Als Schlüsselreiz wird ein spezifischer Reiz bezeichnet, der ein bestimmtes (instinktives) Verhalten auslöst. Plakative Beispiele hierfür finden sich im Tierreich. Manche Affenarten warnen sich durch unterschiedliche Schreie vor Gefahren aus der Luft, zum Beispiel einem Adler, und Gefahren am Boden, wie beispielsweise einem Löwen. Nimmt man diese Schreie auf und spielt sie Artgenossen vor (im hier zitierten Beispiel handelt es sich übrigens um Grünmeerkatzen), so reagieren diese instinktiv: hören sie die Aufnahme von der Gefahr aus der Luft machen sie sich klein und schauen ängstlich nach oben. Hören Sie hingegen die Aufnahme des zweiten Schreis, den vermeintlichen Löwen, so klettern sie hastig den nächstgelegenen Baum hoch.

Das Beispiel mit den Affen habe ich aus diesem überaus lesenswerten Buch: Yuval Noah Harari, „Eine kurze Geschichte der Menschheit„, Deutsche Verlags Anstalt, München, 2013, S. 34 f.
Kurze, auffällige und eindeutige Signale lösen also eine Reaktion aus, die normalerweise ohne Nachdenken oder Zögern erfolgt. Auch wir Menschen sind Primaten, diese Verhaltensmuster gibt es also auch bei uns. Wenn der Wecker morgens klingelt, stehen wir auf. Wenn das Telefon klingelt, gehen wir ran. Wenn uns jemand die Hand zum Gruß reicht, ergreifen wir sie. Reflexartig reagieren wir auf diese Schlüsselreize; meist, weil wir es im Laufe der Jahre so gelernt haben.
Dieses, in der Lernpsychologie auch Konditionierung genannte Verhalten funktioniert auch im digitalen Kontext hervorragend. Wenn einem Outlook den Eingang einer neuen E-Mail ankündigt, schauen die meisten Menschen bei der nächsten Gelegenheit in ihren Posteingang. Gleiches passiert, wenn eine neue Nachricht auf WhatsApp akustisch angekündigt wird oder der Liveticker der Fussball-App den Torerfolg der Lieblingsmannschaft per Push-Nachricht aufs Display schickt. Die Aufmerksamkeit wird auf den auslösenden Schlüsselreiz fokussiert.

Aktion – Reaktion
Ein, wie ich finde, hervorragendes Beispiel dafür, wie man digitale Tools und die Konditionierung auf Schlüsselreize zusammenführen kann, ist die vom Fraunhofer Institut FOKUS entwickelte App „KATWARN“. Installiert man sie sich aufs Mobiltelefon und schaltet sie für Ortungsdienste frei, so bekommt man bei Gefahrensituationen (Brände, schwere Unwetter, etc.) im eigenen örtlichen Umkreis eine Warnmeldung aufs Smartphone. Als sich im Oktober 2016 eine Explosion bei der BASF in Ludwigshafen mit 4 Todesopfern ereignete, bekam ich eine Warnmeldung von KATWARN auf mein Handy. Mein Büro in Mannheim liegt in nur 4 km Entfernung (Luftlinie) von der BASF und aufgrund der Explosion wurde mit starker Rauchbildung gerechnet. Diesen hätte der Westwind dann auch nach Mannheim hinüber getragen. Also habe ich alle Fenster geschlossen und wurde dann im weiteren Verlauf auch von der App mit Push-Nachrichten über die aktuelle Gefahrensituation auf dem Laufenden gehalten.
Versuchen wir nun, den Gedanken mit den Schlüsselreizen auf die Apotheke zu übertragen. Die Kunden suchen Apotheken stets der Gesundheit wegen auf, meistens, um eine Krankheit zu heilen oder zu lindern. Gesundheit sollte also das originäre Leistungsversprechen von Apotheken sein. Jedoch haben Apotheken auf die Gesundheit keinen Exklusivitätsanspruch, sondern sie zahlen mit vielen weiteren Leistungserbringern, wie Ärzten, Physiotherapeuten oder Pflegediensten, darauf ein – und alle diese Leistungserbringer vernetzen sich derzeit schon auf der Informationsebene mit ihren Kunden/ Patienten.
Also muss man das große Thema „Gesundheit“ für die Apotheke weiter herunterbrechen. Ein Blick auf die Welt der digitalen Startups zeigt, dass diese oft mit einem sog. „Minimum Viable Product (MVP)“ auf den Markt gehen, dem wörtlich „minimal überlebensfähigsten Produkt“. Nur die wesentlichen Kernfunktionen werden in so ein MVP integriert, um möglichst schnell eine Stufe der Marktreife in der anvisierten Zielgruppe zu erreichen.

Das MVP enthält nur die Kernfunktionen und stürzt (hoffentlich) nicht ab
Also, brechen wir das herunter auf die deutschen Apotheken: über 80% des Umsatzes und über 60% der abgegebenen Packungen basieren auf ärztlichen Verordnungen. Hauptzielgruppe der Apotheke sind somit immer noch Patienten, die mit einem Rezeptin die Apotheke kommen. Ein sinnvolles MVP richtet sich folglich an diese als Zielgruppe. Sinniger Weise aber nicht an alle Patienten mit einem Rezept – bei Akutmedikation wie zum Beispiel Antibiotika ist eine Wiederkehr des Patienten ungewiss – sondern an chronisch Kranke, die regelmäßig mit einer ärztlichen Verordnung in die Apotheke kommen und im Idealfall so gut eingestellt sind, dass eine pharmazeutische Konsultation in aller Regel nicht nötig ist.
Das Leistungsversprechen „Gesundheit“ kann man also wie folgt herunterbrechen, bzw. reduzieren, um ein schnelles, marktreifes MVP zu erhalten: „Förderung der Gesundheit durch Therapieunterstützung.“ Und tatsächlich gibt es inzwischen unzählige Apps, die an die Einnahme von Medikamenten erinnern. Der erste Schritt für jeden Apotheker, der sein eigenes Geschäftsmodell digitaler gestalten will, ist daher die Auseinandersetzung mit Gesundheits-Apps. Nachfolgend einige Kriterien, die eine App erfüllen sollte, damit sie den Patienten auch aktiv im Beratungsgespräch empfohlen werden kann:
- Unterstützung des BMP: kann die App den bundeseinheitlichen Medikationsplan verarbeiten? Für diesen Standard wurde sehr hart verhandelt, daher sollte man auch nur Apps, die ihn einlesen können, empfehlen. Immerhin ist der BMP das erste Vehikel zur reibungslosen digitalen Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker – allein dafür verdient er aus Patientensicht grundsätzlich jede Unterstützung.
- (Daten-)sicherheit: ist der Patient jederzeit Herr über seine Daten? Werden die Daten sicher verwahrt, vorzugsweise in einer europäischen Cloud?
- Wer ist Anbieter dieser App? Eine in der Gesundheitsbranche fest verwurzelte Institution, evtl. sogar eine, an der sich Apotheker beteiligen können? Oder ist es ein Unternehmen, das von Risikokapitalgebern finanziert wird und nach der nächsten Kapitalrunde auch an Apothekenketten aus dem Ausland gehen kann.
- Einfachheit: ist die App intuitiv und einfach zu bedienen und zu verstehen?
- Stammapotheke: kann der Patient Ihre Apotheke als Stammapotheke hinterlegen? Ansonsten riskieren Sie, dass er Ihren Service rein zu Informationszwecken nutzt und dennoch die Arzneimittel – und noch bekommen Sie Ihre Vergütung ausschließlich durch den Verkauf von Arzneimitteln – anderweitig bezieht.

Beispiel für eine Gesundheits-App für Apotheken; Bild (c) NOVENTI Digital GmbH
Sind die oben genannten Punkte erfüllt, haben Sie eine grundsätzlich geeignete App gefunden, um selbst in dieses Thema einzusteigen. Wenn Sie die Zukunftsfähigkeit des von Ihnen empfohlenen Produktes abschätzen wollen, sollten Sie sich erkundigen, ob zumindest diese Features in zukünftigen Releases eingeplant sind:
- Kommunikationsmöglichkeit: kann der Patient über die App einfach und intuitiv bei Fragen rund um seine Arzneimittel mit Ihnen in Kontakt treten? Dadurch kann persönliche Beratung gepaart mit pharmazeutischer Kompetenz effizient erreicht werden.
- Reichweitenberechnung: erinnert die App den Patienten rechtzeitig an ein Nachfolgerezept, das beim behandelnden Arzt angefordert werden soll? Wenn der Patient die Einnahme des Arzneimittels bei jedem Einnahmezeitpunkt bestätigen muss, ist das sogar sehr akkurat und problemlos möglich. Hieraus könnte sich übrigens ein interessanter Service ergeben, der zu gegebener Zeit, bspw. als „Premium-Variante“ gegen Vergütung oder in Form eines Abonnements von Ihnen übernommen werden kann.
- Verknüpfung mit der Warenwirtschaft: fließen die Informationen aus der App nahtlos in Ihre Warenwirtschaft ein – und Informationen von dort wieder zurück in die App?
- Erweiterte Services: z.B. automatisches Erfassen weiterer medizinisch relevanter Parameter über Wearables, Darstellung von Einnahmehinweisen und Wechselwirkungen, Rezeptübertragung, uvm. zu Steigerung des „Rundum-Blicks“ auf den Patienten und höchster Beratungsqualität.

Der 360-Grad-Blick auf den Patienten – mehr als nur eine Vision?
Mit der Empfehlung einer solchen App zeigen Sie Ihren Patienten, dass Sie digitale Kompetenz besitzen. Immerhin benutzt bereits heute ein Drittel der über 65-jährigen ein Smartphone, Tendenz steigend. Außerdem schaffen Sie damit die Grundlage für künftige digitale Geschäftsmodelle.
Und nicht zuletzt wird ein Patient, den Sie gut informiert haben und den Sie durch einen smarten Medikationshelfer aus seiner Apotheke auch bei seiner Therapietreue dauerhaft unterstützen, seine Arzneimittel am Liebsten nur bei Ihnen beziehen. Womit wir beim nächsten und letzten Thema dieser Miniserie wären …
[…] Wie Apotheker sich hier nutzstiftend mit einbringen können, haben wir bereits erörtert. Auch die Therapieunterstützung durch smarte Helfer wird in der Kundenbindung immer wichtiger werden. Wenn Sie diese beiden Ebenen der Kundenbindung […]
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[…] von therapiebegleitenden Apps. Hierdurch zeigen Sie digitale Kompetenz und unterstützen die Compliance ihrer […]
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[…] oder im Google Play Store herunterladen. Als Hauptanwendungsfelder von LifeTime werden im Store Einnahmeerinnerungen für Arzneimittel sowie die digitale Abspeicherung von Befunden aufgeführt. Der digitale Transport […]
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Es scheitert hier an verschiedenen Dingen: viele unserer Kunden wollen keine App. Sie wollen zu uns kommen und mit uns sprechen. Dazu kommt noch, dass es die Verzahnung App-Warenwirtschaft -soweit mir bekannt- ist nicht gibt. Von daher ist der Ansatz theoretisch gut, in der Praxis aber nicht durchführbar. Hier gibt es massiven Nachholbedarf seitens der Softwarehäuser und es scheitert an einer nutzbaren gemeinsamen Schnittstelle. Vielleicht löst die Telematik das Problem, ganz sicher bin ich aber auch da nicht…
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[…] recherchiert nicht nur bevor er einen Arzt oder Apotheker aufsucht, sondern auch danach wird alles, was ihm empfohlen wurde, online hinterfragt. Die Suche umfasst dabei nicht nur Symptome, sondern auch Behandlungen, […]
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