Inzwischen dürfte es Einigkeit über die Rahmenbedingungen der Apotheken vor Ort in Deutschland geben. Das Internet – und mit ihm Internetriesen wie Amazon sowie die Versandapotheken aus dem In- und EU-Ausland – wird nicht mehr weggehen. Die Digitalisierung ist auch in der Gesundheitsbranche angekommen um zu bleiben. Mit dem E-Rezept und der elektronischen Patientenakte stehen bereits zwei Innovationen direkt vor der Tür. Alleine durch sie werden die Karten im Gesundheitswesen vollkommen neu gemischt werden. Und weitere Technologien wie Künstliche Intelligenz, 3-D Druck oder Blockchain bekommen derzeit den letzten Feinschliff, um in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls in diesem Markt mitzumischen. Wir können also davon ausgehen, dass Veränderungen in immer schnellerer Taktung kommen werden … Disruption ist längts ein Dauerzustand.
Aber im letzten Beitrag dieses Blogs haben wir gesehen, dass es nicht unbedingt notwendig ist, der Erste zu sein, der eine Innovation auf den Markt bringt. Das gekonnte Anpassen bereits vorhandener Lösungen ist häufig sogar um einiges erfolgsversprechender. Natürlich dürfte die einzelne Apotheke nicht die notwendigen IT-technischen-Kenntnisse haben, um vorhandene Lösungen einfach „mal so“ auf ihre Bedürfnisse und die ihrer Kunden zu adaptieren. Aber kommt es bei der Digitalisierung denn wirklich auf die Technik an? Ich denke nicht. Es geht immer nur um die Menschen! Und genau das sind die eigentlichen Trümpfe der Apotheke. Richtig eingesetzt, ebnen diese Trümpfe auch Ihrer Apotheke den Weg in die Zukunft. Eine Zukunft, in der die Errungenschaften der Digitalisierung genauso normal und selbstverständlich sein werden, wie für uns das Fernsehen, das Auto oder die Stromversorgung heute.
Aber ich erzähle Ihnen nichts Neues. Natürlich sind die Menschen für jede Apotheke das Wichtigste. Allerdings habe ich die „Wichtigkeit“ der einzelnen Gruppen von Menschen für mich selbst noch einmal gestaffelt. Und diese Staffelung wird Sie eventuell überraschen. Denn an allererster Stelle steht für mich der Apotheker selbst. Nur wenn dieser sein „Warum“ kennt und ganz tief verinnerlicht hat, wenn ihm bewusst ist, warum er jeden Tag aufsteht und Belastungen wie – nur als ein Beispiel von vielen – den Notdienst auf sich nimmt, nur dann kann er dieses „Warum“ auch auf sein Umfeld übertragen. Mein Freund Jan Reuter hat ein Buch mit dem Titel „das selbstbestimmte Unternehmen“ geschrieben. Er ist selbst Apotheker und kann daher viel besser als ich beschreiben, wie es ihm gelingt, trotz all der Regularien, Einschränkungen und Verwaltungsaufgaben, die der Beruf des Apothekers mit sich bringt, jeden Tag mit einem Lächeln aufzustehen. Er hat nämlich sein ganz persönliches „Warum“ – ein ganz starkes noch dazu – längst gefunden:
„Menschen helfen […], gesünder zu werden. Das ist nämlich mein ganz persönliches Warum.“
Jan Reuter: Das selbstbestimmte Unternehmen, Offenbach, 2018, S.12
Ein weiterer Trumpf, mit dem Sie auch starke Gegenspieler ausstechen können und somit die zweitwichtigsten Menschen für Ihre Apotheke – sind Ihre Mitarbeiter. Damit diese selbstverantwortlich, engagiert und motiviert in Ihrem Sinne arbeiten können, sollten sie Ihr ganz persönliches „Warum“ unbedingt kennen. Außerdem ist es hilfreich, wenn möglichst viel von Ihrem mit dem „Warum“ der Mitarbeiter übereinstimmt. Vermutlich werden Sie bei Neueinstellung in aller Regel genau die Art von Mitarbeitern anziehen, deren Wertekompass in die gleiche Richtung zeigt, wie Ihrer. Klar, es wird immer Mitarbeiter geben, die nur deswegen arbeiten gehen, weil sie Geld verdienen müssen und darüber hinaus wenig bis keine Bindung an Ihre Apotheke haben. Ohne ein scharf umrissenes „Warum,“ so befürchte ich, haben Sie aber ausschließlich solche Mitarbeiter. Und welches Einkaufs- und Beratungserlebnis können diese Mitarbeiter Ihren Kunden wohl bieten? Hin und wieder erlebe ich Apotheken, in denen man sich fühlt, wie in einer Behörde. Warum gleich nochmal sollte man da kaufen und nicht im Internet?
Engagierte und motivierte Mitarbeiter hingegen arbeiten eigenverantwortlich und vertreten Ihre Werte, Ihr „Warum“ mit Stolz nach außen. Wenn es zwischen Denken und Handeln keine Unterschiede gibt, dann haben wir echte Authentizität. Und womit sonst wollen Sie Ihre Kunden begeistern? Mit normierten, austauschbaren Packungen von Fertigarzneimitteln und Kosmetik etwa? Bedenken Sie dabei bitte: Ihr Konkurrent ist heute nicht mehr der Nachbarapotheker. Ihre Kunden – die, Sie haben es geahnt, die drittwichtigsten Menschen für Ihre Apotheke sind – vergleichen Sie nämlich inzwischen nicht mehr mit anderen Apotheken, sondern mit Amazon, Apple oder Netflix. Die schnelle und höchst individuelle Erfüllung aller Wünsche ist 2019 keine Kür mehr, sondern die Pflicht. Aber (Achtung! Gute Neuigkeiten!) anders als vor 10 Jahren, als vor allem die Schnäppchenjäger im Internet unterwegs waren, sind Kunden heute bereit, dafür zu bezahlen. Egal ob für die Lieferung am nächsten Tag bei Amazon Prime, die Lieblingsmusik auf Apple Music oder die dritte Staffel von „Stranger Things“ auf Netflix: umsonst ist davon gar nichts. Ja, die großen Internetkonzerne haben die Kunden einerseits mit schnellen und maßgeschneiderten Services verwöhnt, aber sie haben die Kunden andererseits auch dahingehend erzogen, dass das einen Preis hat.
Wenn Sie es also nicht ohnehin schon laufend tun, dann investieren Sie in sich selbst. Lesen Sie zum Beispiel das Buch von Jan Reuter oder absolvieren Sie regelmäßige Kommunikations-Trainings. Definieren Sie Ihr „Warum“ – und wenn Sie sich alleine damit schwer tun, dann nehmen Sie auf jeden Fall Ihr Team und vielleicht sogar einen externen Berater dazu. Nichts schweißt ein Team enger zusammen als eine gemeinsam erarbeitete Vision! Investieren Sie auch in Ihre Mitarbeiter – befähigen Sie diese. Alles, was dem „Warum,“ der Vision, nicht offensichtlich widerspricht, muss ohne vorherige Rücksprache erlaubt sein. Und wenn die Mitarbeiter Ihre Apotheke dann als „ihre Apotheke“ betrachten, spätestens dann ist das gesamte Auftreten und das Erscheinungsbild nach außen aus einem Guß. Welcher Kunde könnte dem wohl widerstehen?
Daneben gibt es übrigens noch einen weiteren Trumpf in den Apotheken – wobei ich diesen auch gerne als Schatz bezeichne. Aber auch dazu muss ich wieder ein wenig weiter ausholen. Und das werde ich dann im nächsten Beitrag tun …
Ein toller Fachbeitrag Herr Giermann!
Ich gehöre (noch) zur Generation Y und kaufe gerne meine Waren und Dienstleitungen Vorort „ODER“ Online – es kommt ganz darauf an.
Und Sie werden es kaum glauben, in beiden Fällen wurde ich mehr oder weniger kompetent bedient bzw. beraten und zwar von MENSCHEN.
Der Faktor „Mensch“ spielt gerade im beratungsintensiven Versandhandel eine immer größere Rolle…oft wechseln Menschen vom stationären zum Versandhandel, auch wegen der besseren Bezahlung und den flexibleren Arbeitsbedingungen – wieso sollte also die Beratung „offline“ besser sein als „online“ (bei gleicher Fachkenntnis)?
Immer wieder stelle ich z.B. im örtlichen Elektronik(fach-)handel fest, dass die dortigen Mitarbeiter nur die Angaben vom Preisschild ablesen und der Kunde nicht selten (in meinem Fall zumindest) besser informiert in den Laden kommt, weil er sich im Vorfeld im Internet über Testberichte informiert und Erfahrungsberichte gelesen hat.
Bei Ihrem Beispiel von der „menschlichen Apotheke“ muss ich leider als Patient feststellen, dass die „Beratung“ in der Vor-Ort-Apotheke leider immer häufiger einer Massenabfertigung gleicht. Erst kürzlich war ich notgedrungen in Berlin in einer großen Apotheke und die Lautstärke der Personen dort an den 10 Kassenplätzen war fast unerträglich…in diesem Fall wäre ich viel lieber Zuhause auf dem Sofa gesessen und hätte in meiner Privatsphäre über das ein oder andere Wehwehchen per Telefon oder Video-Telefon mit dem Apotheker in Zimmerlautstärke gesprochen (vielleicht sollte ich mir ein Megaphon in die Reisetasche packen für den nächsten Notfall…).
Es würde mich daher sehr freuen, wenn die Apotheker den „SCHATZ“ mit ihren Kunden teilen würden statt sich eine goldene Nase mit Festpreisen zu verdienen, denn gerade bei rezeptpflichtigen Medikamenten hat mich i.d.R. mein Arzt schon gut beraten und der Apotheker fungiert dann oft nur noch als Überbringer der Ware – das ist zumindest meine Beobachtung in der Warteschlange in der Vor-Ort-Apotheke gewesen und viel Zeit bleibt dann für SmallTalk auch nicht mit X Personen im Rücken!
Ich freue mich schon auf Ihre Fortsetzung…
Beste Grüße
Patient 2.0
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