Diskussionen in Deutschland über die Digitalisierung der Gesundheitsbranche im Allgemeinen und der Apotheke im Besonderen waren jahrelang eher rein theoretischer Natur. In der Wirklichkeit blieb gefühlt alles beim Alten. Doch kaum brach das Jahr 2019 an, kam es Schlag auf Schlag: das e-Rezept wird von der Techniker Krankenkasse in Hamburg getestet, Amazon startet die Marketingkampagne für seinen 1-Milliarden-Einkauf PillPack und das Digitale Versorgung Gesetz sieht vor, dass Gesundheits-Apps vom Arzt verordnet und von der Krankenkasse erstattet werden können. Die digitale Apotheke – was gestern noch ausschließlich eine sehr aktive Facebook-Gruppe war, wird morgen schon alltägliche Praxis sein.

Die Digitalisierung hat inzwischen auch die Gesundheitsbranche erreicht
Digitalisierung bedeutet jedoch auch immer Veränderung – zwei der Haupttreiber der Veränderung sind die immer weiter verbreiteten Geräte und Sensoren einerseits, sowie andererseits die veränderte Erwartungshaltung der Kunden. Wearables, Kameras und Messgeräte, die vielerorts am Menschen oder in der Umwelt angebracht sind, sammeln und erheben permanent Daten. Somit enstehen Unmengen an Daten, die beispielsweise heute schon zu bestimmten Krankheiten verfügbar sind, wodurch Künstliche Intelligenz inzwischen in der Lage ist, Krankheiten teilweise besser diagnostizieren zu können als spezialisierte Fachärzte. Und auch der veränderten Kundenmentalität wird mit Technologie begegnet: um Wartezeiten zu eliminieren unterstützen Chatbots bei der Flugbuchung und Arzttermine werden in Echtzeit über Portale wie Doctolib gebucht. Na gut, in Deutschland finde ich meine Hausärztin tatsächlich (leider) noch nicht bei Doctolib – in Frankreich hingegen können Sie bei 98% aller Ärzte über dieses Portal Ihre Termine vereinbaren.
Wo bleibt da die Apotheke mit ihrem rein produktbasierten Geschäftsmodell? Insbesondere dann, wenn die Massenmedien auf die messbaren Erfolge von Digitalen Therapeutika aufmerksam werden und diese vermutlich sogar bald von den Krankenkassen erstattet werden. Von Apotheken hört und liest man in diesem Kontext nämlich verdächtig wenig – was umso irritierender ist, als doch gerade Apotheken noch immer die „letzte Meile“ zum Kunden abdecken und durch eine hervorragende Ausbildung ihrer Inhaber und Mitarbeiter höchste Beratungsqualität vorhalten.
In folgenden Bereichen sehe ich Handlungsbedarf, wenn der Berufsstand Apotheker nicht den Anschluss an die Digitalisierung des Gesundheitswesens verpassen will:
- Digitalkompetenz in der Selbstverwaltung. Eine klare Positionierung der Verbände darüber, was die Digitalisierung der Gesundheitsbranche für ihre Mitglieder bedeutet, wäre wünschenswert. Viele Apothekeninhaber können den Umfang dieses gesamtgesellschaftlichen Wandels nicht aus eigener Kraft erfassen und haben dadurch keine digitalen Elemente in ihrer Unternehmensstrategie verankert. Die Digitalisierung betrifft jedoch jede Apotheke vor Ort. Warum erarbeitet man nicht mit professionellen Strategieentwicklern gemeinschaftlich und chancenfokussiert den Rahmen für die Neuausrichtung des Berufs? Man könnte sich evtl. an der AMA (American Medical Association, die größte Standesvertretung der Ärzte und Medizinstudenten in den Vereinigten Staaten) ein Beispiel nehmen. Diese hat im April 2018 eine Zusammenarbeit mit dem Technologie-Giganten Google verkündet, um den Herausforderungen bei der Interoperabilität von Gesundheitsdaten gemeinsam zu begegnen. Was Daten betrifft, so ist Google sicherlich im Bereich von Auswertung und Anwendung weltweit führend. Wenn aber jemand anderes besser ist, als man selbst – was liegt da näher als die Zusammenarbeit? Die Zeiten, in denen jeder alles können muss, sind vorbei.
- Digitalkompetenz in der pharmazeutischen Ausbildung. Diese muss sich an eine Zukunft anpassen, die sich vom heutigen Status Quo in der Apotheke drastisch unterscheiden wird. Themen wie Datenanalyse, Verhaltensforschung und Kommunikation, digitale Biomarker oder das Internet of Things müssen in dieser an Bedeutung zulegen. Keiner erwartet einen ausgebildeten Informatiker am HV – aber die Basics müssen sitzen. Und auch diejenigen Apotheker, die bereits fest im Berufsleben stehen, sollten die Chance bekommen, anhand geeigneter und zertifizierter Fortbildungen eventuelle Lücken zu ihren jüngeren Kollegen zu schließen.
- Integration in die Prozesse. Echtzeit-Daten werden zum größten Schatz der digitalen Gesundheit werden. Die nächste Generation der Apotheken-Warenwirtschaft muss zwangsweise mehr können, als „nur“ die richtigen Packungen ans Lager zu legen und rechtzeitig an den Kunden zu bringen. Andernfalls lassen sich weder die Daten von digitalen Therapeutika in die Primärsysteme integrieren oder externe Tools wie zum Beispiel ein professionelles CRM daran anbinden. Die Prüfung der Adhärenz, die Verlaufskontrolle und die Betreuung der Patienten werden dadurch erschwert – und andere Player erschließen sich diesen Zukunftsmarkt.
- Vergütung. Sobald man es Apotheken ermöglicht, Daten zu erheben und ihnen somit auch die Verantwortung für diese Daten überträgt, sollte das auch angemessen vergütet werden. So könnte es, um nur ein Beispiel zu nehmen, für jeden Patienten, der eine App zur Entwöhnung des Rauchens vom Arzt verordnet bekommt, eine Vergütung geben. Und zwar für diejenige Apotheke, die gemeinsam mit dem Patienten die App installiert und anschließend den Erfolg nachhält. Also konkret: wie lange ist und bleibt der Patient Nichtraucher? Natürlich unterstützen dabei auch wieder Daten, und zwar diejenigen, welche die App selbst generiert. Wenn sich Apotheken gemeinsam mit der Pharmaindustrie, Start-Ups und den Technologieunternehmen genau darauf konzentrieren, liegt darin der größte Hebel, um weg von den Produkten und hin zum Full-Service-Dienstleister zu werden. Noch kann gerade dieser Bereich der digitalen Gesundheit mitgestaltet werden – Apotheken sollten sich also intensiv dafür einsetzen, ihre zukünftige zentrale Rolle in einem solchen Gesundheistssystem durch gezielte Lobbyarbeit nachhaltig zu festigen. Wenn die Apotheken es nicht tun, werden auch dies andere dankend übernehmen.
Im Bereich von Digitalen Therapeutika denkt die Pharmaindustrie schon heute jenseits von Pillen und Salben. Höchste Zeit also, dass wir auch damit anfangen.
Die Verbände als Vertretung der öffentlichen Apotheken sind letztendlich in der Pflicht, digitale Prozesse für ihre Mitglieder zu erfinden und nutzbar zu machen – und gemeinsam mit den Kammern die dazu notwendigen formellen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Eine ‚analog arbeitende‘ Clearingsstelle z. Bsp., die mit viel menschlichem Engagement Vertragsinhalte anhand von Excel-Tabellen checkt und so Vertragsinhalte mit Genehmigungsvorgaben der Kostenträger abgleicht, müsste schon längst ‚digital‘ ausgelegt sein.
Die Rechenzentren sollten bereits heute in der Lage sein, bei den mittels 5Rx-Schnittstelle übertragenen Rezepten eine tagesgenaue Abrechnung zur Verfügung zu stellen – und dabei sowohl die Formalien auf den Rezepten, als auch die Einhaltung der Rabattverträge u.ä. gem. Rahmenverträgen geprüft zu haben (am besten gleich online – grüne Ampel – keine Retaxgefahr – mit Garantie).
Das (und mehr!) wird beim eRezept sowieso die Geschäftsgrundlage sein.
Denn zum Produzieren und Verschicken von Datensätzen brauchen wird dann kein RZ mehr…
Die Apothekensoftwarehäuser sollten erkennen, dass die Zeiten der ‚diversifizierten Individuallösungen‘ vorbei sind: die Apotheken vor Ort brauchen nun Branchenlösungen mit denen sie nicht nur über (EINE) zertifizierte Kasse, sondern auch über zukunftsorientierte, schnittstellentaugliche Systeme verfügen können, die Ihnen tatsächlich die Teilnahme an (neuen) Netzwerken ermöglichen (werden). Und – das sei hier ausdrücklich erwähnt – das nicht zu ‚Mondpreisen‘.
Gemeinsam werden wir die auf uns zukommenden Herausforderungen meistern (können) – wir sind doch nicht blöd.
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