„KÜNSTLICHE INTELLIGENZ – WELCHE JOBS SIND GEFÄHRDET?“ So betitelte kürzlich meine regionale Tageszeitung einen Artikel über die neuen Tools wie ChatGPT, Midjourney oder DALL-E, allesamt Vertreter von generativer Künstlicher Intelligenz, die – wie der Name vermuten lässt – extrem gut darin sind, Texte oder Bilder zu generieren.

Überraschender Weise sind diesmal auch kreative Berufe (oder vermeintlich kreative) betroffen. Copytexter zum Beispiel, die bislang die Beschreibungen für Kataloge oder Online-Shops übernommen haben oder Bildbearbeiter … sie alle bekommen Konkurrenz durch generative KI, gegen die sie auf lange Sicht nicht werden gewinnen können. Das ist insofern interessant, als man lange dachte, dass Computer niemals in der Lage sein werden, so kreativ zu sein wie Menschen.
Aber dass neue Technologien in der Lage sind, alte Berufe zu verdrängen, ist doch eigentlich nichts Neues, oder? In der Antike gab es mehr Kutscher als heute und auch die Zunft der Armbrustbauer im Mittelalter hat unter der Erfindung des Schießpulvers vermutlich ein wenig gelitten. Aber genau darin liegt auch der Denkfehler in der Überschrift meiner Tageszeitung: denn alte Berufe wurden zwar marginalisiert, an ihre Stelle traten aber neue Berufszweige. So sind die Transport- und die Verteidigungsindustrie beispielsweise, um die Beispiele von eben aufzugreifen, zu riesigen Wirtschaftszweigen angewachsen. In ihnen gibt es viele neue Jobs, von denen unsere Vorfahren noch nicht mal zu träumen wagten. Oder glauben Sie, unsere Urgroßeltern hätten mit dem Begriff „Astronaut“ irgendetwas anzufangen gewusst? Berufsbilder ändern sich schon seit jeher kontinuierlich. Es gibt keinen Grund, warum das nicht auch in Zukunft so sein sollte.

Auch im Gesundheitswesen wird es neue Berufe, ja komplett neue Berufszweige geben. Vieles davon zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ab. Interessant wird jedoch, inwieweit die generative KI, die einen wahren Boom zu Beginn des Jahres 2023 erfahren hat, diese Trends beschleunigen wird. Um diejenigen Berufe, die neu entstehen werden, besser verstehen zu können, sollten wir vorab einen Blick darauf werfen, wie sich die aktuellen Berufsbilder vermutlich verändern werden. Exemplarisch möchte ich das an drei Sektoren kurz skizzieren.
- Beim Arzt: die Terminvergabe wird zunehmend automatisch erfolgen, Erinnerungen an Vorsorgeuntersuchungen und Überweisungen an Fachärzte samt Terminvereinbarung dort übernimmt ein auf KI basierendes Assistenzsystem. Patienten werden über ihr Gesundheitskonto oder ihre elektronische Patientenakte stets über alles auf dem Laufenden gehalten. Im Besprechungszimmer beim Arzt wird ein Sprachassistent mithören und bereits während des Gespräch sämtliche Informationen im Patientendossier festhalten. Verordnungen werden Ärzte in diesem Kontext nur noch aussprechen, das dazugehörige E-Rezept wird von der KI automatisch generiert, signiert und im entsprechenden Fachdienst der gematik abgelegt. Gleiches gilt für die Hinterlegung im Medikationsplan. Auch bei bildgebenden Verfahren läuft assistierend eine KI mit und sorgt so bereits bei jeder Erstuntersuchung für ein Vier-Augen-Prinzip.
- In der Apotheke: sobald die Vorteile überwiegen, wird sich das E-Rezept schnell etablieren. Die Medikation der Patienten wird ab diesem Moment im Hintergrund automatisch geprüft und Apotheker proaktiv auf Wechselwirkungen oder Unverträglichkeiten hingewiesen – selbst, wenn Teile der Arzneimittel in anderen Apotheken gekauft wurden. Auch in der Apotheke laufen Sprachassistenten mit, die Hinweise, Tipps und Tricks der Apotheker für den Patienten in leicht verständliche Sprache übersetzen und als Clips auf dessen Mobilgeräten speichern. So wissen Patienten stets, wann und wie sie ihre Arzneimittel einnehmen müssen. Betrachtet der Apotheker Anpassungen der Medikation oder Substitutionen als notwendig, so bespricht er dies mit dem Patienten. Bei dessen Einverständnis mit der Anpassung oder Substitution erfolgt eine automatische Korrektur samt Protokollierung und Kommunikation in Richtung Arzt.
- Pflegedienste: Sprachassistenten mit generativer KI werden auch hier jeden Besuch bei Klienten begleiten. Pflegekräfte besprechen mit ihren Klienten, welche Tätigkeiten durchzuführen sind. Die KI protokolliert all dies sprachlich und orthografisch korrekt für Abrechnung und Pflegedokumentation und erfasst auch die aufgewendete Zeit. Arzttermine, Folgerezepte oder auch Hilfsmittelbestellungen können durch einfache Kommandos an die Sprachassistenten ausgelöst werden und erfolgen zwischen den Systemen vollautomatisch und ohne weitere menschliche Intervention.

An diesen Beispielen wird klar, dass die neuen Systeme dafür sorgen könnten, dass in Gesundheitsberufen tätige Menschen weniger Aufwand für Dokumentation und Administration haben. Diese Aufwandsreduktion könnte einer von vielen Schlüsseln dafür sein, die prekäre Personalsituation in den genannten Berufsgruppen zu mildern. Entweder, weil dadurch mehr Menschen mit gleichem Aufwand versorgt oder weil mit weniger Zeitdruck gleich viele Menschen versorgt werden könnten.
Die generativen System müssten natürlich noch intensiv auf Fachsprache trainiert werden. Während Sprachassistenten wie Siri, Cortana, Google oder Alexa heute teilweise schon die meisten Arzneimittel korrekt erkennen und schreiben, wird es im medizinischen Bereich schon schwieriger. Ich jedenfalls habe es nicht geschafft, auf meinem Smartphone den Begriff „okklusive Diagnostik“ so zu diktieren, dass er fehlerfrei geschrieben wurde. Das sind aber genau die Hürden, die mit generativer KI gekoppelte Sprachassistenten noch nehmen müssen, um für die weiter oben geschilderten Zwecke tauglich zu sein. Danach wird es sehr einfach: immer, wenn auf eine Analyse, Befundung oder Diagnose zwangsweise ein konkreter weiterer Schritt erfolgen muss, wird dieser Schritt künftig nicht mehr von einem Menschen angestoßen. Bei zwangsweise folgenden Schritten können diese natürlich auch von bis dahin validierten und zertifizierten KIs erledigt werden. So lange, bis in der Kette an logisch aufeinanderfolgenden Schritten im Rahmen einer Behandlung wieder menschliche Intervention notwendig ist.

Generative KI wird also dafür sorgen, dass auch im Gesundheitswesen Mensch und Maschine weiter Hand in Hand arbeiten werden. Im Rahmen meiner begrenzten Phantasie fallen mir daher folgende Jobs ein, die es heute in dieser Form im Gesundheitswesen noch nicht gibt, die aber benötigen werden, damit die beschriebene Vision eines kooperativen Einsatzes von Heilberuflern und KI auch Realität werden kann:
- KI-Entwickler: so wie beispielsweise heute bereits händeringend nach Software-Entwicklern für Apotheken-Warenwirtschaften gesucht wird, die nicht nur technisch versiert sind, sondern auch die Prozesse in Apotheken kennen und verstehen, wird es schon sehr bald eine eine steigende Nachfrage nach Entwicklern von KI-Technologien geben. Diese müssen in der Lage sein, generative KI-Modelle für den Einsatz in den unterschiedlichsten Sektoren des Gesundheitswesens zu erstellen, zu optimieren und miteinander zu verknüpfen, damit bei der Datenübergabe von einem Sektor in den anderen keine Informationen verloren gehen oder gar falsch übermittelt werden.
- KI-Trainer: Unternehmen und Organisationen werden spezialisierte Mitarbeiter benötigen, die in der Lage sind, generative KI-Modelle für bestimmte Aufgaben zu trainieren und zu validieren, insbesondere im Bereich der Diagnostik und der Bildgebung. Sie müssen falsche und richtige Ergebnisse der KI kennzeichnen und sie so kontinuierlich verbessern. Dabei sollten sie vor allem darauf achten, dass Ergebnisse frei von eigenen Meinungen, Vorurteilen oder sonstigen ergebnisverfälschenden Faktoren sind, sondern möglichst neutral und allgemeingültig.
- KI-Auditoren: Da die Anwendung von KI im Gesundheitswesen eine Reihe von ethischen und rechtlichen Herausforderungen mit sich bringt, wird es notwendig sein, spezielle Mitarbeiter einzustellen, die die KI-Modelle überprüfen und deren Konformität mit den geltenden Gesetzen, Regulierungen und berufsständischen Standards gewährleisten. Da auch die Übermittlung von Daten in verschiedene Systeme eine wichtige Rolle einnehmen wird, müssen diese Auditoren auch in der Lage sein, einen Interessensausgleich mit dem Datenschutz herzustellen.
- KI-Integratoren: Unternehmen und Organisationen werden darüber hinaus in immer größerer Zahl Spezialisten benötigen, die in der Lage sind, KI-Technologien in die bestehende IT-Infrastruktur zu integrieren. Sie haben sicherzustellen, dass alle Systeme reibungslos miteinander interagieren. KI wird die aktuelle Systemlandschaft nicht von einem Tag auf den nächsten ersetzen. Vielmehr werden mehr und mehr Systeme, die auf generativer KI basieren, in die bestehenden Systeme integriert werden. Allenfalls Teile der alten IT-Struktur, die gar nicht mehr benötigt werden, können irgendwann einmal komplett abgeschafft werden. Um diese Entscheidung zu treffen, muss man sowohl technisch versiert sein, als auch die Geschäftsabläufe gut genug kennen. Die Rolle der Integratoren wird zentral für den Erfolg des Einsatzes von KI im Gesundheitswesen werden.
- KI-Manager: in allen Gesundheitsberufen werden Führungskräfte benötigt werden, die in der Lage sind, die KI-Technologien im Gesundheitswesen zu leiten, zu überwachen und weiterzuentwickeln. Sie müssen in der Lage sein, KI-Strategien aus einem heilberuflichen Selbstverständnis heraus zu entwickeln. Auch müssen sie sicherstellen, dass sie sowohl den Bedürfnissen ihres Unternehmens entsprechen, als auch den Anforderungen der Patienten. Sie sollten neben den generellen Fähigkeiten eines Managers auch noch ein tiefgehendes Verständnis für den disruptiven Wandel haben, der von generativer KI ausgeht.
Habe ich noch etwas vergessen? Fällt Ihnen noch ein Job ein, der fürs Gesundheitswesen der Zukunft unverzichtbar ist?
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