Kasse zur PTA. Als sie ihn scannt, höre ich die Stimme des Chatbots im Backoffice und lausche.

Der Einkaufspreis des Artikels hat sich geändert. Möchtest Du den Verkaufspreis neu kalkulieren?

Die PTA und ich schauen uns an. Dann gehe ich nach hinten und nehme den Sprachassistenten vom Strom, während sie Frau Schmidt, unserer Stammkundin, den Artikel zum bisherigen Preis verkauft. Alles andere hätte Frau Schmidt sicher nicht verstanden. Als die Kundin die Apotheke wieder verlassen hat, schauen die PTA und ich uns an.

„Immerhin ist das mit dem Kaffee schon ganz schön praktisch,“ sagt die PTA mit einem schelmischen Lächeln.

„Absolut. Aber wenn ich Alexa jetzt nicht ausgeschalten hätte, wäre ich durchgedreht,“ antworte ich.

Mein Handy klingelt. Ich ziehe es aus der Hosentasche und sehe eine Benachrichtigung von Facebook. Sofort lasse ich mir den Post anzeigen. Nach einer Minute merke ich, wie die PTA mich entgeistert anstarrt.

„Chef, merkst Du eigentlich, dass Du dabei bist, die Kontrolle komplett an digitale Geräte abzugeben?“

Ich überlege kurz und merke, dass sie recht hat. In dem Moment, in dem man sofort dem Drang nachgibt, die digitale Welt vor die analoge zu stellen, sollte man innehalten und überlegen, ob man noch die richtigen Prioritäten hat.

Seit diesem Vorfall darf der Sprachassistent gerne die Klimaanlage und die Kaffeemaschine steuern. Den Rest machen wir gemeinsam im Team – selbstbestimmt und mit gesundem Menschenverstand. Wir haben seitdem vermutlich den ein oder anderen Verkaufspreis nicht nachkalkuliert. Aber dafür diktiert uns unser Kollege, der Chatbot, auch nicht mehr unseren Tagesablauf …